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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Die Lebenserinnerungen des Grafen von Schack.

wörtlich befolgt zu werden und sogar einige Erweiterungen über das Wesentliche
hinaus zu erfahren. Denn es sind uns in jüngster Zeit Bücher genug zu
Gesicht gekommen, deren bedeutungsloser Inhalt mit ihrer lässigen, ja trivialen
Form wetteiferte.

So wenig man irgend ein Werk auf seinen Titel und Verfassernamen hin
endgiltig beurteilen kann, so bietet doch schon der Titel: Ein halbes Jahr¬
hundert. Erinnerungen und Aufzeichnungen von Adolf Friedrich Graf von
Schack (Stuttgart und Leipzig, Deutsche Verlagsanstalt) eine Bürgschaft für
den Leser, daß er es hier mit einem Buche höhern Anspruchs und edlern Ge¬
präges zu thun hat. Der Ruf von Graf Schacks umfassenden Studien und
Reisen ist weit genug gedrungen, seine Anerkennung als Dichter (obwohl immer
noch außer Verhältnis zu seinen Leistungen) genug gewachsen, um Teilnahme
an Schacks persönlichen Erlebnissen und Erfahrungen zu wecken und von vornherein
die Sicherheit zu geben, daß es sich hier nicht um ein alltägliches Leben handle.
Gewiß ist auch das einfachste Dasein wichtig und bedeutungsvoll, das von Ernst
und Liebe erfüllt, in menschlich höherm Sinne geführt wird, wohl kann sich in
die engste Begrenzung die reichste Fülle der Beobachtung und Erkenntnis zu¬
sammendrängen, aber um das Recht zu gewinnen, seine persönlichen Schicksale
darzustellen, muß man nicht nur etwas erlebt haben, sondern auch darstellen
können, und insofern hat freilich Graf Schack, der zugleich Weltmann und Dichter
von innerm Adel ist, vor hundert andern Verfassern von Lebenserinnerungen
die ersten Schritte voraus. Was ihm sonst ein seltenes, aber auch außergewöhnlich
gut benutztes Lebensglück an günstigen Voraussetzungen und Eindrücken gesichert
hat, ergeben am besten seine Aufzeichnungen selbst.

Der äußere Umriß von Graf Schacks Erlebnissen ist mit wenigen Worten
wiederzugeben. Geboren (1815) als Sohn einer mecklenburgischen alten Frei¬
herrnfamilie, verbrachte er eine glückliche Kindheit auf dem Gute Brüscwitz,
das ein großer, grünender Park und zwei von Eichen- und Buchenwald um¬
gebene Seen zu einem angenehmen Landsitze machten. Nach dem Besuche des
Pädagogiums zu Halle und des Gymnasiums zu Frankfurt am Main (wo
Schacks Vater großherzoglich mecklenburgischer Bundestagsgesandter war)
studirte der junge Mann in Bonn und Berlin die Rechte und erledigte mit
dem Ausblick auf eine spätere diplomatische Laufbahn das vorgeschriebene Jahr
beim Berliner Kriminalgericht, dem ein zweites Neferendarjahr bei einer preu¬
ßischen Negierung folgen sollte. Ehe es zu diesem kam, erhielt Baron Schack
bei der Rückkehr von seiner ersten großen Reise nach Sizilien, Griechenland,
Kleinasien, Palästina, Malta, Spanien und Portugal die Ernennung zum Le¬
gationssekretär bei der mecklenburgischen Bundestagsgesandtschaft. Der Nichtig¬
keit des von seinem nächsten Berufe unzertrennlichen gesellschaftlichen Treibens
entzog sich der junge Diplomat auf seine Weise. Die Mußestunden, deren er
zahllose hatte, füllte er neben eignen dichterischen Versuchen mit ernsten Arbeiten


Die Lebenserinnerungen des Grafen von Schack.

wörtlich befolgt zu werden und sogar einige Erweiterungen über das Wesentliche
hinaus zu erfahren. Denn es sind uns in jüngster Zeit Bücher genug zu
Gesicht gekommen, deren bedeutungsloser Inhalt mit ihrer lässigen, ja trivialen
Form wetteiferte.

So wenig man irgend ein Werk auf seinen Titel und Verfassernamen hin
endgiltig beurteilen kann, so bietet doch schon der Titel: Ein halbes Jahr¬
hundert. Erinnerungen und Aufzeichnungen von Adolf Friedrich Graf von
Schack (Stuttgart und Leipzig, Deutsche Verlagsanstalt) eine Bürgschaft für
den Leser, daß er es hier mit einem Buche höhern Anspruchs und edlern Ge¬
präges zu thun hat. Der Ruf von Graf Schacks umfassenden Studien und
Reisen ist weit genug gedrungen, seine Anerkennung als Dichter (obwohl immer
noch außer Verhältnis zu seinen Leistungen) genug gewachsen, um Teilnahme
an Schacks persönlichen Erlebnissen und Erfahrungen zu wecken und von vornherein
die Sicherheit zu geben, daß es sich hier nicht um ein alltägliches Leben handle.
Gewiß ist auch das einfachste Dasein wichtig und bedeutungsvoll, das von Ernst
und Liebe erfüllt, in menschlich höherm Sinne geführt wird, wohl kann sich in
die engste Begrenzung die reichste Fülle der Beobachtung und Erkenntnis zu¬
sammendrängen, aber um das Recht zu gewinnen, seine persönlichen Schicksale
darzustellen, muß man nicht nur etwas erlebt haben, sondern auch darstellen
können, und insofern hat freilich Graf Schack, der zugleich Weltmann und Dichter
von innerm Adel ist, vor hundert andern Verfassern von Lebenserinnerungen
die ersten Schritte voraus. Was ihm sonst ein seltenes, aber auch außergewöhnlich
gut benutztes Lebensglück an günstigen Voraussetzungen und Eindrücken gesichert
hat, ergeben am besten seine Aufzeichnungen selbst.

Der äußere Umriß von Graf Schacks Erlebnissen ist mit wenigen Worten
wiederzugeben. Geboren (1815) als Sohn einer mecklenburgischen alten Frei¬
herrnfamilie, verbrachte er eine glückliche Kindheit auf dem Gute Brüscwitz,
das ein großer, grünender Park und zwei von Eichen- und Buchenwald um¬
gebene Seen zu einem angenehmen Landsitze machten. Nach dem Besuche des
Pädagogiums zu Halle und des Gymnasiums zu Frankfurt am Main (wo
Schacks Vater großherzoglich mecklenburgischer Bundestagsgesandter war)
studirte der junge Mann in Bonn und Berlin die Rechte und erledigte mit
dem Ausblick auf eine spätere diplomatische Laufbahn das vorgeschriebene Jahr
beim Berliner Kriminalgericht, dem ein zweites Neferendarjahr bei einer preu¬
ßischen Negierung folgen sollte. Ehe es zu diesem kam, erhielt Baron Schack
bei der Rückkehr von seiner ersten großen Reise nach Sizilien, Griechenland,
Kleinasien, Palästina, Malta, Spanien und Portugal die Ernennung zum Le¬
gationssekretär bei der mecklenburgischen Bundestagsgesandtschaft. Der Nichtig¬
keit des von seinem nächsten Berufe unzertrennlichen gesellschaftlichen Treibens
entzog sich der junge Diplomat auf seine Weise. Die Mußestunden, deren er
zahllose hatte, füllte er neben eignen dichterischen Versuchen mit ernsten Arbeiten


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[0600] Die Lebenserinnerungen des Grafen von Schack. wörtlich befolgt zu werden und sogar einige Erweiterungen über das Wesentliche hinaus zu erfahren. Denn es sind uns in jüngster Zeit Bücher genug zu Gesicht gekommen, deren bedeutungsloser Inhalt mit ihrer lässigen, ja trivialen Form wetteiferte. So wenig man irgend ein Werk auf seinen Titel und Verfassernamen hin endgiltig beurteilen kann, so bietet doch schon der Titel: Ein halbes Jahr¬ hundert. Erinnerungen und Aufzeichnungen von Adolf Friedrich Graf von Schack (Stuttgart und Leipzig, Deutsche Verlagsanstalt) eine Bürgschaft für den Leser, daß er es hier mit einem Buche höhern Anspruchs und edlern Ge¬ präges zu thun hat. Der Ruf von Graf Schacks umfassenden Studien und Reisen ist weit genug gedrungen, seine Anerkennung als Dichter (obwohl immer noch außer Verhältnis zu seinen Leistungen) genug gewachsen, um Teilnahme an Schacks persönlichen Erlebnissen und Erfahrungen zu wecken und von vornherein die Sicherheit zu geben, daß es sich hier nicht um ein alltägliches Leben handle. Gewiß ist auch das einfachste Dasein wichtig und bedeutungsvoll, das von Ernst und Liebe erfüllt, in menschlich höherm Sinne geführt wird, wohl kann sich in die engste Begrenzung die reichste Fülle der Beobachtung und Erkenntnis zu¬ sammendrängen, aber um das Recht zu gewinnen, seine persönlichen Schicksale darzustellen, muß man nicht nur etwas erlebt haben, sondern auch darstellen können, und insofern hat freilich Graf Schack, der zugleich Weltmann und Dichter von innerm Adel ist, vor hundert andern Verfassern von Lebenserinnerungen die ersten Schritte voraus. Was ihm sonst ein seltenes, aber auch außergewöhnlich gut benutztes Lebensglück an günstigen Voraussetzungen und Eindrücken gesichert hat, ergeben am besten seine Aufzeichnungen selbst. Der äußere Umriß von Graf Schacks Erlebnissen ist mit wenigen Worten wiederzugeben. Geboren (1815) als Sohn einer mecklenburgischen alten Frei¬ herrnfamilie, verbrachte er eine glückliche Kindheit auf dem Gute Brüscwitz, das ein großer, grünender Park und zwei von Eichen- und Buchenwald um¬ gebene Seen zu einem angenehmen Landsitze machten. Nach dem Besuche des Pädagogiums zu Halle und des Gymnasiums zu Frankfurt am Main (wo Schacks Vater großherzoglich mecklenburgischer Bundestagsgesandter war) studirte der junge Mann in Bonn und Berlin die Rechte und erledigte mit dem Ausblick auf eine spätere diplomatische Laufbahn das vorgeschriebene Jahr beim Berliner Kriminalgericht, dem ein zweites Neferendarjahr bei einer preu¬ ßischen Negierung folgen sollte. Ehe es zu diesem kam, erhielt Baron Schack bei der Rückkehr von seiner ersten großen Reise nach Sizilien, Griechenland, Kleinasien, Palästina, Malta, Spanien und Portugal die Ernennung zum Le¬ gationssekretär bei der mecklenburgischen Bundestagsgesandtschaft. Der Nichtig¬ keit des von seinem nächsten Berufe unzertrennlichen gesellschaftlichen Treibens entzog sich der junge Diplomat auf seine Weise. Die Mußestunden, deren er zahllose hatte, füllte er neben eignen dichterischen Versuchen mit ernsten Arbeiten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/600>, abgerufen am 28.09.2024.