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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Das neue Gesetz über die Schutzgebiete.

gebiete hierfür ein Gericht mit vier Beisitzern, eine Staatsanwaltschaft und wenn an¬
gängig einen Voruntersuchungsrichter zu bestelle". Diese Bestimmungen zeigten
sich in der Praxis unausführbar; die Beisitzer waren an den Orten, wo man
ein Gericht einsetzen wollte, in der erforderlichen Zahl nicht aufzutreiben; die
Vorschrift, daß Schwurgerichtsfälle und Berufungen von deutschen Gerichten abge¬
urteilt werden sollten, war mit erheblichen, unverhültnismäßigen Kosten und mit
Zeitverlust verbunden. Ju Matupit (Neuguinea) war ein Europäer wegen
Mißhandlung chinesischer Arbeiter zu einer Geldstrafe verurteilt worden; der
Angeklagte legte Berufung ein, welche an das Reichsgericht gehen mußte. Glück¬
licherweise bedürfte es keiner Beweiserhebung, und so konnte das bestätigte Urteil
nach anderthalb Jahren in Matupit wieder eintreffen. Das war ein praktisches
Exempel auf die Theorie, ganz abgesehen davon, daß sich täglich neue Gesetzes -
bedürfnisse zeigen, deren Erledigung nicht immer auf dem Verordnungswege
möglich ist.

Das Gesetz vom 17. April 1886 blieb, soweit es sich um die Einrichtung
der Rechtspflege handelte, im wesentlichen ein toter Buchstabe. In Neuguinea
und den Marschallsinseln wurde es eingeführt, und in dem erstgedachten Ge¬
biete sind die Kosten dafür, daß einige wenige Europäer der deutschen Gerichts¬
barkeit unterstehen, recht erheblich geworden. In Ostafrika und in dem süd-
westafrikanischen Schutzgebiet wurde bloß § 1 des Gesetzes eingeführt, d. h. die
deutschen Gesetze wurden zwar in Kraft gesetzt, allein da nicht gleichzeitig eine
Einrichtung der Gerichte erfolgte, so hatte dieses Jnkraftsetzen nicht die volle
Bedeutung. In Südwestafrika war diese Maßregel lediglich dadurch nötig ge¬
worden, daß in Rücksicht auf die Goldfunde bis zur Regelung der Verhältnisse
ein Einbruch in die deutscheu Rechte durch Engländer verhindert werden sollte.
Die verbündeten Regierungen hatten schon in der letzten Session des Reichstages
einen entsprechenden Entwurf zur Abänderung der erwähnten Übelstände vor¬
gelegt, allein der Reichstag kam nicht zur vollen Durchberatuug des Entwurfs;
man begnügte sich, um das gesamte preußische Jmmobiliarrecht nicht auf die
Schutzgebiete für anwendbar erklären zu müssen, dem kaiserlichen Verordnungs¬
rechte Abweichungen davon zu gestatten (Gesetz vom 7. Juli 1887).

In der soeben zu Ende gegangenen Session kam der Bundesrat mit dem
frühern EntWurfe wieder, nachdem ihm noch einige aus den Erfahrungen der
Zwischenzeit hervorgetretene Zusätze angefügt waren. Die Lage war diesmal
eine im wesentlichen günstigere geworden. Die Kartellparteien hatten die Mehr¬
heit, und diese unterstützten die Regierung in allen Fragen von praktischer Be¬
deutung; der fortschrittliche Teil des Hauses trat -- ein seltener Fall -- aus
der grundsätzlichen Opposition einmal heraus und arbeitete an dem Werke mit.
Vielleicht war hier der Einfluß des Abgeordneten Hänel als Professor des
Staatsrechts größer wie als Volksvertreter. Nur das Zentrum grollte, wesent¬
lich wohl wegen der Kongoakte und der Jesuitenmissionen und weil der Abgeord-


Das neue Gesetz über die Schutzgebiete.

gebiete hierfür ein Gericht mit vier Beisitzern, eine Staatsanwaltschaft und wenn an¬
gängig einen Voruntersuchungsrichter zu bestelle». Diese Bestimmungen zeigten
sich in der Praxis unausführbar; die Beisitzer waren an den Orten, wo man
ein Gericht einsetzen wollte, in der erforderlichen Zahl nicht aufzutreiben; die
Vorschrift, daß Schwurgerichtsfälle und Berufungen von deutschen Gerichten abge¬
urteilt werden sollten, war mit erheblichen, unverhültnismäßigen Kosten und mit
Zeitverlust verbunden. Ju Matupit (Neuguinea) war ein Europäer wegen
Mißhandlung chinesischer Arbeiter zu einer Geldstrafe verurteilt worden; der
Angeklagte legte Berufung ein, welche an das Reichsgericht gehen mußte. Glück¬
licherweise bedürfte es keiner Beweiserhebung, und so konnte das bestätigte Urteil
nach anderthalb Jahren in Matupit wieder eintreffen. Das war ein praktisches
Exempel auf die Theorie, ganz abgesehen davon, daß sich täglich neue Gesetzes -
bedürfnisse zeigen, deren Erledigung nicht immer auf dem Verordnungswege
möglich ist.

Das Gesetz vom 17. April 1886 blieb, soweit es sich um die Einrichtung
der Rechtspflege handelte, im wesentlichen ein toter Buchstabe. In Neuguinea
und den Marschallsinseln wurde es eingeführt, und in dem erstgedachten Ge¬
biete sind die Kosten dafür, daß einige wenige Europäer der deutschen Gerichts¬
barkeit unterstehen, recht erheblich geworden. In Ostafrika und in dem süd-
westafrikanischen Schutzgebiet wurde bloß § 1 des Gesetzes eingeführt, d. h. die
deutschen Gesetze wurden zwar in Kraft gesetzt, allein da nicht gleichzeitig eine
Einrichtung der Gerichte erfolgte, so hatte dieses Jnkraftsetzen nicht die volle
Bedeutung. In Südwestafrika war diese Maßregel lediglich dadurch nötig ge¬
worden, daß in Rücksicht auf die Goldfunde bis zur Regelung der Verhältnisse
ein Einbruch in die deutscheu Rechte durch Engländer verhindert werden sollte.
Die verbündeten Regierungen hatten schon in der letzten Session des Reichstages
einen entsprechenden Entwurf zur Abänderung der erwähnten Übelstände vor¬
gelegt, allein der Reichstag kam nicht zur vollen Durchberatuug des Entwurfs;
man begnügte sich, um das gesamte preußische Jmmobiliarrecht nicht auf die
Schutzgebiete für anwendbar erklären zu müssen, dem kaiserlichen Verordnungs¬
rechte Abweichungen davon zu gestatten (Gesetz vom 7. Juli 1887).

In der soeben zu Ende gegangenen Session kam der Bundesrat mit dem
frühern EntWurfe wieder, nachdem ihm noch einige aus den Erfahrungen der
Zwischenzeit hervorgetretene Zusätze angefügt waren. Die Lage war diesmal
eine im wesentlichen günstigere geworden. Die Kartellparteien hatten die Mehr¬
heit, und diese unterstützten die Regierung in allen Fragen von praktischer Be¬
deutung; der fortschrittliche Teil des Hauses trat — ein seltener Fall — aus
der grundsätzlichen Opposition einmal heraus und arbeitete an dem Werke mit.
Vielleicht war hier der Einfluß des Abgeordneten Hänel als Professor des
Staatsrechts größer wie als Volksvertreter. Nur das Zentrum grollte, wesent¬
lich wohl wegen der Kongoakte und der Jesuitenmissionen und weil der Abgeord-


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[0583] Das neue Gesetz über die Schutzgebiete. gebiete hierfür ein Gericht mit vier Beisitzern, eine Staatsanwaltschaft und wenn an¬ gängig einen Voruntersuchungsrichter zu bestelle». Diese Bestimmungen zeigten sich in der Praxis unausführbar; die Beisitzer waren an den Orten, wo man ein Gericht einsetzen wollte, in der erforderlichen Zahl nicht aufzutreiben; die Vorschrift, daß Schwurgerichtsfälle und Berufungen von deutschen Gerichten abge¬ urteilt werden sollten, war mit erheblichen, unverhültnismäßigen Kosten und mit Zeitverlust verbunden. Ju Matupit (Neuguinea) war ein Europäer wegen Mißhandlung chinesischer Arbeiter zu einer Geldstrafe verurteilt worden; der Angeklagte legte Berufung ein, welche an das Reichsgericht gehen mußte. Glück¬ licherweise bedürfte es keiner Beweiserhebung, und so konnte das bestätigte Urteil nach anderthalb Jahren in Matupit wieder eintreffen. Das war ein praktisches Exempel auf die Theorie, ganz abgesehen davon, daß sich täglich neue Gesetzes - bedürfnisse zeigen, deren Erledigung nicht immer auf dem Verordnungswege möglich ist. Das Gesetz vom 17. April 1886 blieb, soweit es sich um die Einrichtung der Rechtspflege handelte, im wesentlichen ein toter Buchstabe. In Neuguinea und den Marschallsinseln wurde es eingeführt, und in dem erstgedachten Ge¬ biete sind die Kosten dafür, daß einige wenige Europäer der deutschen Gerichts¬ barkeit unterstehen, recht erheblich geworden. In Ostafrika und in dem süd- westafrikanischen Schutzgebiet wurde bloß § 1 des Gesetzes eingeführt, d. h. die deutschen Gesetze wurden zwar in Kraft gesetzt, allein da nicht gleichzeitig eine Einrichtung der Gerichte erfolgte, so hatte dieses Jnkraftsetzen nicht die volle Bedeutung. In Südwestafrika war diese Maßregel lediglich dadurch nötig ge¬ worden, daß in Rücksicht auf die Goldfunde bis zur Regelung der Verhältnisse ein Einbruch in die deutscheu Rechte durch Engländer verhindert werden sollte. Die verbündeten Regierungen hatten schon in der letzten Session des Reichstages einen entsprechenden Entwurf zur Abänderung der erwähnten Übelstände vor¬ gelegt, allein der Reichstag kam nicht zur vollen Durchberatuug des Entwurfs; man begnügte sich, um das gesamte preußische Jmmobiliarrecht nicht auf die Schutzgebiete für anwendbar erklären zu müssen, dem kaiserlichen Verordnungs¬ rechte Abweichungen davon zu gestatten (Gesetz vom 7. Juli 1887). In der soeben zu Ende gegangenen Session kam der Bundesrat mit dem frühern EntWurfe wieder, nachdem ihm noch einige aus den Erfahrungen der Zwischenzeit hervorgetretene Zusätze angefügt waren. Die Lage war diesmal eine im wesentlichen günstigere geworden. Die Kartellparteien hatten die Mehr¬ heit, und diese unterstützten die Regierung in allen Fragen von praktischer Be¬ deutung; der fortschrittliche Teil des Hauses trat — ein seltener Fall — aus der grundsätzlichen Opposition einmal heraus und arbeitete an dem Werke mit. Vielleicht war hier der Einfluß des Abgeordneten Hänel als Professor des Staatsrechts größer wie als Volksvertreter. Nur das Zentrum grollte, wesent¬ lich wohl wegen der Kongoakte und der Jesuitenmissionen und weil der Abgeord-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/583>, abgerufen am 28.09.2024.