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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Denkmäler der griechischen und römischen Skulptur.

Die letzten Jahre haben, wie sattsam bekannt, über alle Erwartungen große
Ergebnisse geliefert, in Deutschland gewiß größtenteils unter dem Einflüsse der
großen politischen Erfolge der letzten Zeit. Man muß sich das vor Augen
halten, um frühern Geschlechtern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Die Auf¬
erstehung von Olympia mit seiner Kunstwelt wäre ohne eine große politische
Macht unmöglich gewesen. Schon Winckelmann und viele nach ihm haben sich
mit dem Plane getragen, diese, die heiligste Kultstätte der Hellenen, dem Schoße
der Erde zu entreißen. Was sie nicht zu erreichen vermochten, weil sie lediglich
in privatem Interesse, nur von der Begeisterung sür eine große Idee beseelt,
handeln konnten, das erlangte das Ansehen und das einmütige Vorgehen der
deutschen Volksvertretung.

Wenn wir aber an den Trümmern, Baudenkmälern und Skulpturen von
Olympia ein zeitlich weit umgrenztes Bild kennen lernen, wenn wir an der
Hand der Funde durch die Jahrhunderte der griechischen Vergangenheit, von
den einfach patriarchalischen Zustände" zur Zeit der höchsten Blüte, von dieser
abwärts dem Verfalle bis zu dem Ausklingen des griechischen Namens zugeführt
werden, so tritt uns in andern Ausgrabungen ergänzend ein zeitlich eng be¬
grenztes, aber wegen der größern Fülle der Monumente aus einer bestimmten
Periode nicht minder klares Bild entgegen. Schliemann grid, von dem Ge¬
danken getrieben, den homerischen Gesängen eine lebendige, aus der Erde ent¬
stehende Grundlage zu geben; was er fand in Troia, Mhkenci, Orchomenos und
Tiryns, weist auf die sagenhafte, von der griechischen Mythe verklärte Ver¬
gangenheit zurück. Aus Pergamvn sind uus die Skulpturen des großen Königs¬
baues der Attaliden wiedergegeben, die vornehmsten Vertreter der hellenistischen
Kunst. In eine zeitlich näherstehende Periode führen uns die Funde der öster¬
reichischen Expedition nach Lykien. Man möchte fast fragen: In welcher Himmels¬
gegend, in die einst griechische Kultur gedrungen ist, wird der Boden nicht von
Forschern durchwühlt, wo erschließen sich nicht dem eifrigen Suchen der späten
Epigonen Quellen kostbarer Belehrung? Das kunstgeschichtliche Material ge¬
winnt von Jahr zu Jahr mehr an Umfang, kaum vermögen die Museen noch
die Fülle des Gefundenen zu bergen, und die Wissenschaft, vertreten durch eine
ebenso von Jahr zu Jahr sich mehrende Schaar von Jüngern, wandelt in
breiten, durch die glücklichen Umstände vorgezeichneten Bahnen.

Aber werfen wir nochmals einen Blick nach rückwärts und bleiben noch¬
mals bei Winckelmann stehen. Sein großes Lebenswerk macht im allgemeinen
heutigen Tages nur noch auf geschichtlichen Wert Anspruch. Bei dem heutigen
Standpunkte der Wissenschaft vermag es keine Kenntnis von der Entwicklung
der antiken Kunst zu geben; die Zeit von hundertundzwanzig Jahren, die seit
dem Tode des großen Begründers der Archäologie verstrichen sind, haben bei¬
nahe alle, wenigstens alle geschichtlichen Einzelheiten in ein andres Licht gerückt.
Niemand hat es bisher versucht, in denselben großen Zügen der Aufgabe, die


Denkmäler der griechischen und römischen Skulptur.

Die letzten Jahre haben, wie sattsam bekannt, über alle Erwartungen große
Ergebnisse geliefert, in Deutschland gewiß größtenteils unter dem Einflüsse der
großen politischen Erfolge der letzten Zeit. Man muß sich das vor Augen
halten, um frühern Geschlechtern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Die Auf¬
erstehung von Olympia mit seiner Kunstwelt wäre ohne eine große politische
Macht unmöglich gewesen. Schon Winckelmann und viele nach ihm haben sich
mit dem Plane getragen, diese, die heiligste Kultstätte der Hellenen, dem Schoße
der Erde zu entreißen. Was sie nicht zu erreichen vermochten, weil sie lediglich
in privatem Interesse, nur von der Begeisterung sür eine große Idee beseelt,
handeln konnten, das erlangte das Ansehen und das einmütige Vorgehen der
deutschen Volksvertretung.

Wenn wir aber an den Trümmern, Baudenkmälern und Skulpturen von
Olympia ein zeitlich weit umgrenztes Bild kennen lernen, wenn wir an der
Hand der Funde durch die Jahrhunderte der griechischen Vergangenheit, von
den einfach patriarchalischen Zustände» zur Zeit der höchsten Blüte, von dieser
abwärts dem Verfalle bis zu dem Ausklingen des griechischen Namens zugeführt
werden, so tritt uns in andern Ausgrabungen ergänzend ein zeitlich eng be¬
grenztes, aber wegen der größern Fülle der Monumente aus einer bestimmten
Periode nicht minder klares Bild entgegen. Schliemann grid, von dem Ge¬
danken getrieben, den homerischen Gesängen eine lebendige, aus der Erde ent¬
stehende Grundlage zu geben; was er fand in Troia, Mhkenci, Orchomenos und
Tiryns, weist auf die sagenhafte, von der griechischen Mythe verklärte Ver¬
gangenheit zurück. Aus Pergamvn sind uus die Skulpturen des großen Königs¬
baues der Attaliden wiedergegeben, die vornehmsten Vertreter der hellenistischen
Kunst. In eine zeitlich näherstehende Periode führen uns die Funde der öster¬
reichischen Expedition nach Lykien. Man möchte fast fragen: In welcher Himmels¬
gegend, in die einst griechische Kultur gedrungen ist, wird der Boden nicht von
Forschern durchwühlt, wo erschließen sich nicht dem eifrigen Suchen der späten
Epigonen Quellen kostbarer Belehrung? Das kunstgeschichtliche Material ge¬
winnt von Jahr zu Jahr mehr an Umfang, kaum vermögen die Museen noch
die Fülle des Gefundenen zu bergen, und die Wissenschaft, vertreten durch eine
ebenso von Jahr zu Jahr sich mehrende Schaar von Jüngern, wandelt in
breiten, durch die glücklichen Umstände vorgezeichneten Bahnen.

Aber werfen wir nochmals einen Blick nach rückwärts und bleiben noch¬
mals bei Winckelmann stehen. Sein großes Lebenswerk macht im allgemeinen
heutigen Tages nur noch auf geschichtlichen Wert Anspruch. Bei dem heutigen
Standpunkte der Wissenschaft vermag es keine Kenntnis von der Entwicklung
der antiken Kunst zu geben; die Zeit von hundertundzwanzig Jahren, die seit
dem Tode des großen Begründers der Archäologie verstrichen sind, haben bei¬
nahe alle, wenigstens alle geschichtlichen Einzelheiten in ein andres Licht gerückt.
Niemand hat es bisher versucht, in denselben großen Zügen der Aufgabe, die


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[0654] Denkmäler der griechischen und römischen Skulptur. Die letzten Jahre haben, wie sattsam bekannt, über alle Erwartungen große Ergebnisse geliefert, in Deutschland gewiß größtenteils unter dem Einflüsse der großen politischen Erfolge der letzten Zeit. Man muß sich das vor Augen halten, um frühern Geschlechtern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Die Auf¬ erstehung von Olympia mit seiner Kunstwelt wäre ohne eine große politische Macht unmöglich gewesen. Schon Winckelmann und viele nach ihm haben sich mit dem Plane getragen, diese, die heiligste Kultstätte der Hellenen, dem Schoße der Erde zu entreißen. Was sie nicht zu erreichen vermochten, weil sie lediglich in privatem Interesse, nur von der Begeisterung sür eine große Idee beseelt, handeln konnten, das erlangte das Ansehen und das einmütige Vorgehen der deutschen Volksvertretung. Wenn wir aber an den Trümmern, Baudenkmälern und Skulpturen von Olympia ein zeitlich weit umgrenztes Bild kennen lernen, wenn wir an der Hand der Funde durch die Jahrhunderte der griechischen Vergangenheit, von den einfach patriarchalischen Zustände» zur Zeit der höchsten Blüte, von dieser abwärts dem Verfalle bis zu dem Ausklingen des griechischen Namens zugeführt werden, so tritt uns in andern Ausgrabungen ergänzend ein zeitlich eng be¬ grenztes, aber wegen der größern Fülle der Monumente aus einer bestimmten Periode nicht minder klares Bild entgegen. Schliemann grid, von dem Ge¬ danken getrieben, den homerischen Gesängen eine lebendige, aus der Erde ent¬ stehende Grundlage zu geben; was er fand in Troia, Mhkenci, Orchomenos und Tiryns, weist auf die sagenhafte, von der griechischen Mythe verklärte Ver¬ gangenheit zurück. Aus Pergamvn sind uus die Skulpturen des großen Königs¬ baues der Attaliden wiedergegeben, die vornehmsten Vertreter der hellenistischen Kunst. In eine zeitlich näherstehende Periode führen uns die Funde der öster¬ reichischen Expedition nach Lykien. Man möchte fast fragen: In welcher Himmels¬ gegend, in die einst griechische Kultur gedrungen ist, wird der Boden nicht von Forschern durchwühlt, wo erschließen sich nicht dem eifrigen Suchen der späten Epigonen Quellen kostbarer Belehrung? Das kunstgeschichtliche Material ge¬ winnt von Jahr zu Jahr mehr an Umfang, kaum vermögen die Museen noch die Fülle des Gefundenen zu bergen, und die Wissenschaft, vertreten durch eine ebenso von Jahr zu Jahr sich mehrende Schaar von Jüngern, wandelt in breiten, durch die glücklichen Umstände vorgezeichneten Bahnen. Aber werfen wir nochmals einen Blick nach rückwärts und bleiben noch¬ mals bei Winckelmann stehen. Sein großes Lebenswerk macht im allgemeinen heutigen Tages nur noch auf geschichtlichen Wert Anspruch. Bei dem heutigen Standpunkte der Wissenschaft vermag es keine Kenntnis von der Entwicklung der antiken Kunst zu geben; die Zeit von hundertundzwanzig Jahren, die seit dem Tode des großen Begründers der Archäologie verstrichen sind, haben bei¬ nahe alle, wenigstens alle geschichtlichen Einzelheiten in ein andres Licht gerückt. Niemand hat es bisher versucht, in denselben großen Zügen der Aufgabe, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/654>, abgerufen am 28.09.2024.