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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Die Freiheit und Selbständigkeit der evangelisch-protestantischen Airche.

gehandelt würden," aber damit soll durchaus nicht ein Recht ausgesprochen
sein, wie es die päpstliche Verwaltung beanspruchte, sondern wie die christliche
Obrigkeit dies regelt, so ists ihm recht; er verlangt nur eigne Einrichtungen
für die deutsche Kirche. Als Luthers Hoffnung, daß die deutschen Bischöfe sich
mit der Reform der Kirche versöhnen würden, nicht in Erfüllung ging, hatte
er auch dann nichts dagegen, daß Fürsten und Magistrate die oberste Ver¬
waltung der Kirche übernahmen, als beide und "die großen Hansen" mit ihnen
sich eines guten Teiles des Kirchengutes bemächtigten; wo Melanchthon Sto߬
seufzer hatte: Iltmain, utinairi rwQ oMäenr Äoinin^ioiiöni, Spa ÄÜwillislrationsin
öxisooxorum röLuxLiaro vossömus! -- da fuhr Luther nur gelegentlich mit derben
Worten drein, um der Habsucht und Raublust zu wehren. Er hat aber nie
wieder eine Verwaltung durch die Kirche selbst gefordert, wohl in dem Gefühl,
daß mit der Ääministratw öxisooxorulli auch die äoinins-tlo wieder einziehen
würde, samt dem ganzen geistlichen Papstgesetz, in dem "nicht zwei Zeilen sind,
die einen frommen Christen möchten unterweisen, und leider so viel irrige Gesetze,
daß nichts besser wäre, als man machte einen roten Haufen daraus."

Was wir bisher angeführt haben, das klingt alles so ungeheuer anti¬
katholisch, so durchaus modern, daß man daraus deutlich ersieht, das katholische
Lebensideal ist in Trümmer geschlagen, die zwei Gewalten sind aufgehoben, und
an deren Stelle tritt die eine Gewalt mit der Anerkennung aller natürlichen
Ordnungen und Zwecke als göttlicher, wie denn diesen Gedanken, der eine neue
Anschauung der Dinge und eine neue Grundlage der Sittlichkeit aufstellte, Luther
auch mit den einfachen Worten aussprach: "Gott hat uns in diese Welt berufen
und gesetzt, und nicht aus der Welt hinaus!" Das also ist Luthers An¬
schauung.

Auch in die symbolischen Büchern der lutherischen Kirche ging diese An¬
schauung über. Gerichtsbarkeit, Verwaltung und politische Gesetzgebung der
kirchlichen Angelegenheiten mußten als weltliche Dinge betrachtet werden, sobald
die Kirche ausgesagt wurde als "eine Gemeinschaft der Heiligen, in welcher das
Evangelium recht gelehrt und die Sakramente recht verwaltet werden," wie der
Art. VII der LonIöSLio ^.uZustM" bestimmt. Das Kirchenregiment als solches
hat dann seine alleinige Aufgabe darin zu sehen, daß niemand in der Kirche
öffentlich lehre und die Sakramente verwalte, als der dazu berufen, rio ?o-
oaw8, ist (ebend. Art. XIV), und zwar ist auch dies so festgesetzt allein um
der Ordnung willen. Äußere Leitung und Verwaltung der kirchlichen Dinge
selbst gehört mit unter die res eivilss, die durch Mvig. oivilig, erledigt werden,
die wie alles andre geordnete Regiment und Gesetz von Gott geschaffene Ordnung
sind (Art. XVI). War die ungeheure Macht der alten Kirche in stetigem
Fortschritt aus dem Mißbrauch eines ursprünglich rein kirchlichen Aktes, der
Macht, die Sünde zu vergeben, der xotsstas oliivwin, hervorgegangen, so wird
alle Möglichkeit eines solchen Mißbrauchs grundsätzlich und für immer damit


Die Freiheit und Selbständigkeit der evangelisch-protestantischen Airche.

gehandelt würden," aber damit soll durchaus nicht ein Recht ausgesprochen
sein, wie es die päpstliche Verwaltung beanspruchte, sondern wie die christliche
Obrigkeit dies regelt, so ists ihm recht; er verlangt nur eigne Einrichtungen
für die deutsche Kirche. Als Luthers Hoffnung, daß die deutschen Bischöfe sich
mit der Reform der Kirche versöhnen würden, nicht in Erfüllung ging, hatte
er auch dann nichts dagegen, daß Fürsten und Magistrate die oberste Ver¬
waltung der Kirche übernahmen, als beide und „die großen Hansen" mit ihnen
sich eines guten Teiles des Kirchengutes bemächtigten; wo Melanchthon Sto߬
seufzer hatte: Iltmain, utinairi rwQ oMäenr Äoinin^ioiiöni, Spa ÄÜwillislrationsin
öxisooxorum röLuxLiaro vossömus! — da fuhr Luther nur gelegentlich mit derben
Worten drein, um der Habsucht und Raublust zu wehren. Er hat aber nie
wieder eine Verwaltung durch die Kirche selbst gefordert, wohl in dem Gefühl,
daß mit der Ääministratw öxisooxorulli auch die äoinins-tlo wieder einziehen
würde, samt dem ganzen geistlichen Papstgesetz, in dem „nicht zwei Zeilen sind,
die einen frommen Christen möchten unterweisen, und leider so viel irrige Gesetze,
daß nichts besser wäre, als man machte einen roten Haufen daraus."

Was wir bisher angeführt haben, das klingt alles so ungeheuer anti¬
katholisch, so durchaus modern, daß man daraus deutlich ersieht, das katholische
Lebensideal ist in Trümmer geschlagen, die zwei Gewalten sind aufgehoben, und
an deren Stelle tritt die eine Gewalt mit der Anerkennung aller natürlichen
Ordnungen und Zwecke als göttlicher, wie denn diesen Gedanken, der eine neue
Anschauung der Dinge und eine neue Grundlage der Sittlichkeit aufstellte, Luther
auch mit den einfachen Worten aussprach: „Gott hat uns in diese Welt berufen
und gesetzt, und nicht aus der Welt hinaus!" Das also ist Luthers An¬
schauung.

Auch in die symbolischen Büchern der lutherischen Kirche ging diese An¬
schauung über. Gerichtsbarkeit, Verwaltung und politische Gesetzgebung der
kirchlichen Angelegenheiten mußten als weltliche Dinge betrachtet werden, sobald
die Kirche ausgesagt wurde als „eine Gemeinschaft der Heiligen, in welcher das
Evangelium recht gelehrt und die Sakramente recht verwaltet werden," wie der
Art. VII der LonIöSLio ^.uZustM» bestimmt. Das Kirchenregiment als solches
hat dann seine alleinige Aufgabe darin zu sehen, daß niemand in der Kirche
öffentlich lehre und die Sakramente verwalte, als der dazu berufen, rio ?o-
oaw8, ist (ebend. Art. XIV), und zwar ist auch dies so festgesetzt allein um
der Ordnung willen. Äußere Leitung und Verwaltung der kirchlichen Dinge
selbst gehört mit unter die res eivilss, die durch Mvig. oivilig, erledigt werden,
die wie alles andre geordnete Regiment und Gesetz von Gott geschaffene Ordnung
sind (Art. XVI). War die ungeheure Macht der alten Kirche in stetigem
Fortschritt aus dem Mißbrauch eines ursprünglich rein kirchlichen Aktes, der
Macht, die Sünde zu vergeben, der xotsstas oliivwin, hervorgegangen, so wird
alle Möglichkeit eines solchen Mißbrauchs grundsätzlich und für immer damit


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[0074] Die Freiheit und Selbständigkeit der evangelisch-protestantischen Airche. gehandelt würden," aber damit soll durchaus nicht ein Recht ausgesprochen sein, wie es die päpstliche Verwaltung beanspruchte, sondern wie die christliche Obrigkeit dies regelt, so ists ihm recht; er verlangt nur eigne Einrichtungen für die deutsche Kirche. Als Luthers Hoffnung, daß die deutschen Bischöfe sich mit der Reform der Kirche versöhnen würden, nicht in Erfüllung ging, hatte er auch dann nichts dagegen, daß Fürsten und Magistrate die oberste Ver¬ waltung der Kirche übernahmen, als beide und „die großen Hansen" mit ihnen sich eines guten Teiles des Kirchengutes bemächtigten; wo Melanchthon Sto߬ seufzer hatte: Iltmain, utinairi rwQ oMäenr Äoinin^ioiiöni, Spa ÄÜwillislrationsin öxisooxorum röLuxLiaro vossömus! — da fuhr Luther nur gelegentlich mit derben Worten drein, um der Habsucht und Raublust zu wehren. Er hat aber nie wieder eine Verwaltung durch die Kirche selbst gefordert, wohl in dem Gefühl, daß mit der Ääministratw öxisooxorulli auch die äoinins-tlo wieder einziehen würde, samt dem ganzen geistlichen Papstgesetz, in dem „nicht zwei Zeilen sind, die einen frommen Christen möchten unterweisen, und leider so viel irrige Gesetze, daß nichts besser wäre, als man machte einen roten Haufen daraus." Was wir bisher angeführt haben, das klingt alles so ungeheuer anti¬ katholisch, so durchaus modern, daß man daraus deutlich ersieht, das katholische Lebensideal ist in Trümmer geschlagen, die zwei Gewalten sind aufgehoben, und an deren Stelle tritt die eine Gewalt mit der Anerkennung aller natürlichen Ordnungen und Zwecke als göttlicher, wie denn diesen Gedanken, der eine neue Anschauung der Dinge und eine neue Grundlage der Sittlichkeit aufstellte, Luther auch mit den einfachen Worten aussprach: „Gott hat uns in diese Welt berufen und gesetzt, und nicht aus der Welt hinaus!" Das also ist Luthers An¬ schauung. Auch in die symbolischen Büchern der lutherischen Kirche ging diese An¬ schauung über. Gerichtsbarkeit, Verwaltung und politische Gesetzgebung der kirchlichen Angelegenheiten mußten als weltliche Dinge betrachtet werden, sobald die Kirche ausgesagt wurde als „eine Gemeinschaft der Heiligen, in welcher das Evangelium recht gelehrt und die Sakramente recht verwaltet werden," wie der Art. VII der LonIöSLio ^.uZustM» bestimmt. Das Kirchenregiment als solches hat dann seine alleinige Aufgabe darin zu sehen, daß niemand in der Kirche öffentlich lehre und die Sakramente verwalte, als der dazu berufen, rio ?o- oaw8, ist (ebend. Art. XIV), und zwar ist auch dies so festgesetzt allein um der Ordnung willen. Äußere Leitung und Verwaltung der kirchlichen Dinge selbst gehört mit unter die res eivilss, die durch Mvig. oivilig, erledigt werden, die wie alles andre geordnete Regiment und Gesetz von Gott geschaffene Ordnung sind (Art. XVI). War die ungeheure Macht der alten Kirche in stetigem Fortschritt aus dem Mißbrauch eines ursprünglich rein kirchlichen Aktes, der Macht, die Sünde zu vergeben, der xotsstas oliivwin, hervorgegangen, so wird alle Möglichkeit eines solchen Mißbrauchs grundsätzlich und für immer damit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/74>, abgerufen am 28.09.2024.