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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Die Freiheit und Selbständigkeit der evangelisch-protestantischen Kirche.

heute noch auf weite Strecken nicht ist." Diese Anschauung vom deutschen
Kaisertume und die Auffassung vom Rechte der katholischen Kirche, wie sie in
solchen Äußerungen sich kundgiebt, passen genau zusammen.

Natürlich stellt man dies Recht mit seinen Forderungen nicht so nackt und
bloß hin; man verlangt scheinbar unschuldige Dinge, Dinge mit dehnbaren Be¬
griffen, wie "Parität" der "Konfessionen," Freiheit der Schule vom Staat
Recht der Familie auf kirchliche Erziehung der Kinder, Unabhängigkeit der geist-
lichen Gerichtsbarkeit und Verwaltung. Es sind das alles aber nur Vorstufen,
um zur Herrschaft über den Staat zu kommen. Für den Staatsmann, der
bewußt und fest ans dem Boden des modernen Staates steht, ist es darum eine
Unmöglichkeit, das zu gewähre", was die katholische Kirche als ihr "Recht" an
sieht; auch die Freiheit und Selbständigkeit dieser Kirche wird er nur so weit
zugestehen können, daß die des Staates dabei besteht, und wo diese gefährdet
wird, da muß er der Kirche ihre Schranken ziehen. Für den modernen Staat
giebt es keinen andern Grundsatz in seinem Verhältnis zur Kirche als den,
welchen Bismarck in seiner Depesche an Arnim vom 26. Mai 1869 auf¬
stellt, wenn er schreibt: "Für Preußen giebt es verfassungsmäßig wie politisch
nur einen Standpunkt, den der vollen Freiheit der Kirche in kirchlichen Dingen
und der entschiednen Abwehr jedes Übergriffes auf das staatliche Gebiet." Das
Gebiet der kirchlichen Dinge ist aber nicht von den Bischöfen eigenmächtig zu
bestimmen und willkürlich auszudehnen, wie sie das versuchten in ihrer Aus¬
legung des fünfzehnten Artikels der preußischen Verfassung, sondern diejenigen
Gebiete der Kirche, welche irgend eine Beziehung zum bürgerlichen und staat¬
lichen Leben haben, sind durch Staatsgesetze zu regeln; für den modernen Staat
ist schlechterdings der Grundsatz festzuhalten, den der Reichskanzler aussprach:
"Die Souveränität kann nur eine einheitliche sein und muß es bleiben: die
Souveränität der Gesetzgebung!" Es war damals die Zeit, als die Bischöfe
von Landesgesetzen sprachen, die für sie und überhaupt für die Katholiken nicht
verbindlich seien. Solche Übergriffe werden stets versucht werden, sobald der
Klerus sich die Kraft zutraut, sie durchzuführen. Mit welchem Grade von
Entschiedenheit dann die Ausschreitungen von einer Negierung zurückgewiesen
werden können, das hängt hier mehr als auf jedem andern Gebiete von der
Unterstützung ab, die ihr durch die öffentliche Meinung geboten wird. Mit
der Dummheit kämpfen Götter selbst vergebens. In der oben angeführten
Depesche weist Bismarck eine Einwirkung auf das Konzil selbst etwa durch
oreckores mit Recht zurück; am wenigsten will er Proteste auf einem Gebiete
haben, wo es nicht in der Macht des Protestirenden liegt, das zu verhindern,
wogegen er protestirt, wie das denn bei Abgesandten ketzerischer Regierungen in
Rom der Fall sein würde. Aber "etwas ganz andres als müssige und nicht
berücksichtigte Proteste sind die auf dem Gefühl der eignen Macht beruhenden
Kundgebungen der Regierungen, Übergriffe nicht dulden zu wollen," Einwir-


Die Freiheit und Selbständigkeit der evangelisch-protestantischen Kirche.

heute noch auf weite Strecken nicht ist." Diese Anschauung vom deutschen
Kaisertume und die Auffassung vom Rechte der katholischen Kirche, wie sie in
solchen Äußerungen sich kundgiebt, passen genau zusammen.

Natürlich stellt man dies Recht mit seinen Forderungen nicht so nackt und
bloß hin; man verlangt scheinbar unschuldige Dinge, Dinge mit dehnbaren Be¬
griffen, wie „Parität" der „Konfessionen," Freiheit der Schule vom Staat
Recht der Familie auf kirchliche Erziehung der Kinder, Unabhängigkeit der geist-
lichen Gerichtsbarkeit und Verwaltung. Es sind das alles aber nur Vorstufen,
um zur Herrschaft über den Staat zu kommen. Für den Staatsmann, der
bewußt und fest ans dem Boden des modernen Staates steht, ist es darum eine
Unmöglichkeit, das zu gewähre«, was die katholische Kirche als ihr „Recht" an
sieht; auch die Freiheit und Selbständigkeit dieser Kirche wird er nur so weit
zugestehen können, daß die des Staates dabei besteht, und wo diese gefährdet
wird, da muß er der Kirche ihre Schranken ziehen. Für den modernen Staat
giebt es keinen andern Grundsatz in seinem Verhältnis zur Kirche als den,
welchen Bismarck in seiner Depesche an Arnim vom 26. Mai 1869 auf¬
stellt, wenn er schreibt: „Für Preußen giebt es verfassungsmäßig wie politisch
nur einen Standpunkt, den der vollen Freiheit der Kirche in kirchlichen Dingen
und der entschiednen Abwehr jedes Übergriffes auf das staatliche Gebiet." Das
Gebiet der kirchlichen Dinge ist aber nicht von den Bischöfen eigenmächtig zu
bestimmen und willkürlich auszudehnen, wie sie das versuchten in ihrer Aus¬
legung des fünfzehnten Artikels der preußischen Verfassung, sondern diejenigen
Gebiete der Kirche, welche irgend eine Beziehung zum bürgerlichen und staat¬
lichen Leben haben, sind durch Staatsgesetze zu regeln; für den modernen Staat
ist schlechterdings der Grundsatz festzuhalten, den der Reichskanzler aussprach:
„Die Souveränität kann nur eine einheitliche sein und muß es bleiben: die
Souveränität der Gesetzgebung!" Es war damals die Zeit, als die Bischöfe
von Landesgesetzen sprachen, die für sie und überhaupt für die Katholiken nicht
verbindlich seien. Solche Übergriffe werden stets versucht werden, sobald der
Klerus sich die Kraft zutraut, sie durchzuführen. Mit welchem Grade von
Entschiedenheit dann die Ausschreitungen von einer Negierung zurückgewiesen
werden können, das hängt hier mehr als auf jedem andern Gebiete von der
Unterstützung ab, die ihr durch die öffentliche Meinung geboten wird. Mit
der Dummheit kämpfen Götter selbst vergebens. In der oben angeführten
Depesche weist Bismarck eine Einwirkung auf das Konzil selbst etwa durch
oreckores mit Recht zurück; am wenigsten will er Proteste auf einem Gebiete
haben, wo es nicht in der Macht des Protestirenden liegt, das zu verhindern,
wogegen er protestirt, wie das denn bei Abgesandten ketzerischer Regierungen in
Rom der Fall sein würde. Aber „etwas ganz andres als müssige und nicht
berücksichtigte Proteste sind die auf dem Gefühl der eignen Macht beruhenden
Kundgebungen der Regierungen, Übergriffe nicht dulden zu wollen," Einwir-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/69>, abgerufen am 28.09.2024.