Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Bildung der Töchter höherer Stände.

die in ihrem Anschanuugskrcise liegen." Dazu müssen sie natürlich die Gram¬
matik ihrer Muttersprache kennen. Außerdem sollen sie mit den "Hauptabschnitten
der deutschen Litteraturgeschichte unter Bevorzugung der Zeit nach Luther und
den dem Bildungsstandpunkte der Mädchen entsprechenden Hauptwerken der
deutschen Litteraten" bekannt gemacht werden.

Es ist auch durchaus nicht zu viel, wenn im Französischen und Englischen
gefordert wird: "Kenntnis der Formenlehre und Syntax. Befähigung, Briefe
und kleinere Aufsätze über Dinge aus dem Anschanungskceise der Mädchen im
ganzen korrekt in der fremden Sprache zu schreiben und über solche Gegen-
stände in einfachen Sätzen mit richtiger Aussprache zu sprechen; ein englisches
und französisches Buch mit richtigem Verständnis zu lesen. Bekanntschaft mit
den Hauptwerken der englischen Natiouallitteratur und der klassischen Periode
der französischen Litteratur."

Geschichte, Geographie und Naturgeschichte gehen von der Heimat und dem
Vaterlande aus und kehren in konzentrischen Kreisen immer wieder zum Be¬
kannten und Vaterländischen zurück. Ebenso soll die Kenntnis des mensch¬
lichen Körpers, die am besten durch den Mund einer befähigten Lehrerin über¬
mittelt wird, nicht vergessen werden. Darf auch Physik und Chemie gelehrt
werden? Gewiß; aber nur bis zur allgemeinen Bekanntschaft mit denjenigen
physikalischen Gesetzen, welche im gewöhnlichen Leben und in den Gewerben An¬
wendung finden, demnach allgemeine Bekanntschaft in großen Umrissen mit den
elektrischen, magnetischen und mechanischen Erscheinungen, sowie denen des Lichtes,
der Wärme und des Schalles. Ähnlich in der Chemie: nur Bekanntschaft mit
den Elementen der Chemie, soweit sie mit den im Hanse vorkommenden Er¬
scheinungen in Verbindung stehen, also etwas Haus- und Küchenchemie.

Im Rechnen forderte man Kenntnis der geltenden Münz- und Maßsysteme
und vor allen Dingen der bürgerlichen Rechnungsarten und die Befähigung,
Aufgaben daraus richtig und sicher zu lösen; dann Fertigkeit im Kopfrechnen.
Es wird in der That weniger darauf ankommen, daß später die Frauen, und
in erster Linie die Hausfrauen, verwickelte Nechnungsgattungen kennen, als daß
sie gründlich in dem Zahlenkreise zu Hause sind, in welchem das tägliche Leben
und der Verkehr in den Geschäften sich bewegen. In den Luder, auf dem
Markte und selbst in ihren eignen Räumen kann die Frau nicht immer, um
etwas auszurechnen, nach der Schiefertafel oder dem Notizbuche greifen. Bis
zu einer gewissen Grenze muß sie hier stets schlagfertig sein. Eine solche
Schlagfertigkeit hat eine gute höhere Mädchenschule aber anzustreben.

Da vornehmlich für den höhern Unterricht des weiblichen Geschlechts die
Auswahl des Lehrstoffes Takt und Geschick, die Behandlung desselben Talent
erfordern, sollte gerade eine Bildungsanstalt für Mädchen über recht vorzügliche
Lehrkräfte verfügen. Der Lehrer der weiblichen Jugend muß in den wissen¬
schaftlichen Fächern das ganze Gebiet mit sicherm Blicke überschatten, um nach


Die Bildung der Töchter höherer Stände.

die in ihrem Anschanuugskrcise liegen." Dazu müssen sie natürlich die Gram¬
matik ihrer Muttersprache kennen. Außerdem sollen sie mit den „Hauptabschnitten
der deutschen Litteraturgeschichte unter Bevorzugung der Zeit nach Luther und
den dem Bildungsstandpunkte der Mädchen entsprechenden Hauptwerken der
deutschen Litteraten" bekannt gemacht werden.

Es ist auch durchaus nicht zu viel, wenn im Französischen und Englischen
gefordert wird: „Kenntnis der Formenlehre und Syntax. Befähigung, Briefe
und kleinere Aufsätze über Dinge aus dem Anschanungskceise der Mädchen im
ganzen korrekt in der fremden Sprache zu schreiben und über solche Gegen-
stände in einfachen Sätzen mit richtiger Aussprache zu sprechen; ein englisches
und französisches Buch mit richtigem Verständnis zu lesen. Bekanntschaft mit
den Hauptwerken der englischen Natiouallitteratur und der klassischen Periode
der französischen Litteratur."

Geschichte, Geographie und Naturgeschichte gehen von der Heimat und dem
Vaterlande aus und kehren in konzentrischen Kreisen immer wieder zum Be¬
kannten und Vaterländischen zurück. Ebenso soll die Kenntnis des mensch¬
lichen Körpers, die am besten durch den Mund einer befähigten Lehrerin über¬
mittelt wird, nicht vergessen werden. Darf auch Physik und Chemie gelehrt
werden? Gewiß; aber nur bis zur allgemeinen Bekanntschaft mit denjenigen
physikalischen Gesetzen, welche im gewöhnlichen Leben und in den Gewerben An¬
wendung finden, demnach allgemeine Bekanntschaft in großen Umrissen mit den
elektrischen, magnetischen und mechanischen Erscheinungen, sowie denen des Lichtes,
der Wärme und des Schalles. Ähnlich in der Chemie: nur Bekanntschaft mit
den Elementen der Chemie, soweit sie mit den im Hanse vorkommenden Er¬
scheinungen in Verbindung stehen, also etwas Haus- und Küchenchemie.

Im Rechnen forderte man Kenntnis der geltenden Münz- und Maßsysteme
und vor allen Dingen der bürgerlichen Rechnungsarten und die Befähigung,
Aufgaben daraus richtig und sicher zu lösen; dann Fertigkeit im Kopfrechnen.
Es wird in der That weniger darauf ankommen, daß später die Frauen, und
in erster Linie die Hausfrauen, verwickelte Nechnungsgattungen kennen, als daß
sie gründlich in dem Zahlenkreise zu Hause sind, in welchem das tägliche Leben
und der Verkehr in den Geschäften sich bewegen. In den Luder, auf dem
Markte und selbst in ihren eignen Räumen kann die Frau nicht immer, um
etwas auszurechnen, nach der Schiefertafel oder dem Notizbuche greifen. Bis
zu einer gewissen Grenze muß sie hier stets schlagfertig sein. Eine solche
Schlagfertigkeit hat eine gute höhere Mädchenschule aber anzustreben.

Da vornehmlich für den höhern Unterricht des weiblichen Geschlechts die
Auswahl des Lehrstoffes Takt und Geschick, die Behandlung desselben Talent
erfordern, sollte gerade eine Bildungsanstalt für Mädchen über recht vorzügliche
Lehrkräfte verfügen. Der Lehrer der weiblichen Jugend muß in den wissen¬
schaftlichen Fächern das ganze Gebiet mit sicherm Blicke überschatten, um nach


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0560" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/202659"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Bildung der Töchter höherer Stände.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2072" prev="#ID_2071"> die in ihrem Anschanuugskrcise liegen." Dazu müssen sie natürlich die Gram¬<lb/>
matik ihrer Muttersprache kennen. Außerdem sollen sie mit den &#x201E;Hauptabschnitten<lb/>
der deutschen Litteraturgeschichte unter Bevorzugung der Zeit nach Luther und<lb/>
den dem Bildungsstandpunkte der Mädchen entsprechenden Hauptwerken der<lb/>
deutschen Litteraten" bekannt gemacht werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2073"> Es ist auch durchaus nicht zu viel, wenn im Französischen und Englischen<lb/>
gefordert wird: &#x201E;Kenntnis der Formenlehre und Syntax. Befähigung, Briefe<lb/>
und kleinere Aufsätze über Dinge aus dem Anschanungskceise der Mädchen im<lb/>
ganzen korrekt in der fremden Sprache zu schreiben und über solche Gegen-<lb/>
stände in einfachen Sätzen mit richtiger Aussprache zu sprechen; ein englisches<lb/>
und französisches Buch mit richtigem Verständnis zu lesen. Bekanntschaft mit<lb/>
den Hauptwerken der englischen Natiouallitteratur und der klassischen Periode<lb/>
der französischen Litteratur."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2074"> Geschichte, Geographie und Naturgeschichte gehen von der Heimat und dem<lb/>
Vaterlande aus und kehren in konzentrischen Kreisen immer wieder zum Be¬<lb/>
kannten und Vaterländischen zurück. Ebenso soll die Kenntnis des mensch¬<lb/>
lichen Körpers, die am besten durch den Mund einer befähigten Lehrerin über¬<lb/>
mittelt wird, nicht vergessen werden. Darf auch Physik und Chemie gelehrt<lb/>
werden? Gewiß; aber nur bis zur allgemeinen Bekanntschaft mit denjenigen<lb/>
physikalischen Gesetzen, welche im gewöhnlichen Leben und in den Gewerben An¬<lb/>
wendung finden, demnach allgemeine Bekanntschaft in großen Umrissen mit den<lb/>
elektrischen, magnetischen und mechanischen Erscheinungen, sowie denen des Lichtes,<lb/>
der Wärme und des Schalles. Ähnlich in der Chemie: nur Bekanntschaft mit<lb/>
den Elementen der Chemie, soweit sie mit den im Hanse vorkommenden Er¬<lb/>
scheinungen in Verbindung stehen, also etwas Haus- und Küchenchemie.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2075"> Im Rechnen forderte man Kenntnis der geltenden Münz- und Maßsysteme<lb/>
und vor allen Dingen der bürgerlichen Rechnungsarten und die Befähigung,<lb/>
Aufgaben daraus richtig und sicher zu lösen; dann Fertigkeit im Kopfrechnen.<lb/>
Es wird in der That weniger darauf ankommen, daß später die Frauen, und<lb/>
in erster Linie die Hausfrauen, verwickelte Nechnungsgattungen kennen, als daß<lb/>
sie gründlich in dem Zahlenkreise zu Hause sind, in welchem das tägliche Leben<lb/>
und der Verkehr in den Geschäften sich bewegen. In den Luder, auf dem<lb/>
Markte und selbst in ihren eignen Räumen kann die Frau nicht immer, um<lb/>
etwas auszurechnen, nach der Schiefertafel oder dem Notizbuche greifen. Bis<lb/>
zu einer gewissen Grenze muß sie hier stets schlagfertig sein. Eine solche<lb/>
Schlagfertigkeit hat eine gute höhere Mädchenschule aber anzustreben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2076" next="#ID_2077"> Da vornehmlich für den höhern Unterricht des weiblichen Geschlechts die<lb/>
Auswahl des Lehrstoffes Takt und Geschick, die Behandlung desselben Talent<lb/>
erfordern, sollte gerade eine Bildungsanstalt für Mädchen über recht vorzügliche<lb/>
Lehrkräfte verfügen. Der Lehrer der weiblichen Jugend muß in den wissen¬<lb/>
schaftlichen Fächern das ganze Gebiet mit sicherm Blicke überschatten, um nach</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0560] Die Bildung der Töchter höherer Stände. die in ihrem Anschanuugskrcise liegen." Dazu müssen sie natürlich die Gram¬ matik ihrer Muttersprache kennen. Außerdem sollen sie mit den „Hauptabschnitten der deutschen Litteraturgeschichte unter Bevorzugung der Zeit nach Luther und den dem Bildungsstandpunkte der Mädchen entsprechenden Hauptwerken der deutschen Litteraten" bekannt gemacht werden. Es ist auch durchaus nicht zu viel, wenn im Französischen und Englischen gefordert wird: „Kenntnis der Formenlehre und Syntax. Befähigung, Briefe und kleinere Aufsätze über Dinge aus dem Anschanungskceise der Mädchen im ganzen korrekt in der fremden Sprache zu schreiben und über solche Gegen- stände in einfachen Sätzen mit richtiger Aussprache zu sprechen; ein englisches und französisches Buch mit richtigem Verständnis zu lesen. Bekanntschaft mit den Hauptwerken der englischen Natiouallitteratur und der klassischen Periode der französischen Litteratur." Geschichte, Geographie und Naturgeschichte gehen von der Heimat und dem Vaterlande aus und kehren in konzentrischen Kreisen immer wieder zum Be¬ kannten und Vaterländischen zurück. Ebenso soll die Kenntnis des mensch¬ lichen Körpers, die am besten durch den Mund einer befähigten Lehrerin über¬ mittelt wird, nicht vergessen werden. Darf auch Physik und Chemie gelehrt werden? Gewiß; aber nur bis zur allgemeinen Bekanntschaft mit denjenigen physikalischen Gesetzen, welche im gewöhnlichen Leben und in den Gewerben An¬ wendung finden, demnach allgemeine Bekanntschaft in großen Umrissen mit den elektrischen, magnetischen und mechanischen Erscheinungen, sowie denen des Lichtes, der Wärme und des Schalles. Ähnlich in der Chemie: nur Bekanntschaft mit den Elementen der Chemie, soweit sie mit den im Hanse vorkommenden Er¬ scheinungen in Verbindung stehen, also etwas Haus- und Küchenchemie. Im Rechnen forderte man Kenntnis der geltenden Münz- und Maßsysteme und vor allen Dingen der bürgerlichen Rechnungsarten und die Befähigung, Aufgaben daraus richtig und sicher zu lösen; dann Fertigkeit im Kopfrechnen. Es wird in der That weniger darauf ankommen, daß später die Frauen, und in erster Linie die Hausfrauen, verwickelte Nechnungsgattungen kennen, als daß sie gründlich in dem Zahlenkreise zu Hause sind, in welchem das tägliche Leben und der Verkehr in den Geschäften sich bewegen. In den Luder, auf dem Markte und selbst in ihren eignen Räumen kann die Frau nicht immer, um etwas auszurechnen, nach der Schiefertafel oder dem Notizbuche greifen. Bis zu einer gewissen Grenze muß sie hier stets schlagfertig sein. Eine solche Schlagfertigkeit hat eine gute höhere Mädchenschule aber anzustreben. Da vornehmlich für den höhern Unterricht des weiblichen Geschlechts die Auswahl des Lehrstoffes Takt und Geschick, die Behandlung desselben Talent erfordern, sollte gerade eine Bildungsanstalt für Mädchen über recht vorzügliche Lehrkräfte verfügen. Der Lehrer der weiblichen Jugend muß in den wissen¬ schaftlichen Fächern das ganze Gebiet mit sicherm Blicke überschatten, um nach

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/560
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/560>, abgerufen am 28.09.2024.