Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Das Sozialistengesetz und die Rückkehr zum gemeinen Recht.

Vorgeschlagen den § 130 des Strafgesetzbuches in folgender Weise zu gestalten: "Wer
in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise verschiedne Klassen der Be¬
völkerung gegen einander öffentlich aufreizt, oder wer in gleicher Weise die In¬
stitute der Ehe, der Familie oder des Eigentums öffentlich durch Rede oder
Schrift angreift, wird mit Gefängnis bestraft." Graf Eulenburg der ältere
begründete am 27. Januar 1876 diesen Paragraphen in einer längern Rede,
die mit den bekannten Worten schloß: "Die Regierung verlangt von Ihnen
Waffen, die auf die Angriffe passen, die gegen den Staat gerichtet werden.
Sind Sie andrer Meinung, so müssen wir mit den schwachen Gesetzparagraphen
uns so lange helfen, bis die Flinte schießt und der Säbel haut." Die daran
sich schließende Verhandlung war sehr interessant. Zunächst trat der Anarchist
Hasselmann (der sich freilich damals noch "Sozialdemokrat" nannte) mit einer
wütenden Rede ans. Der Schluß derselben lautete: "Wir erklären, daß, wenn
der Paragraph angenommen werden sollte, die sozialistische Bewegung nicht um
das Geringste zurückgehen wird und zurückgehen kann, daß wir bereit find, alles
das, was die Staatsanwälte über uns verhängen könnten, über uns ergehen
zu lassen, daß wir diesen Kampf auf gesetzlichem Boden aufnehmen und durch¬
führen werden, mag er Opfer kosten, so viel er will." Der Abgeordnete Reichen-
sperger (Krefeld) hielt eine Rede gegen den Paragraphen vom Standpunkte des er¬
bitterten Gegners im Kulturkampfe. Die ausschlaggebenden Redner aber waren
die Nationalliberalen Laster und Bamberger. Laster entwickelte wieder seinen
ganzen Idealismus: "Wenn man von der Ansicht ausgeht, daß die freie
Presse nicht in sich selbst die Kraft habe, ihre Ausschreitungen zu zügeln, dann
darf man überhaupt in das System der freien Presse nicht eintreten." Auf
mehr realistischen Boden stellte sich Herr Bamberger. Nachdem er den Grafen
Eulenburg mit einer Flut von Hohn Übergossen hatte, erklärte er, daß er zwar
die Gefahren der Sozialdemokratie vollkommen anerkenne. "Ja diese Gefahren
sind in Deutschland vielleicht stärker, als in irgend einer andern Nation, gerade
weil die deutsche Nation sehr von idealen Anschauungen angehaucht ist." Er
huldige auch nicht der Ansicht Lasters, daß die freie Presse das Gegengift schon
in sich selbst trage. "Ach, das Reich der Lüge ist so groß." Aber -- "diese
Mittelchen, die Sie vorschlagen, helfen nichts." Damit werde man nur die
Grundlagen der deutschen Reichsverfassung, welche in den freiheitlichen Institu¬
tionen lägen, zerstören. Wohl aber sei eine andre Lehre aus dieser Erörterung
zu ziehen. "Die sozialistischen Angriffe sind in Deutschland namentlich deshalb
gefährlich, weil gerade in Deutschland die konservativsten Klassen geneigt sind,
mit diesem Feuer zu spielen." In diesem Fahrwasser ging es dann weiter.

Der Paragraph ward natürlich abgelehnt und damit das Vorschreiten auf
dem Wege des "gemeinen Rechts" begraben.

Hatte Graf Eulenburg vorausgesagt, man werde nun warten müssen, "bis
die Flinte schießt," so traf dies leider ein; freilich in andrer Weise, als er es


Das Sozialistengesetz und die Rückkehr zum gemeinen Recht.

Vorgeschlagen den § 130 des Strafgesetzbuches in folgender Weise zu gestalten: „Wer
in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise verschiedne Klassen der Be¬
völkerung gegen einander öffentlich aufreizt, oder wer in gleicher Weise die In¬
stitute der Ehe, der Familie oder des Eigentums öffentlich durch Rede oder
Schrift angreift, wird mit Gefängnis bestraft." Graf Eulenburg der ältere
begründete am 27. Januar 1876 diesen Paragraphen in einer längern Rede,
die mit den bekannten Worten schloß: „Die Regierung verlangt von Ihnen
Waffen, die auf die Angriffe passen, die gegen den Staat gerichtet werden.
Sind Sie andrer Meinung, so müssen wir mit den schwachen Gesetzparagraphen
uns so lange helfen, bis die Flinte schießt und der Säbel haut." Die daran
sich schließende Verhandlung war sehr interessant. Zunächst trat der Anarchist
Hasselmann (der sich freilich damals noch „Sozialdemokrat" nannte) mit einer
wütenden Rede ans. Der Schluß derselben lautete: „Wir erklären, daß, wenn
der Paragraph angenommen werden sollte, die sozialistische Bewegung nicht um
das Geringste zurückgehen wird und zurückgehen kann, daß wir bereit find, alles
das, was die Staatsanwälte über uns verhängen könnten, über uns ergehen
zu lassen, daß wir diesen Kampf auf gesetzlichem Boden aufnehmen und durch¬
führen werden, mag er Opfer kosten, so viel er will." Der Abgeordnete Reichen-
sperger (Krefeld) hielt eine Rede gegen den Paragraphen vom Standpunkte des er¬
bitterten Gegners im Kulturkampfe. Die ausschlaggebenden Redner aber waren
die Nationalliberalen Laster und Bamberger. Laster entwickelte wieder seinen
ganzen Idealismus: „Wenn man von der Ansicht ausgeht, daß die freie
Presse nicht in sich selbst die Kraft habe, ihre Ausschreitungen zu zügeln, dann
darf man überhaupt in das System der freien Presse nicht eintreten." Auf
mehr realistischen Boden stellte sich Herr Bamberger. Nachdem er den Grafen
Eulenburg mit einer Flut von Hohn Übergossen hatte, erklärte er, daß er zwar
die Gefahren der Sozialdemokratie vollkommen anerkenne. „Ja diese Gefahren
sind in Deutschland vielleicht stärker, als in irgend einer andern Nation, gerade
weil die deutsche Nation sehr von idealen Anschauungen angehaucht ist." Er
huldige auch nicht der Ansicht Lasters, daß die freie Presse das Gegengift schon
in sich selbst trage. „Ach, das Reich der Lüge ist so groß." Aber — „diese
Mittelchen, die Sie vorschlagen, helfen nichts." Damit werde man nur die
Grundlagen der deutschen Reichsverfassung, welche in den freiheitlichen Institu¬
tionen lägen, zerstören. Wohl aber sei eine andre Lehre aus dieser Erörterung
zu ziehen. „Die sozialistischen Angriffe sind in Deutschland namentlich deshalb
gefährlich, weil gerade in Deutschland die konservativsten Klassen geneigt sind,
mit diesem Feuer zu spielen." In diesem Fahrwasser ging es dann weiter.

Der Paragraph ward natürlich abgelehnt und damit das Vorschreiten auf
dem Wege des „gemeinen Rechts" begraben.

Hatte Graf Eulenburg vorausgesagt, man werde nun warten müssen, „bis
die Flinte schießt," so traf dies leider ein; freilich in andrer Weise, als er es


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0530" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/202629"/>
          <fw type="header" place="top"> Das Sozialistengesetz und die Rückkehr zum gemeinen Recht.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1977" prev="#ID_1976"> Vorgeschlagen den § 130 des Strafgesetzbuches in folgender Weise zu gestalten: &#x201E;Wer<lb/>
in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise verschiedne Klassen der Be¬<lb/>
völkerung gegen einander öffentlich aufreizt, oder wer in gleicher Weise die In¬<lb/>
stitute der Ehe, der Familie oder des Eigentums öffentlich durch Rede oder<lb/>
Schrift angreift, wird mit Gefängnis bestraft." Graf Eulenburg der ältere<lb/>
begründete am 27. Januar 1876 diesen Paragraphen in einer längern Rede,<lb/>
die mit den bekannten Worten schloß: &#x201E;Die Regierung verlangt von Ihnen<lb/>
Waffen, die auf die Angriffe passen, die gegen den Staat gerichtet werden.<lb/>
Sind Sie andrer Meinung, so müssen wir mit den schwachen Gesetzparagraphen<lb/>
uns so lange helfen, bis die Flinte schießt und der Säbel haut." Die daran<lb/>
sich schließende Verhandlung war sehr interessant. Zunächst trat der Anarchist<lb/>
Hasselmann (der sich freilich damals noch &#x201E;Sozialdemokrat" nannte) mit einer<lb/>
wütenden Rede ans. Der Schluß derselben lautete: &#x201E;Wir erklären, daß, wenn<lb/>
der Paragraph angenommen werden sollte, die sozialistische Bewegung nicht um<lb/>
das Geringste zurückgehen wird und zurückgehen kann, daß wir bereit find, alles<lb/>
das, was die Staatsanwälte über uns verhängen könnten, über uns ergehen<lb/>
zu lassen, daß wir diesen Kampf auf gesetzlichem Boden aufnehmen und durch¬<lb/>
führen werden, mag er Opfer kosten, so viel er will." Der Abgeordnete Reichen-<lb/>
sperger (Krefeld) hielt eine Rede gegen den Paragraphen vom Standpunkte des er¬<lb/>
bitterten Gegners im Kulturkampfe. Die ausschlaggebenden Redner aber waren<lb/>
die Nationalliberalen Laster und Bamberger. Laster entwickelte wieder seinen<lb/>
ganzen Idealismus: &#x201E;Wenn man von der Ansicht ausgeht, daß die freie<lb/>
Presse nicht in sich selbst die Kraft habe, ihre Ausschreitungen zu zügeln, dann<lb/>
darf man überhaupt in das System der freien Presse nicht eintreten." Auf<lb/>
mehr realistischen Boden stellte sich Herr Bamberger. Nachdem er den Grafen<lb/>
Eulenburg mit einer Flut von Hohn Übergossen hatte, erklärte er, daß er zwar<lb/>
die Gefahren der Sozialdemokratie vollkommen anerkenne. &#x201E;Ja diese Gefahren<lb/>
sind in Deutschland vielleicht stärker, als in irgend einer andern Nation, gerade<lb/>
weil die deutsche Nation sehr von idealen Anschauungen angehaucht ist." Er<lb/>
huldige auch nicht der Ansicht Lasters, daß die freie Presse das Gegengift schon<lb/>
in sich selbst trage. &#x201E;Ach, das Reich der Lüge ist so groß." Aber &#x2014; &#x201E;diese<lb/>
Mittelchen, die Sie vorschlagen, helfen nichts." Damit werde man nur die<lb/>
Grundlagen der deutschen Reichsverfassung, welche in den freiheitlichen Institu¬<lb/>
tionen lägen, zerstören. Wohl aber sei eine andre Lehre aus dieser Erörterung<lb/>
zu ziehen. &#x201E;Die sozialistischen Angriffe sind in Deutschland namentlich deshalb<lb/>
gefährlich, weil gerade in Deutschland die konservativsten Klassen geneigt sind,<lb/>
mit diesem Feuer zu spielen."  In diesem Fahrwasser ging es dann weiter.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1978"> Der Paragraph ward natürlich abgelehnt und damit das Vorschreiten auf<lb/>
dem Wege des &#x201E;gemeinen Rechts" begraben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1979" next="#ID_1980"> Hatte Graf Eulenburg vorausgesagt, man werde nun warten müssen, &#x201E;bis<lb/>
die Flinte schießt," so traf dies leider ein; freilich in andrer Weise, als er es</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0530] Das Sozialistengesetz und die Rückkehr zum gemeinen Recht. Vorgeschlagen den § 130 des Strafgesetzbuches in folgender Weise zu gestalten: „Wer in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise verschiedne Klassen der Be¬ völkerung gegen einander öffentlich aufreizt, oder wer in gleicher Weise die In¬ stitute der Ehe, der Familie oder des Eigentums öffentlich durch Rede oder Schrift angreift, wird mit Gefängnis bestraft." Graf Eulenburg der ältere begründete am 27. Januar 1876 diesen Paragraphen in einer längern Rede, die mit den bekannten Worten schloß: „Die Regierung verlangt von Ihnen Waffen, die auf die Angriffe passen, die gegen den Staat gerichtet werden. Sind Sie andrer Meinung, so müssen wir mit den schwachen Gesetzparagraphen uns so lange helfen, bis die Flinte schießt und der Säbel haut." Die daran sich schließende Verhandlung war sehr interessant. Zunächst trat der Anarchist Hasselmann (der sich freilich damals noch „Sozialdemokrat" nannte) mit einer wütenden Rede ans. Der Schluß derselben lautete: „Wir erklären, daß, wenn der Paragraph angenommen werden sollte, die sozialistische Bewegung nicht um das Geringste zurückgehen wird und zurückgehen kann, daß wir bereit find, alles das, was die Staatsanwälte über uns verhängen könnten, über uns ergehen zu lassen, daß wir diesen Kampf auf gesetzlichem Boden aufnehmen und durch¬ führen werden, mag er Opfer kosten, so viel er will." Der Abgeordnete Reichen- sperger (Krefeld) hielt eine Rede gegen den Paragraphen vom Standpunkte des er¬ bitterten Gegners im Kulturkampfe. Die ausschlaggebenden Redner aber waren die Nationalliberalen Laster und Bamberger. Laster entwickelte wieder seinen ganzen Idealismus: „Wenn man von der Ansicht ausgeht, daß die freie Presse nicht in sich selbst die Kraft habe, ihre Ausschreitungen zu zügeln, dann darf man überhaupt in das System der freien Presse nicht eintreten." Auf mehr realistischen Boden stellte sich Herr Bamberger. Nachdem er den Grafen Eulenburg mit einer Flut von Hohn Übergossen hatte, erklärte er, daß er zwar die Gefahren der Sozialdemokratie vollkommen anerkenne. „Ja diese Gefahren sind in Deutschland vielleicht stärker, als in irgend einer andern Nation, gerade weil die deutsche Nation sehr von idealen Anschauungen angehaucht ist." Er huldige auch nicht der Ansicht Lasters, daß die freie Presse das Gegengift schon in sich selbst trage. „Ach, das Reich der Lüge ist so groß." Aber — „diese Mittelchen, die Sie vorschlagen, helfen nichts." Damit werde man nur die Grundlagen der deutschen Reichsverfassung, welche in den freiheitlichen Institu¬ tionen lägen, zerstören. Wohl aber sei eine andre Lehre aus dieser Erörterung zu ziehen. „Die sozialistischen Angriffe sind in Deutschland namentlich deshalb gefährlich, weil gerade in Deutschland die konservativsten Klassen geneigt sind, mit diesem Feuer zu spielen." In diesem Fahrwasser ging es dann weiter. Der Paragraph ward natürlich abgelehnt und damit das Vorschreiten auf dem Wege des „gemeinen Rechts" begraben. Hatte Graf Eulenburg vorausgesagt, man werde nun warten müssen, „bis die Flinte schießt," so traf dies leider ein; freilich in andrer Weise, als er es

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/530
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/530>, abgerufen am 28.09.2024.