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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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David Beronski.

Langsam, in tiefe Gedanken versunken, ritt Alexei heim. Aus dem letzten
Häuschen des Ortes erklang eintöniger Gesang, und auf der Schwelle kauerte
ein Mädchen, den Kopf an die Thür gelehut, träumerisch in die verglühende
Pracht des Abendhimmels blickend. Das scheidende Licht fiel voll auf ihr
blasses Gesicht, aus dem große, dunkelblaue Augen mit wunderbar sehnsüchtigem,
verlangendem Ausdrucke der sinkenden Sonne nachsähen. Ein dunkelblauer
Kaftan, mit einer groben Schnur um ihre feinen Hüften festgehalten, zerrissen
und alt, zeigte ihre zarte, noch halb kindliche Gestalt. Lichtbrauncs Haar, ans
dem ein goldiger Schimmer lag, hing aufgelöst um ihren zierlichen Kopf, und
in dem Lichte der rötlich untergehenden Sonne wob sich ein leuchtender Schein
um ihr Haupt, das an dem braunen Thürgewände ruhte.

Unwillkürlich hielt Alexei sein Pferd an, durch das schöne Bild gefesselt.
Das Mädchen richtete sich auf und blickte ihn groß und fragend an. Verwirre
griff er in die Tasche, warf ihr ein Silberstück zu und ritt rasch davon.

Das Tageslicht schwand, die Sterne traten am Himmel hervor, der ein¬
tönige Gesang war verstummt, nächtliche Ruhe, Feiertagsfrieden lag über der
Stadt. Da erhob sich in der Sabbathstille plötzlich wüster Lärm und lautes
Geschrei. Das noch immer vor der Hütte kauernde Mädchen schrak zusammen,
schlüpfte hinein und lugte dann vorsichtig durch eine Thürspalte. Es dauerte
nicht lange, da flog wie ein vom Bogen geschnellter Pfeil der junge Mensch,
welchen David Rüben genannt hatte, über die Straße, stürzte in die Hütte
schlug hastig die Thür zu, verriegelte sie und sank atemlos drin zu Boden.
Draußen kam das Geschrei immer näher, man konnte Drohungen und Ver¬
wünschungen unterscheiden, Fäuste donnerten gegen die Thür, die schon in ihren
Angeln erzitterte. Da ertönte eine ernste Stimme, welche laut, mit eindring¬
lichem, zürnendem Eifer sprach, worauf der Lärm nach und nach verstummte,
sich alles verlor und wieder tiefe Stille herrschte.

Aufatmend sahen sich die beiden im Innern der Hütte in die schreckens¬
bleichen Gesichter, während eine vor Alter zitternde Stimme aus einem Gemache
heraus ein Dankgebet stammelte.

Sie werden uns eines Tages töten, flüsterte Rüben.

Nicht, so lange David Berouskis Stimme uns schützt, antwortete das
Mädchen. Sie preßte die Hände auf ihren Busen und blickte empor, das bleiche
Antlitz von plötzlicher Glut übergössen.

Er wird nicht immer hier bleiben, sagte Rüben finster. Er ist ein
schwacher Mensch, der sich nicht selbst helfen kann, sonst ginge er schon morgen
fort, und dann --

Was würde dann aus uns? fragten die bebenden Mädchenlippen, und der
kleinen Hand entfiel Alexeis Geldstück, das sie mechanisch die ganze Zeit über
festgehalten hatte.

Was ist das? Woher hast du das? rief Rüben und nahm es schnell an


David Beronski.

Langsam, in tiefe Gedanken versunken, ritt Alexei heim. Aus dem letzten
Häuschen des Ortes erklang eintöniger Gesang, und auf der Schwelle kauerte
ein Mädchen, den Kopf an die Thür gelehut, träumerisch in die verglühende
Pracht des Abendhimmels blickend. Das scheidende Licht fiel voll auf ihr
blasses Gesicht, aus dem große, dunkelblaue Augen mit wunderbar sehnsüchtigem,
verlangendem Ausdrucke der sinkenden Sonne nachsähen. Ein dunkelblauer
Kaftan, mit einer groben Schnur um ihre feinen Hüften festgehalten, zerrissen
und alt, zeigte ihre zarte, noch halb kindliche Gestalt. Lichtbrauncs Haar, ans
dem ein goldiger Schimmer lag, hing aufgelöst um ihren zierlichen Kopf, und
in dem Lichte der rötlich untergehenden Sonne wob sich ein leuchtender Schein
um ihr Haupt, das an dem braunen Thürgewände ruhte.

Unwillkürlich hielt Alexei sein Pferd an, durch das schöne Bild gefesselt.
Das Mädchen richtete sich auf und blickte ihn groß und fragend an. Verwirre
griff er in die Tasche, warf ihr ein Silberstück zu und ritt rasch davon.

Das Tageslicht schwand, die Sterne traten am Himmel hervor, der ein¬
tönige Gesang war verstummt, nächtliche Ruhe, Feiertagsfrieden lag über der
Stadt. Da erhob sich in der Sabbathstille plötzlich wüster Lärm und lautes
Geschrei. Das noch immer vor der Hütte kauernde Mädchen schrak zusammen,
schlüpfte hinein und lugte dann vorsichtig durch eine Thürspalte. Es dauerte
nicht lange, da flog wie ein vom Bogen geschnellter Pfeil der junge Mensch,
welchen David Rüben genannt hatte, über die Straße, stürzte in die Hütte
schlug hastig die Thür zu, verriegelte sie und sank atemlos drin zu Boden.
Draußen kam das Geschrei immer näher, man konnte Drohungen und Ver¬
wünschungen unterscheiden, Fäuste donnerten gegen die Thür, die schon in ihren
Angeln erzitterte. Da ertönte eine ernste Stimme, welche laut, mit eindring¬
lichem, zürnendem Eifer sprach, worauf der Lärm nach und nach verstummte,
sich alles verlor und wieder tiefe Stille herrschte.

Aufatmend sahen sich die beiden im Innern der Hütte in die schreckens¬
bleichen Gesichter, während eine vor Alter zitternde Stimme aus einem Gemache
heraus ein Dankgebet stammelte.

Sie werden uns eines Tages töten, flüsterte Rüben.

Nicht, so lange David Berouskis Stimme uns schützt, antwortete das
Mädchen. Sie preßte die Hände auf ihren Busen und blickte empor, das bleiche
Antlitz von plötzlicher Glut übergössen.

Er wird nicht immer hier bleiben, sagte Rüben finster. Er ist ein
schwacher Mensch, der sich nicht selbst helfen kann, sonst ginge er schon morgen
fort, und dann —

Was würde dann aus uns? fragten die bebenden Mädchenlippen, und der
kleinen Hand entfiel Alexeis Geldstück, das sie mechanisch die ganze Zeit über
festgehalten hatte.

Was ist das? Woher hast du das? rief Rüben und nahm es schnell an


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[0061] David Beronski. Langsam, in tiefe Gedanken versunken, ritt Alexei heim. Aus dem letzten Häuschen des Ortes erklang eintöniger Gesang, und auf der Schwelle kauerte ein Mädchen, den Kopf an die Thür gelehut, träumerisch in die verglühende Pracht des Abendhimmels blickend. Das scheidende Licht fiel voll auf ihr blasses Gesicht, aus dem große, dunkelblaue Augen mit wunderbar sehnsüchtigem, verlangendem Ausdrucke der sinkenden Sonne nachsähen. Ein dunkelblauer Kaftan, mit einer groben Schnur um ihre feinen Hüften festgehalten, zerrissen und alt, zeigte ihre zarte, noch halb kindliche Gestalt. Lichtbrauncs Haar, ans dem ein goldiger Schimmer lag, hing aufgelöst um ihren zierlichen Kopf, und in dem Lichte der rötlich untergehenden Sonne wob sich ein leuchtender Schein um ihr Haupt, das an dem braunen Thürgewände ruhte. Unwillkürlich hielt Alexei sein Pferd an, durch das schöne Bild gefesselt. Das Mädchen richtete sich auf und blickte ihn groß und fragend an. Verwirre griff er in die Tasche, warf ihr ein Silberstück zu und ritt rasch davon. Das Tageslicht schwand, die Sterne traten am Himmel hervor, der ein¬ tönige Gesang war verstummt, nächtliche Ruhe, Feiertagsfrieden lag über der Stadt. Da erhob sich in der Sabbathstille plötzlich wüster Lärm und lautes Geschrei. Das noch immer vor der Hütte kauernde Mädchen schrak zusammen, schlüpfte hinein und lugte dann vorsichtig durch eine Thürspalte. Es dauerte nicht lange, da flog wie ein vom Bogen geschnellter Pfeil der junge Mensch, welchen David Rüben genannt hatte, über die Straße, stürzte in die Hütte schlug hastig die Thür zu, verriegelte sie und sank atemlos drin zu Boden. Draußen kam das Geschrei immer näher, man konnte Drohungen und Ver¬ wünschungen unterscheiden, Fäuste donnerten gegen die Thür, die schon in ihren Angeln erzitterte. Da ertönte eine ernste Stimme, welche laut, mit eindring¬ lichem, zürnendem Eifer sprach, worauf der Lärm nach und nach verstummte, sich alles verlor und wieder tiefe Stille herrschte. Aufatmend sahen sich die beiden im Innern der Hütte in die schreckens¬ bleichen Gesichter, während eine vor Alter zitternde Stimme aus einem Gemache heraus ein Dankgebet stammelte. Sie werden uns eines Tages töten, flüsterte Rüben. Nicht, so lange David Berouskis Stimme uns schützt, antwortete das Mädchen. Sie preßte die Hände auf ihren Busen und blickte empor, das bleiche Antlitz von plötzlicher Glut übergössen. Er wird nicht immer hier bleiben, sagte Rüben finster. Er ist ein schwacher Mensch, der sich nicht selbst helfen kann, sonst ginge er schon morgen fort, und dann — Was würde dann aus uns? fragten die bebenden Mädchenlippen, und der kleinen Hand entfiel Alexeis Geldstück, das sie mechanisch die ganze Zeit über festgehalten hatte. Was ist das? Woher hast du das? rief Rüben und nahm es schnell an

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/61>, abgerufen am 28.09.2024.