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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Die Lebenserinnerungen des Grafen von Schock.

selbst bedeutungsvoll gewesen sei. Wir brauchen nicht hervorzuheben, daß die
Umrisse von Schacks Lebenserinnerungen eine Fülle von Inhalt bergen. Kaum
eine hervorragende Persönlichkeit des letzten Halbjahrhunderts, mit der Schack
nicht in Berührung oder Beziehung getreten wäre, kaum eine geistige Ent¬
wicklung, die nicht seine tiefere Teilnahme geweckt hätte. Die Geburth- und
Lebensverhältnisse des jungen Aristokraten haben es mit sich gebracht, daß er
sich in allen Gesellschaftskreisen mit Freiheit bewegen, jede Art Verbindung
anknüpfen und festhalten konnte, an der ihm selbst gelegen war. Die eignen,
für Schacks Leben mehr als die äußere Glückstage bestimmenden Neigungen
ließen ihn sein Leben hindurch den Umgang und den belebenden Verkehr mit
Dichtern und Künstlern suchen. So hat sich in das Halbjahrhundert, welches
die Schackschen Aufzeichnungen schildern, eine Reihe von Bildern und Gestalten
buntester, mannichfachster Art zusammengedrängt, überall eröffnen sich Rückblicke
und Ausblicke der bedeutendsten Art, und mit uns werden alle Leser dieser Er¬
innerungen bedauern, daß der Verfasser viele wichtige Erlebnisse und Erscheinungen
nur flüchtig streift, sich auf die knappsten Worte beschränkt und gar vielem
Hochinteressanten aus der Vergangenheit, das er mitzuteilen vermöchte, keinen
Wert mehr für die Gegenwart beilegt. Das Alter hat ihn nicht geschwätzig
gemacht, eher das Gegenteil, und nur wo es sich um die zahllosen äußern
Herrlichkeiten der Welt handelt, die er schauen durfte, wird er redseliger. Mehr
als die Hälfte der dreibändigen Aufzeichnungen ist den "Tagebuchblättern" von
seinen Reisen gewidmet, Blättern, die sich vom April 1839 bis zum Dezember
1883 erstrecke". Von diesen Ausnahmen abgesehen, eilt der Verfasser gern über
Begegnungen und innere Empfindungen hinweg, von denen wir mehr zu erfahren
wünschten. Und dies gilt nicht nur von Gefühlen und jenen innersten Er¬
lebnissen, auf welche die Welt kein Recht hat und deren Graf Schack S. 232
karg, aber für den Verstehenden völlig genügend mit den Worten gedenkt: "In
die Zeit, welche meiner Rückkehr nach Frankfurt folgte, fällt ein Ereignis, das
einen düstern Schatten über mein späteres Leben gebreitet hat. Es widerstrebt
mir völlig, in diesen Lebenserinnerungen von intimen Herzensangelegenheiten
zu reden; nur der heiligen Stimme der Dichtkunst habe ich es gegönnt, einiges
davon verlauten zu lassen. Hier sei einzig gesagt, daß das Mädchen, welches
ich mit aller Glut und Tiefe der Empfindung liebte, deren mein Wesen fähig
ist, plötzlich durch eine hitzige Krankheit von der Welt hinweggenommen wurde.
Es sind später, freilich erst Jahre nachher, entre Neigungen in mir erwacht,
aber keine hatte die Stärke dieser ersten." Doch die Knappheit und die Flüchtig¬
keit, mit welcher Schack einer ganzen Reihe von Momenten und Persönlichkeiten
gedenkt, über die er offenbar Eingehendes und Wichtiges mitzuteilen vermöchte,
wiederholt sich im ganzen Verlaufe seiner Erinnerungen. Er unterdrückt oft
die Bemerkung nicht, daß Erzählungen über zurückliegende Dinge mir noch
Wenig Teilnahme finden würden, daß er sich deshalb mit ein paar Andeutungen


Die Lebenserinnerungen des Grafen von Schock.

selbst bedeutungsvoll gewesen sei. Wir brauchen nicht hervorzuheben, daß die
Umrisse von Schacks Lebenserinnerungen eine Fülle von Inhalt bergen. Kaum
eine hervorragende Persönlichkeit des letzten Halbjahrhunderts, mit der Schack
nicht in Berührung oder Beziehung getreten wäre, kaum eine geistige Ent¬
wicklung, die nicht seine tiefere Teilnahme geweckt hätte. Die Geburth- und
Lebensverhältnisse des jungen Aristokraten haben es mit sich gebracht, daß er
sich in allen Gesellschaftskreisen mit Freiheit bewegen, jede Art Verbindung
anknüpfen und festhalten konnte, an der ihm selbst gelegen war. Die eignen,
für Schacks Leben mehr als die äußere Glückstage bestimmenden Neigungen
ließen ihn sein Leben hindurch den Umgang und den belebenden Verkehr mit
Dichtern und Künstlern suchen. So hat sich in das Halbjahrhundert, welches
die Schackschen Aufzeichnungen schildern, eine Reihe von Bildern und Gestalten
buntester, mannichfachster Art zusammengedrängt, überall eröffnen sich Rückblicke
und Ausblicke der bedeutendsten Art, und mit uns werden alle Leser dieser Er¬
innerungen bedauern, daß der Verfasser viele wichtige Erlebnisse und Erscheinungen
nur flüchtig streift, sich auf die knappsten Worte beschränkt und gar vielem
Hochinteressanten aus der Vergangenheit, das er mitzuteilen vermöchte, keinen
Wert mehr für die Gegenwart beilegt. Das Alter hat ihn nicht geschwätzig
gemacht, eher das Gegenteil, und nur wo es sich um die zahllosen äußern
Herrlichkeiten der Welt handelt, die er schauen durfte, wird er redseliger. Mehr
als die Hälfte der dreibändigen Aufzeichnungen ist den „Tagebuchblättern" von
seinen Reisen gewidmet, Blättern, die sich vom April 1839 bis zum Dezember
1883 erstrecke». Von diesen Ausnahmen abgesehen, eilt der Verfasser gern über
Begegnungen und innere Empfindungen hinweg, von denen wir mehr zu erfahren
wünschten. Und dies gilt nicht nur von Gefühlen und jenen innersten Er¬
lebnissen, auf welche die Welt kein Recht hat und deren Graf Schack S. 232
karg, aber für den Verstehenden völlig genügend mit den Worten gedenkt: „In
die Zeit, welche meiner Rückkehr nach Frankfurt folgte, fällt ein Ereignis, das
einen düstern Schatten über mein späteres Leben gebreitet hat. Es widerstrebt
mir völlig, in diesen Lebenserinnerungen von intimen Herzensangelegenheiten
zu reden; nur der heiligen Stimme der Dichtkunst habe ich es gegönnt, einiges
davon verlauten zu lassen. Hier sei einzig gesagt, daß das Mädchen, welches
ich mit aller Glut und Tiefe der Empfindung liebte, deren mein Wesen fähig
ist, plötzlich durch eine hitzige Krankheit von der Welt hinweggenommen wurde.
Es sind später, freilich erst Jahre nachher, entre Neigungen in mir erwacht,
aber keine hatte die Stärke dieser ersten." Doch die Knappheit und die Flüchtig¬
keit, mit welcher Schack einer ganzen Reihe von Momenten und Persönlichkeiten
gedenkt, über die er offenbar Eingehendes und Wichtiges mitzuteilen vermöchte,
wiederholt sich im ganzen Verlaufe seiner Erinnerungen. Er unterdrückt oft
die Bemerkung nicht, daß Erzählungen über zurückliegende Dinge mir noch
Wenig Teilnahme finden würden, daß er sich deshalb mit ein paar Andeutungen


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[0603] Die Lebenserinnerungen des Grafen von Schock. selbst bedeutungsvoll gewesen sei. Wir brauchen nicht hervorzuheben, daß die Umrisse von Schacks Lebenserinnerungen eine Fülle von Inhalt bergen. Kaum eine hervorragende Persönlichkeit des letzten Halbjahrhunderts, mit der Schack nicht in Berührung oder Beziehung getreten wäre, kaum eine geistige Ent¬ wicklung, die nicht seine tiefere Teilnahme geweckt hätte. Die Geburth- und Lebensverhältnisse des jungen Aristokraten haben es mit sich gebracht, daß er sich in allen Gesellschaftskreisen mit Freiheit bewegen, jede Art Verbindung anknüpfen und festhalten konnte, an der ihm selbst gelegen war. Die eignen, für Schacks Leben mehr als die äußere Glückstage bestimmenden Neigungen ließen ihn sein Leben hindurch den Umgang und den belebenden Verkehr mit Dichtern und Künstlern suchen. So hat sich in das Halbjahrhundert, welches die Schackschen Aufzeichnungen schildern, eine Reihe von Bildern und Gestalten buntester, mannichfachster Art zusammengedrängt, überall eröffnen sich Rückblicke und Ausblicke der bedeutendsten Art, und mit uns werden alle Leser dieser Er¬ innerungen bedauern, daß der Verfasser viele wichtige Erlebnisse und Erscheinungen nur flüchtig streift, sich auf die knappsten Worte beschränkt und gar vielem Hochinteressanten aus der Vergangenheit, das er mitzuteilen vermöchte, keinen Wert mehr für die Gegenwart beilegt. Das Alter hat ihn nicht geschwätzig gemacht, eher das Gegenteil, und nur wo es sich um die zahllosen äußern Herrlichkeiten der Welt handelt, die er schauen durfte, wird er redseliger. Mehr als die Hälfte der dreibändigen Aufzeichnungen ist den „Tagebuchblättern" von seinen Reisen gewidmet, Blättern, die sich vom April 1839 bis zum Dezember 1883 erstrecke». Von diesen Ausnahmen abgesehen, eilt der Verfasser gern über Begegnungen und innere Empfindungen hinweg, von denen wir mehr zu erfahren wünschten. Und dies gilt nicht nur von Gefühlen und jenen innersten Er¬ lebnissen, auf welche die Welt kein Recht hat und deren Graf Schack S. 232 karg, aber für den Verstehenden völlig genügend mit den Worten gedenkt: „In die Zeit, welche meiner Rückkehr nach Frankfurt folgte, fällt ein Ereignis, das einen düstern Schatten über mein späteres Leben gebreitet hat. Es widerstrebt mir völlig, in diesen Lebenserinnerungen von intimen Herzensangelegenheiten zu reden; nur der heiligen Stimme der Dichtkunst habe ich es gegönnt, einiges davon verlauten zu lassen. Hier sei einzig gesagt, daß das Mädchen, welches ich mit aller Glut und Tiefe der Empfindung liebte, deren mein Wesen fähig ist, plötzlich durch eine hitzige Krankheit von der Welt hinweggenommen wurde. Es sind später, freilich erst Jahre nachher, entre Neigungen in mir erwacht, aber keine hatte die Stärke dieser ersten." Doch die Knappheit und die Flüchtig¬ keit, mit welcher Schack einer ganzen Reihe von Momenten und Persönlichkeiten gedenkt, über die er offenbar Eingehendes und Wichtiges mitzuteilen vermöchte, wiederholt sich im ganzen Verlaufe seiner Erinnerungen. Er unterdrückt oft die Bemerkung nicht, daß Erzählungen über zurückliegende Dinge mir noch Wenig Teilnahme finden würden, daß er sich deshalb mit ein paar Andeutungen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/603>, abgerufen am 28.09.2024.