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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Lin böser Geist im heutigen England.

bei den Rotröcken. so kann sie niemals das Ungeschick ihres Generals ver¬
schuldet haben. Nicht so bald hat die Negierung in einem von ihr abhängigen
Lande einen Scheinrcgenten eingesetzt, der etwa so viel Verstand und Willens¬
kraft wie eine Drahtpuppe besitzt, so bekleidet die Presse ihn sofort mit aller¬
hand Weisheit und Tugend, vor allem mit Loyalität, wie wahrscheinlich es
auch sein mag, daß er es dick hinter den Ohren hat. Die Politik Englands
hat bei ihren Kriegen und Eroberungen in nichtchristlichen Ländern immer nur
ideale Zwecke, nie materielle vor Unger, das Christentum mit seinen Segnungen.
die Freiheit, die Gesittung, die Bildung, das Wohlergehen der Menschheit sollen
damit ausgebreitet, die Barbarei soll beschränkt werden, auch wo in Wirklichkeit
augenscheinlich das Interesse von Opiumhändlern, Vanmw ollenlords und Bankiers
damit verfolgt wird. Bei dem Feldzuge gegen Abessinien galt es nur der Be¬
freiung des unglücklichen Volkes von einem Tyrannen, nicht der Wahrung oder
Wiederherstellung des britischen Ansehens. Nicht viel anders war es mit dem
Kriege gegen die Zulukaffern und mit dem gegen Arabi Pascha, wo es sich doch
einzig und allein um die Verdrängung des gefährlichen Einflusses der Franzosen
aus dem Lande des Suezkanals handelte. Als Chile 1883 mit Peru und Bolivia
Frieden schloß, sagte die linios mit ihrem gewohnten Carl: "Jede Beendigung
eines solchen Kampfes wird willkommen geheißen werden, aber ob es der Mühe
wert war, wegen etwas Guano und etwas Salpeter jahrelang einen mörderischen
Krieg zu führen, ist eine Frage, die dem Gewissen der Kämpfer überlassen werden
kann." Warum sie nicht lieber dem Gewissen der geistlichen Lords zuweisen,
zu denen das "Weltblatt" verehrungsvoll emporblickt? Es wußte und hätte
sagen sollen, daß Chile für seine Existenz gegen die Übermacht böser Nachbarn
stritt und dabei keine einzige völkerrechtliche Verpflichtung verletzte. Die ?M
U-Ä "Ä?sete. brachte vor kurzem Enthüllungen über gewisse Abscheulichkeiten
im modernen Babylon und that dabei, als entschleierte sie dessen Carl. Es
war aber nur auf Sensation und Kitzel abgesehen. Aber wäre es auch mehr
gewesen, so hat man doch in England niemals eine Agitation für die Unter¬
drückung der Mitteilungen von Scheidungsprozessen erlebt, welche die Londoner
Blätter mit allen ihren schmutzigen Einzelheiten allwöchentlich zu bringen
Pflegen. Häufig wird dann zun^ Schlusse mit rührendem Carl lamentire,
daß die Pflicht gegen das Publikum dem Gefühle der Redaktion ein solches
Opfer auferlege. Die Heuchler I als ob sie sich nicht bei andern Fällen
vereinigten, zu verschweigen, als ob sie z. B. es nicht ablehnten, Klagen
über Eisenbahngesellschaften zu veröffentlichen, die fleißig in ihren Spalten
inseriren.

Carl, Phrase, Verdrehung ist es, wie Bismarck einmal nachmies, wenn
die Klassen, aus deren Interesse das englische Regierungssystem geschaffen oder,
wenn man will, herausgewachsen ist, sagen: Die Basis dieses Systems ist, daß
der König nicht Unrecht thun kann. Denn kann er das nicht, so ist es, weil


Lin böser Geist im heutigen England.

bei den Rotröcken. so kann sie niemals das Ungeschick ihres Generals ver¬
schuldet haben. Nicht so bald hat die Negierung in einem von ihr abhängigen
Lande einen Scheinrcgenten eingesetzt, der etwa so viel Verstand und Willens¬
kraft wie eine Drahtpuppe besitzt, so bekleidet die Presse ihn sofort mit aller¬
hand Weisheit und Tugend, vor allem mit Loyalität, wie wahrscheinlich es
auch sein mag, daß er es dick hinter den Ohren hat. Die Politik Englands
hat bei ihren Kriegen und Eroberungen in nichtchristlichen Ländern immer nur
ideale Zwecke, nie materielle vor Unger, das Christentum mit seinen Segnungen.
die Freiheit, die Gesittung, die Bildung, das Wohlergehen der Menschheit sollen
damit ausgebreitet, die Barbarei soll beschränkt werden, auch wo in Wirklichkeit
augenscheinlich das Interesse von Opiumhändlern, Vanmw ollenlords und Bankiers
damit verfolgt wird. Bei dem Feldzuge gegen Abessinien galt es nur der Be¬
freiung des unglücklichen Volkes von einem Tyrannen, nicht der Wahrung oder
Wiederherstellung des britischen Ansehens. Nicht viel anders war es mit dem
Kriege gegen die Zulukaffern und mit dem gegen Arabi Pascha, wo es sich doch
einzig und allein um die Verdrängung des gefährlichen Einflusses der Franzosen
aus dem Lande des Suezkanals handelte. Als Chile 1883 mit Peru und Bolivia
Frieden schloß, sagte die linios mit ihrem gewohnten Carl: „Jede Beendigung
eines solchen Kampfes wird willkommen geheißen werden, aber ob es der Mühe
wert war, wegen etwas Guano und etwas Salpeter jahrelang einen mörderischen
Krieg zu führen, ist eine Frage, die dem Gewissen der Kämpfer überlassen werden
kann." Warum sie nicht lieber dem Gewissen der geistlichen Lords zuweisen,
zu denen das „Weltblatt" verehrungsvoll emporblickt? Es wußte und hätte
sagen sollen, daß Chile für seine Existenz gegen die Übermacht böser Nachbarn
stritt und dabei keine einzige völkerrechtliche Verpflichtung verletzte. Die ?M
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im modernen Babylon und that dabei, als entschleierte sie dessen Carl. Es
war aber nur auf Sensation und Kitzel abgesehen. Aber wäre es auch mehr
gewesen, so hat man doch in England niemals eine Agitation für die Unter¬
drückung der Mitteilungen von Scheidungsprozessen erlebt, welche die Londoner
Blätter mit allen ihren schmutzigen Einzelheiten allwöchentlich zu bringen
Pflegen. Häufig wird dann zun^ Schlusse mit rührendem Carl lamentire,
daß die Pflicht gegen das Publikum dem Gefühle der Redaktion ein solches
Opfer auferlege. Die Heuchler I als ob sie sich nicht bei andern Fällen
vereinigten, zu verschweigen, als ob sie z. B. es nicht ablehnten, Klagen
über Eisenbahngesellschaften zu veröffentlichen, die fleißig in ihren Spalten
inseriren.

Carl, Phrase, Verdrehung ist es, wie Bismarck einmal nachmies, wenn
die Klassen, aus deren Interesse das englische Regierungssystem geschaffen oder,
wenn man will, herausgewachsen ist, sagen: Die Basis dieses Systems ist, daß
der König nicht Unrecht thun kann. Denn kann er das nicht, so ist es, weil


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[0547] Lin böser Geist im heutigen England. bei den Rotröcken. so kann sie niemals das Ungeschick ihres Generals ver¬ schuldet haben. Nicht so bald hat die Negierung in einem von ihr abhängigen Lande einen Scheinrcgenten eingesetzt, der etwa so viel Verstand und Willens¬ kraft wie eine Drahtpuppe besitzt, so bekleidet die Presse ihn sofort mit aller¬ hand Weisheit und Tugend, vor allem mit Loyalität, wie wahrscheinlich es auch sein mag, daß er es dick hinter den Ohren hat. Die Politik Englands hat bei ihren Kriegen und Eroberungen in nichtchristlichen Ländern immer nur ideale Zwecke, nie materielle vor Unger, das Christentum mit seinen Segnungen. die Freiheit, die Gesittung, die Bildung, das Wohlergehen der Menschheit sollen damit ausgebreitet, die Barbarei soll beschränkt werden, auch wo in Wirklichkeit augenscheinlich das Interesse von Opiumhändlern, Vanmw ollenlords und Bankiers damit verfolgt wird. Bei dem Feldzuge gegen Abessinien galt es nur der Be¬ freiung des unglücklichen Volkes von einem Tyrannen, nicht der Wahrung oder Wiederherstellung des britischen Ansehens. Nicht viel anders war es mit dem Kriege gegen die Zulukaffern und mit dem gegen Arabi Pascha, wo es sich doch einzig und allein um die Verdrängung des gefährlichen Einflusses der Franzosen aus dem Lande des Suezkanals handelte. Als Chile 1883 mit Peru und Bolivia Frieden schloß, sagte die linios mit ihrem gewohnten Carl: „Jede Beendigung eines solchen Kampfes wird willkommen geheißen werden, aber ob es der Mühe wert war, wegen etwas Guano und etwas Salpeter jahrelang einen mörderischen Krieg zu führen, ist eine Frage, die dem Gewissen der Kämpfer überlassen werden kann." Warum sie nicht lieber dem Gewissen der geistlichen Lords zuweisen, zu denen das „Weltblatt" verehrungsvoll emporblickt? Es wußte und hätte sagen sollen, daß Chile für seine Existenz gegen die Übermacht böser Nachbarn stritt und dabei keine einzige völkerrechtliche Verpflichtung verletzte. Die ?M U-Ä «Ä?sete. brachte vor kurzem Enthüllungen über gewisse Abscheulichkeiten im modernen Babylon und that dabei, als entschleierte sie dessen Carl. Es war aber nur auf Sensation und Kitzel abgesehen. Aber wäre es auch mehr gewesen, so hat man doch in England niemals eine Agitation für die Unter¬ drückung der Mitteilungen von Scheidungsprozessen erlebt, welche die Londoner Blätter mit allen ihren schmutzigen Einzelheiten allwöchentlich zu bringen Pflegen. Häufig wird dann zun^ Schlusse mit rührendem Carl lamentire, daß die Pflicht gegen das Publikum dem Gefühle der Redaktion ein solches Opfer auferlege. Die Heuchler I als ob sie sich nicht bei andern Fällen vereinigten, zu verschweigen, als ob sie z. B. es nicht ablehnten, Klagen über Eisenbahngesellschaften zu veröffentlichen, die fleißig in ihren Spalten inseriren. Carl, Phrase, Verdrehung ist es, wie Bismarck einmal nachmies, wenn die Klassen, aus deren Interesse das englische Regierungssystem geschaffen oder, wenn man will, herausgewachsen ist, sagen: Die Basis dieses Systems ist, daß der König nicht Unrecht thun kann. Denn kann er das nicht, so ist es, weil

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/547>, abgerufen am 28.09.2024.