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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Der Befähigiingsnachmeis.

ihrem Wesen aber nichts mit der Kunst zu schaffen haben, mithin auch nicht
zum Kunsthandwerk "gehoben" werden können. Der Redner ist über die Be¬
deutung dieses Wortes sichtlich im Unklaren, und es darf daher nicht über¬
raschen, daß er es mit dem Begriffe "altes Kunsthandwerk" so wenig gemein
nimmt. Der erste hier angezogene Satz hat eine gewisse Giltigkeit nnr für das
Mittelalter, nur ist das Wort "allenfalls" sehr übel am Platze, denn damals
waren es in allererster Linie Kirchen und Klöster, welche dem Kunsthcmdwerke
Arbeit gaben. Wer anders hat es denn geschaffen? Aber wenn heute von
altem Kunsthandwerke gesprochen wird, welchem das gegenwärtige wieder nach¬
strebt, so denkt man viel seltener an das Mittelalter als an das sechzehnte und
siebzehnte Jahrhundert. Und nun möge der Abgeordnete sich einmal erkundigen,
woher beispielsweise die Menge kunstreicher deutscher Tischler- und Schlosser¬
arbeiten stammt, welche die Freude der Museen und der Sammler bilden?
Die Mehrzahl ist Bürger- und Baueruhüusern in Schwaben, der Schweiz, Tirol,
Schleswig u. s. w. entnommen, Gegenden, in welchen die großen Kriege nicht
den allgemeinen Wohlstand so zertreten hatten, wie im größten Teile Mittel-
und Norddeutschlands. Wohlstand ist eben die erste Bedingung für das Ge¬
deihen des Kunsthandwerkes, heute wie damals. Wo die Mittel für ein be¬
hagliches Dasein vorhanden sind, da stellt sich auch leichter der Kunstsinn ein,
allein der findet nicht Befriedigung an Dingen, welche zu hundert oder tausend
Dutzenden aus derselben Form, unter derselben Stanze hervorgegangen sind.

Dann empfahl der Redner den Anhängern des Zunftwesens "die alten
Bücher über die Innungen" zu lesen und daraus zu lernen, daß es "keine
größern Klagen über Pfuscher und Bönhasen, die das Gewerbe verderben, gebe,
als in den so sehr gerühmten Zeiten der alten Zünfte." Nun beweisen der¬
artige Klagen vorerst nur, daß es auch früher Leute gegeben hat, welche die Be¬
dingungen für das Meisterwerden nicht erfüllen konnten oder wollten, und des¬
halb heimlich ein Gewerbe trieben, zu dem sie rechtlich nicht befugt waren.
Sie zogen im Lande umher und arbeiteten in den Häusern ihrer Kunden
("gingen auf die Stör," wie man noch jetzt in manchen Gegenden sagt), aber
sie erzogen nicht Lehrlinge zum Pfuscherhandwerk, und auf diesen Unterschied muß
großes Gewicht gelegt werden. Indessen bleibt wieder die Frage, welche Zeit
Herr Duvigneau im Auge gehabt hat. Vermutlich kennt er die von dem
Jenenser Professor Beier im siebzehnten Jahrhundert veranstaltete Sammlung
von Gesetzen, Ordnungen und Entscheidungen über das Gewerbewesen. Dann
muß er aber auch wissen, daß die Klagen über Pfuscher und Störer nicht aus
der Blütezeit der Zünfte stammen, sondern mit dem Rückgange des Wohl¬
standes zusammenhängen. Mit dieser Periode, in welcher die Zünfte glaubten,
durch kleinliche Beschränkung und Abschließung die Ungunst der Verhältnisse
überwinden zu können, beschäftigen sich die Freunde unbedingter Gewerbefreiheit
begreiflicherweise am liebsten. Es giebt aber auch Bücher genug, und nicht nur


Der Befähigiingsnachmeis.

ihrem Wesen aber nichts mit der Kunst zu schaffen haben, mithin auch nicht
zum Kunsthandwerk „gehoben" werden können. Der Redner ist über die Be¬
deutung dieses Wortes sichtlich im Unklaren, und es darf daher nicht über¬
raschen, daß er es mit dem Begriffe „altes Kunsthandwerk" so wenig gemein
nimmt. Der erste hier angezogene Satz hat eine gewisse Giltigkeit nnr für das
Mittelalter, nur ist das Wort „allenfalls" sehr übel am Platze, denn damals
waren es in allererster Linie Kirchen und Klöster, welche dem Kunsthcmdwerke
Arbeit gaben. Wer anders hat es denn geschaffen? Aber wenn heute von
altem Kunsthandwerke gesprochen wird, welchem das gegenwärtige wieder nach¬
strebt, so denkt man viel seltener an das Mittelalter als an das sechzehnte und
siebzehnte Jahrhundert. Und nun möge der Abgeordnete sich einmal erkundigen,
woher beispielsweise die Menge kunstreicher deutscher Tischler- und Schlosser¬
arbeiten stammt, welche die Freude der Museen und der Sammler bilden?
Die Mehrzahl ist Bürger- und Baueruhüusern in Schwaben, der Schweiz, Tirol,
Schleswig u. s. w. entnommen, Gegenden, in welchen die großen Kriege nicht
den allgemeinen Wohlstand so zertreten hatten, wie im größten Teile Mittel-
und Norddeutschlands. Wohlstand ist eben die erste Bedingung für das Ge¬
deihen des Kunsthandwerkes, heute wie damals. Wo die Mittel für ein be¬
hagliches Dasein vorhanden sind, da stellt sich auch leichter der Kunstsinn ein,
allein der findet nicht Befriedigung an Dingen, welche zu hundert oder tausend
Dutzenden aus derselben Form, unter derselben Stanze hervorgegangen sind.

Dann empfahl der Redner den Anhängern des Zunftwesens „die alten
Bücher über die Innungen" zu lesen und daraus zu lernen, daß es „keine
größern Klagen über Pfuscher und Bönhasen, die das Gewerbe verderben, gebe,
als in den so sehr gerühmten Zeiten der alten Zünfte." Nun beweisen der¬
artige Klagen vorerst nur, daß es auch früher Leute gegeben hat, welche die Be¬
dingungen für das Meisterwerden nicht erfüllen konnten oder wollten, und des¬
halb heimlich ein Gewerbe trieben, zu dem sie rechtlich nicht befugt waren.
Sie zogen im Lande umher und arbeiteten in den Häusern ihrer Kunden
(„gingen auf die Stör," wie man noch jetzt in manchen Gegenden sagt), aber
sie erzogen nicht Lehrlinge zum Pfuscherhandwerk, und auf diesen Unterschied muß
großes Gewicht gelegt werden. Indessen bleibt wieder die Frage, welche Zeit
Herr Duvigneau im Auge gehabt hat. Vermutlich kennt er die von dem
Jenenser Professor Beier im siebzehnten Jahrhundert veranstaltete Sammlung
von Gesetzen, Ordnungen und Entscheidungen über das Gewerbewesen. Dann
muß er aber auch wissen, daß die Klagen über Pfuscher und Störer nicht aus
der Blütezeit der Zünfte stammen, sondern mit dem Rückgange des Wohl¬
standes zusammenhängen. Mit dieser Periode, in welcher die Zünfte glaubten,
durch kleinliche Beschränkung und Abschließung die Ungunst der Verhältnisse
überwinden zu können, beschäftigen sich die Freunde unbedingter Gewerbefreiheit
begreiflicherweise am liebsten. Es giebt aber auch Bücher genug, und nicht nur


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[0611] Der Befähigiingsnachmeis. ihrem Wesen aber nichts mit der Kunst zu schaffen haben, mithin auch nicht zum Kunsthandwerk „gehoben" werden können. Der Redner ist über die Be¬ deutung dieses Wortes sichtlich im Unklaren, und es darf daher nicht über¬ raschen, daß er es mit dem Begriffe „altes Kunsthandwerk" so wenig gemein nimmt. Der erste hier angezogene Satz hat eine gewisse Giltigkeit nnr für das Mittelalter, nur ist das Wort „allenfalls" sehr übel am Platze, denn damals waren es in allererster Linie Kirchen und Klöster, welche dem Kunsthcmdwerke Arbeit gaben. Wer anders hat es denn geschaffen? Aber wenn heute von altem Kunsthandwerke gesprochen wird, welchem das gegenwärtige wieder nach¬ strebt, so denkt man viel seltener an das Mittelalter als an das sechzehnte und siebzehnte Jahrhundert. Und nun möge der Abgeordnete sich einmal erkundigen, woher beispielsweise die Menge kunstreicher deutscher Tischler- und Schlosser¬ arbeiten stammt, welche die Freude der Museen und der Sammler bilden? Die Mehrzahl ist Bürger- und Baueruhüusern in Schwaben, der Schweiz, Tirol, Schleswig u. s. w. entnommen, Gegenden, in welchen die großen Kriege nicht den allgemeinen Wohlstand so zertreten hatten, wie im größten Teile Mittel- und Norddeutschlands. Wohlstand ist eben die erste Bedingung für das Ge¬ deihen des Kunsthandwerkes, heute wie damals. Wo die Mittel für ein be¬ hagliches Dasein vorhanden sind, da stellt sich auch leichter der Kunstsinn ein, allein der findet nicht Befriedigung an Dingen, welche zu hundert oder tausend Dutzenden aus derselben Form, unter derselben Stanze hervorgegangen sind. Dann empfahl der Redner den Anhängern des Zunftwesens „die alten Bücher über die Innungen" zu lesen und daraus zu lernen, daß es „keine größern Klagen über Pfuscher und Bönhasen, die das Gewerbe verderben, gebe, als in den so sehr gerühmten Zeiten der alten Zünfte." Nun beweisen der¬ artige Klagen vorerst nur, daß es auch früher Leute gegeben hat, welche die Be¬ dingungen für das Meisterwerden nicht erfüllen konnten oder wollten, und des¬ halb heimlich ein Gewerbe trieben, zu dem sie rechtlich nicht befugt waren. Sie zogen im Lande umher und arbeiteten in den Häusern ihrer Kunden („gingen auf die Stör," wie man noch jetzt in manchen Gegenden sagt), aber sie erzogen nicht Lehrlinge zum Pfuscherhandwerk, und auf diesen Unterschied muß großes Gewicht gelegt werden. Indessen bleibt wieder die Frage, welche Zeit Herr Duvigneau im Auge gehabt hat. Vermutlich kennt er die von dem Jenenser Professor Beier im siebzehnten Jahrhundert veranstaltete Sammlung von Gesetzen, Ordnungen und Entscheidungen über das Gewerbewesen. Dann muß er aber auch wissen, daß die Klagen über Pfuscher und Störer nicht aus der Blütezeit der Zünfte stammen, sondern mit dem Rückgange des Wohl¬ standes zusammenhängen. Mit dieser Periode, in welcher die Zünfte glaubten, durch kleinliche Beschränkung und Abschließung die Ungunst der Verhältnisse überwinden zu können, beschäftigen sich die Freunde unbedingter Gewerbefreiheit begreiflicherweise am liebsten. Es giebt aber auch Bücher genug, und nicht nur

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/611>, abgerufen am 21.10.2024.