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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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David Beronski.

fort und sagte leise und hastig: Ich will dir anvertrauen, was nie über meine
Lippen gehen sollte, ich kann es nicht ertragen, in deinen Augen in falschem
Lichte dazustehen. Ich widerstand -- sie sperrten mich ein. Vierzehn Tage
habe ich im Gefängnis zugebracht, wegen Ungehorsam und Auflehnung gegen
meine Eltern. Man bot alles auf, meinen Sinn zu ändern, meinen Widerstand
zu brechen -- ich blieb fest. Da kam meine Mutter zu mir. In der Nacht,
als ich ihrer mit der Überzeugung gedachte, daß sie für mich wirke und mein
Glück herbeizuführen wünsche, so wie ich es verstand, sie kam und -- er erhob
seine Stimme und faßte Alexeis Arm -- flehte mich an, nicht ihr Herz zu
brechen, beschwor mich, ihr nicht die Schmach anzuthun, ein ungehorsames Kind
aufgezogen zu haben. Sie weinte, Alcxei, und bat mich unter heißen Thränen,
unsre Trennung nicht zu verlängern, sie entbehre mich, sehne sich nach mir, und
man werde es sie büßen lassen, daß sie meinem Knabenwünsche nachgegeben und
mich auf eine andre Schule geschickt habe. Schon jetzt sage man ihr, mein
Benehmen sei die Frucht solcher Schwäche --

Sie mußte sich doch sagen, daß die natürliche Folge deiner Erziehung eine
freiere Denkart sein würde --

Und sollte ich sie nun für ihre Güte gegen mich strafe", anstatt ihr zu
danken? Als ich sie so bitterlich schluchzen hörte, da fühlte ich, daß mir nichts
zu schwer sein dürfe, um ihr meinen Dank zu beweisen für die schönen und
glücklichen Jugendjahre, die mir eine so reiche, neue Welt erschlossen hatten.
Sollte ich ihre Welt arm und leer machen, weil sie mir Schätze zu sammeln
erlaubt hatte, die sie nicht kannte? Alexei! Ich gab nach! Doch, bei Gott dem
Allwissenden, nichts andres hätte mich so weit bringen können.

Er hatte immer lauter und aufgeregter gesprochen; jetzt schlug er mit der
flachen Hand heftig auf den Tisch. Die Kinder erschraken und fingen an zu
schreien. Sofort öffnete sich die Thür, Davids Frau trat ein, nahm die wei¬
nenden Kinder auf und trug sie fort, wobei sie eiuen so bösen Blick auf Alexei
heftete, daß dieser davor erschrak.

Armer David! Alexeis Lippen blieben stumm, nur sein Blick sprach.

Die Stunde des Sabbaths ist nahe, sagte David nach einer langen, pein¬
lichen Pause, es ist wohl besser, du gehst und -- auch besser, du kommst nicht
wieder hierher. Du kannst dich hier nicht wohl fühlen.

Komm zu mir, David, oder ist es dir zu weit? Dann sage mir, wo ich
dich treffen kann, wir müssen uns doch sehen.

Ich komme gern zu dir, und wir können uns auch treffen. Morgen ist
Sabbath, auch übermorgen bin ich erst gegen Abend frei. Kannst du an den
Teich kommen? O, Alexei! Dein Anblick ist mir wie ein schöner Traum, wie
eine Erinnerung, die ich jeden Augenblick zu verlieren fürchte, ein Sonnenstrahl,
ein Stück jenes vergangenen, zauberhaft schönen Lebens.

Seine Stimme erstarb, er barg sein Antlitz an Alexeis Schulter.


David Beronski.

fort und sagte leise und hastig: Ich will dir anvertrauen, was nie über meine
Lippen gehen sollte, ich kann es nicht ertragen, in deinen Augen in falschem
Lichte dazustehen. Ich widerstand — sie sperrten mich ein. Vierzehn Tage
habe ich im Gefängnis zugebracht, wegen Ungehorsam und Auflehnung gegen
meine Eltern. Man bot alles auf, meinen Sinn zu ändern, meinen Widerstand
zu brechen — ich blieb fest. Da kam meine Mutter zu mir. In der Nacht,
als ich ihrer mit der Überzeugung gedachte, daß sie für mich wirke und mein
Glück herbeizuführen wünsche, so wie ich es verstand, sie kam und — er erhob
seine Stimme und faßte Alexeis Arm — flehte mich an, nicht ihr Herz zu
brechen, beschwor mich, ihr nicht die Schmach anzuthun, ein ungehorsames Kind
aufgezogen zu haben. Sie weinte, Alcxei, und bat mich unter heißen Thränen,
unsre Trennung nicht zu verlängern, sie entbehre mich, sehne sich nach mir, und
man werde es sie büßen lassen, daß sie meinem Knabenwünsche nachgegeben und
mich auf eine andre Schule geschickt habe. Schon jetzt sage man ihr, mein
Benehmen sei die Frucht solcher Schwäche —

Sie mußte sich doch sagen, daß die natürliche Folge deiner Erziehung eine
freiere Denkart sein würde —

Und sollte ich sie nun für ihre Güte gegen mich strafe», anstatt ihr zu
danken? Als ich sie so bitterlich schluchzen hörte, da fühlte ich, daß mir nichts
zu schwer sein dürfe, um ihr meinen Dank zu beweisen für die schönen und
glücklichen Jugendjahre, die mir eine so reiche, neue Welt erschlossen hatten.
Sollte ich ihre Welt arm und leer machen, weil sie mir Schätze zu sammeln
erlaubt hatte, die sie nicht kannte? Alexei! Ich gab nach! Doch, bei Gott dem
Allwissenden, nichts andres hätte mich so weit bringen können.

Er hatte immer lauter und aufgeregter gesprochen; jetzt schlug er mit der
flachen Hand heftig auf den Tisch. Die Kinder erschraken und fingen an zu
schreien. Sofort öffnete sich die Thür, Davids Frau trat ein, nahm die wei¬
nenden Kinder auf und trug sie fort, wobei sie eiuen so bösen Blick auf Alexei
heftete, daß dieser davor erschrak.

Armer David! Alexeis Lippen blieben stumm, nur sein Blick sprach.

Die Stunde des Sabbaths ist nahe, sagte David nach einer langen, pein¬
lichen Pause, es ist wohl besser, du gehst und — auch besser, du kommst nicht
wieder hierher. Du kannst dich hier nicht wohl fühlen.

Komm zu mir, David, oder ist es dir zu weit? Dann sage mir, wo ich
dich treffen kann, wir müssen uns doch sehen.

Ich komme gern zu dir, und wir können uns auch treffen. Morgen ist
Sabbath, auch übermorgen bin ich erst gegen Abend frei. Kannst du an den
Teich kommen? O, Alexei! Dein Anblick ist mir wie ein schöner Traum, wie
eine Erinnerung, die ich jeden Augenblick zu verlieren fürchte, ein Sonnenstrahl,
ein Stück jenes vergangenen, zauberhaft schönen Lebens.

Seine Stimme erstarb, er barg sein Antlitz an Alexeis Schulter.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/60>, abgerufen am 28.09.2024.