Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.Litteratur. Mauerhof ist sehr streitbarer Natur; er scheint zu denen zu gehören, die erst Mit gerechtem Unwillen wendet sich Mauerhof in der Studie "Nathan Gegen manche einzelne These Mauerhofs wäre vieles einzuwenden. So gegen Litteratur. Mauerhof ist sehr streitbarer Natur; er scheint zu denen zu gehören, die erst Mit gerechtem Unwillen wendet sich Mauerhof in der Studie „Nathan Gegen manche einzelne These Mauerhofs wäre vieles einzuwenden. So gegen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0616" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/202715"/> <fw type="header" place="top"> Litteratur.</fw><lb/> <p xml:id="ID_2205"> Mauerhof ist sehr streitbarer Natur; er scheint zu denen zu gehören, die erst<lb/> im Kampfe mit fremden Meinungen Funken eignen Geistes geben. Sein Buch<lb/> „Ueber Hamlet" zeichnet sich durch solche polemische Lust besonders ans, die übrigens<lb/> die Grenzen litterarischer Höflichkeit zu wenig beachtet. Auch diesmal sind Mauer-<lb/> Hofs Studien aus dem Streite mit andern Kritikern erwachsen; im ganzen aber<lb/> ist seine Tonart manierlicher, gemäßigter geworden, gewiß zu ihrem Vorteil, und<lb/> wo sie nach alter Weise grobianisch wurde, war es häufig gerechtfertigt. Die<lb/> Studie „Probleme in Macbeth" ist eine Erwiederung auf Professor Werders „Vor¬<lb/> lesungen über Macbeth," die auch in diesen Blättern bald nach ihrem Erscheinen<lb/> schon als Fehlschuß bezeichnet wurden. Mit Recht protestirt Mauerhof gegen<lb/> Werders Auffassung des Shakespearischen Helden. Macbeth ist durchaus nicht der<lb/> von Hans aus bloß zum Bösen angelegte Charakter; Mauerhof weist feinfühlig<lb/> und überzeugend nach, daß Macbeth seinen Ehrgeiz ursprünglich nur durch reine<lb/> Mittel befriedigen will, und daß ihn, den Gewissenhaften, erst die Lady zur Mord¬<lb/> that verlockt. Besonders gelungen zu sein scheint uns in der Studie Mauerhofs<lb/> die Charakteristik der Lady. „Da das Gewissen nichts andres als ein sittliches<lb/> Wissen ist, so hat die Lady in Dingen, die außerhalb ihrer Lebeusvorstellungcn<lb/> liegen, kein Gewissen, denn sie weiß nichts. Ja wäre über sie als Gattin oder<lb/> Mutter eine Versuchung gekommen, wir hätten zweifellos der Gewissensregungen<lb/> und Bedenken die Fülle gehabt, aber auf dem Schauplätze der Thaten, zu dem<lb/> eine Windsbraut sie uugewarnt entführt, muß sie sich völlig fremd und unerfahren<lb/> dünken, und da ihr so jeder Schutz einer frühern seelischen Prüfung fehlte, ist sie<lb/> auch widerstandslos allen Dämonen ihrer Sinnlichkeit preisgegeben. Kein Gewissen<lb/> giebt es da zu knebeln, allein das Grauen. Daß ihr das letztere nicht gelingt,<lb/> ja, soweit sie allein in Frage steht, gänzlich mißlingt, ist die Beglaubigung ihrer<lb/> sittlichen Menschlichkeit" (S. 174). In der Polemik gegen Werber, die sehr artig<lb/> ist, vermissen wir die notwendige Ablehnung der von Werber beliebten metaphy¬<lb/> sischen Betrachtung eines Kunstwerkes.</p><lb/> <p xml:id="ID_2206"> Mit gerechtem Unwillen wendet sich Mauerhof in der Studie „Nathan<lb/> der Weise — ein Tendeuzgedicht" gegen die aus geistlichem Uebereifer und Unver¬<lb/> stand entstandene abfällige Kritik Lessings, welche Johannes Claassen veröffentlicht<lb/> hat. Mit großer Klarheit und eindringender Schärfe giebt er eine Analyse des<lb/> „Nathan" und weist nach, wie Lessings Gesinnung genau mit den evangelischen<lb/> Lehren der Liebe und mit der reinen Lehre Luthers zusammenfällt. Die Analyse<lb/> der Parabel von den drei Ringen, der Nachweis ihrer Veredlung in der Hand<lb/> Lessings, der sie von Boccaccio übernahm, ist meisterhaft; ebenso gelungen ist<lb/> die Charakteristik der einzelnen Gestalten des Stückes, namentlich die des Kloster¬<lb/> bruders. Um sich des Verdachtes zu erwehren, daß er nicht ans philosemitischen<lb/> Gründen Lessing gegen den neuen Pastor Götze verteidige, hat Mauerhof eine Kritik<lb/> des Lessingschen Jugendwerkes „Die Juden" als Einleitung vorausgeschickt. Die<lb/> rein ästhetische Betrachtung des Lustspieles, der Nachweis der Fortschritte Lessings<lb/> als Künstler und Denker in den dreißig dazwischenliegenden Jahren unsterblicher<lb/> litterarischer Arbeit sind auch hier wohl gelungen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2207" next="#ID_2208"> Gegen manche einzelne These Mauerhofs wäre vieles einzuwenden. So gegen<lb/> seine Unterscheidung zwischen Lehrgedicht und Tendenzgedicht: wer lehrt, hat doch<lb/> wohl Absichten, die über das reine Ergetzen hinausgehen? Der Lehrdichter ist<lb/> also doch wohl «zö ixso Tendenzdichter? Mauerhof beschränkt die Bezeichnung<lb/> Tendeuzpoesie auf die, welche entstellte Wahrheit, gemeine Leidenschaft aus Haß<lb/> und Neid verbreiten wollen (S. 21 ff-); das ist doch eine willkürliche Auslegung.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0616]
Litteratur.
Mauerhof ist sehr streitbarer Natur; er scheint zu denen zu gehören, die erst
im Kampfe mit fremden Meinungen Funken eignen Geistes geben. Sein Buch
„Ueber Hamlet" zeichnet sich durch solche polemische Lust besonders ans, die übrigens
die Grenzen litterarischer Höflichkeit zu wenig beachtet. Auch diesmal sind Mauer-
Hofs Studien aus dem Streite mit andern Kritikern erwachsen; im ganzen aber
ist seine Tonart manierlicher, gemäßigter geworden, gewiß zu ihrem Vorteil, und
wo sie nach alter Weise grobianisch wurde, war es häufig gerechtfertigt. Die
Studie „Probleme in Macbeth" ist eine Erwiederung auf Professor Werders „Vor¬
lesungen über Macbeth," die auch in diesen Blättern bald nach ihrem Erscheinen
schon als Fehlschuß bezeichnet wurden. Mit Recht protestirt Mauerhof gegen
Werders Auffassung des Shakespearischen Helden. Macbeth ist durchaus nicht der
von Hans aus bloß zum Bösen angelegte Charakter; Mauerhof weist feinfühlig
und überzeugend nach, daß Macbeth seinen Ehrgeiz ursprünglich nur durch reine
Mittel befriedigen will, und daß ihn, den Gewissenhaften, erst die Lady zur Mord¬
that verlockt. Besonders gelungen zu sein scheint uns in der Studie Mauerhofs
die Charakteristik der Lady. „Da das Gewissen nichts andres als ein sittliches
Wissen ist, so hat die Lady in Dingen, die außerhalb ihrer Lebeusvorstellungcn
liegen, kein Gewissen, denn sie weiß nichts. Ja wäre über sie als Gattin oder
Mutter eine Versuchung gekommen, wir hätten zweifellos der Gewissensregungen
und Bedenken die Fülle gehabt, aber auf dem Schauplätze der Thaten, zu dem
eine Windsbraut sie uugewarnt entführt, muß sie sich völlig fremd und unerfahren
dünken, und da ihr so jeder Schutz einer frühern seelischen Prüfung fehlte, ist sie
auch widerstandslos allen Dämonen ihrer Sinnlichkeit preisgegeben. Kein Gewissen
giebt es da zu knebeln, allein das Grauen. Daß ihr das letztere nicht gelingt,
ja, soweit sie allein in Frage steht, gänzlich mißlingt, ist die Beglaubigung ihrer
sittlichen Menschlichkeit" (S. 174). In der Polemik gegen Werber, die sehr artig
ist, vermissen wir die notwendige Ablehnung der von Werber beliebten metaphy¬
sischen Betrachtung eines Kunstwerkes.
Mit gerechtem Unwillen wendet sich Mauerhof in der Studie „Nathan
der Weise — ein Tendeuzgedicht" gegen die aus geistlichem Uebereifer und Unver¬
stand entstandene abfällige Kritik Lessings, welche Johannes Claassen veröffentlicht
hat. Mit großer Klarheit und eindringender Schärfe giebt er eine Analyse des
„Nathan" und weist nach, wie Lessings Gesinnung genau mit den evangelischen
Lehren der Liebe und mit der reinen Lehre Luthers zusammenfällt. Die Analyse
der Parabel von den drei Ringen, der Nachweis ihrer Veredlung in der Hand
Lessings, der sie von Boccaccio übernahm, ist meisterhaft; ebenso gelungen ist
die Charakteristik der einzelnen Gestalten des Stückes, namentlich die des Kloster¬
bruders. Um sich des Verdachtes zu erwehren, daß er nicht ans philosemitischen
Gründen Lessing gegen den neuen Pastor Götze verteidige, hat Mauerhof eine Kritik
des Lessingschen Jugendwerkes „Die Juden" als Einleitung vorausgeschickt. Die
rein ästhetische Betrachtung des Lustspieles, der Nachweis der Fortschritte Lessings
als Künstler und Denker in den dreißig dazwischenliegenden Jahren unsterblicher
litterarischer Arbeit sind auch hier wohl gelungen.
Gegen manche einzelne These Mauerhofs wäre vieles einzuwenden. So gegen
seine Unterscheidung zwischen Lehrgedicht und Tendenzgedicht: wer lehrt, hat doch
wohl Absichten, die über das reine Ergetzen hinausgehen? Der Lehrdichter ist
also doch wohl «zö ixso Tendenzdichter? Mauerhof beschränkt die Bezeichnung
Tendeuzpoesie auf die, welche entstellte Wahrheit, gemeine Leidenschaft aus Haß
und Neid verbreiten wollen (S. 21 ff-); das ist doch eine willkürliche Auslegung.
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