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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Der wahrhafte Friede.

ziehung auf das Leben wird hier weit schärfer erfaßt, als oft im gelehrten
Stande selbst, Neigung zur Reflexion, zur spekulativen Philosophie ist Offizieren
bekanntlich durchaus nicht fremd. Würde doch in einem bairischen Winterlager
von einem französischen Offizier (Descartes) der Grund zu der gesamten neuern
Philosophie gelegt. Neigung zum Fatalismus, geheimer Wissenschaft (Astro¬
logie, heute etwa Hypnotismus) ist erklärlich. Von den Systemen werden die
strengen, düstern bevorzugt, im Altertum der Stoizismus, heutzutage Schopen¬
hauer. Der Grundzug von dem allen ist das Gefühl der Gemeinsamkeit in
dem höhern letzte" Zweck, das Gefühl, daß es dieselbe Macht ist, die hier ge¬
sucht wird, welche ihm das Schwert in die Hand drückt. Fichte hat es oben
als das Kennzeichen des wahrhaften Krieges aufgestellt, daß er um des Friedens
willen geführt werde. Zweifellos ist auch der Krieg als Selbstzweck, die bloße
Freude an der Zerstörung, nicht die ursprüngliche Form des Krieges in der
Menschheit, sondern ihre Entartung. Je höher der Mythus in das Kindesalter
der Menschheit hinaufsteigt, desto schärfer bezeichnet er den moralischen Grund
des Krieges (der trojanische Krieg). Jedes Volk, und gerade das höher begabte,
scheint in seiner Entwicklung eine Periode gehabt zu haben, in der es gottbe¬
geistert aus sich heraustrat, um sich seinen ihm zukommenden Platz unter den
Völkern überhaupt erst zu erkämpfen. Diese Periode der Wanderung, des
ständigen Krieges bezeichnet am meisten auch seine Entartung; selbst das Gottes¬
buch des Krieges, die Bibel, erzählt hier vom biblischen Volke ungescheut Thaten
unerhörter Grausamkeit und Barbarei. Fortan bezeichnet auch die längere
Dauer eines Krieges in der Geschichte der Menschheit zugleich seine Ausartung.
.Ein Krieg, bei dem schließlich kein Mensch mehr weiß, warum er geschlagen
hat," ist kein Krieg mehr, sondern das Chaos, der Weltbrand, ein Völkerfieber
statt einer moralischen Kraftäußerung. Als ein Geschenk der Vorsehung tritt
daher mit der zunehmenden kriegerischen Verrohung der Menschheit dasjenige
Mittel in sie herein, welches geeignet ist, mit seiner zunehmenden Vervollkommnung
den Krieg immer mehr abzukürzen und seines Selbstzwecks zu berauben, weil es
ihn von vornherein gefährlicher und furchtbarer macht: das Schießpulver und
die dadurch bedingte mechanische Waffe, die Waffe an sich, objektiv, entkleidet
ihres selbstherrlichen Reizes, die Schießwaffe. Hemd in Hand damit geht das
Bestreben der Völkerführcr, der Fürsten, seit jener Zeit, durch jenen ganzen, dem
Laien meist so unverständlichen Mechanismus der Heereszucht nicht bloß die kriege¬
rische Aktion energischer zusammenzudrängen, sondern auch (das dürfte die tiefere
Idee darin sein) den Krieg vor sich felbst zu schützen, ihn zu beherrschen, statt,
wie es so leicht eintreten kann, von ihm beherrscht zu werden, ihn zu vermensch¬
lichen und vor seiner Ausartung zu sichern. Daß dies gleichwohl noch immer
möglich ist. lehrt in eindringlicher Weise der dreißigjährige Krieg, und die
Menschheit scheint noch lange'nicht über das Alter solcher "Kriegskrankheiten"
hinaus zu sein. Allerdings ist in neuester Zeit nach dem glänzenden Voraus-


Der wahrhafte Friede.

ziehung auf das Leben wird hier weit schärfer erfaßt, als oft im gelehrten
Stande selbst, Neigung zur Reflexion, zur spekulativen Philosophie ist Offizieren
bekanntlich durchaus nicht fremd. Würde doch in einem bairischen Winterlager
von einem französischen Offizier (Descartes) der Grund zu der gesamten neuern
Philosophie gelegt. Neigung zum Fatalismus, geheimer Wissenschaft (Astro¬
logie, heute etwa Hypnotismus) ist erklärlich. Von den Systemen werden die
strengen, düstern bevorzugt, im Altertum der Stoizismus, heutzutage Schopen¬
hauer. Der Grundzug von dem allen ist das Gefühl der Gemeinsamkeit in
dem höhern letzte» Zweck, das Gefühl, daß es dieselbe Macht ist, die hier ge¬
sucht wird, welche ihm das Schwert in die Hand drückt. Fichte hat es oben
als das Kennzeichen des wahrhaften Krieges aufgestellt, daß er um des Friedens
willen geführt werde. Zweifellos ist auch der Krieg als Selbstzweck, die bloße
Freude an der Zerstörung, nicht die ursprüngliche Form des Krieges in der
Menschheit, sondern ihre Entartung. Je höher der Mythus in das Kindesalter
der Menschheit hinaufsteigt, desto schärfer bezeichnet er den moralischen Grund
des Krieges (der trojanische Krieg). Jedes Volk, und gerade das höher begabte,
scheint in seiner Entwicklung eine Periode gehabt zu haben, in der es gottbe¬
geistert aus sich heraustrat, um sich seinen ihm zukommenden Platz unter den
Völkern überhaupt erst zu erkämpfen. Diese Periode der Wanderung, des
ständigen Krieges bezeichnet am meisten auch seine Entartung; selbst das Gottes¬
buch des Krieges, die Bibel, erzählt hier vom biblischen Volke ungescheut Thaten
unerhörter Grausamkeit und Barbarei. Fortan bezeichnet auch die längere
Dauer eines Krieges in der Geschichte der Menschheit zugleich seine Ausartung.
.Ein Krieg, bei dem schließlich kein Mensch mehr weiß, warum er geschlagen
hat," ist kein Krieg mehr, sondern das Chaos, der Weltbrand, ein Völkerfieber
statt einer moralischen Kraftäußerung. Als ein Geschenk der Vorsehung tritt
daher mit der zunehmenden kriegerischen Verrohung der Menschheit dasjenige
Mittel in sie herein, welches geeignet ist, mit seiner zunehmenden Vervollkommnung
den Krieg immer mehr abzukürzen und seines Selbstzwecks zu berauben, weil es
ihn von vornherein gefährlicher und furchtbarer macht: das Schießpulver und
die dadurch bedingte mechanische Waffe, die Waffe an sich, objektiv, entkleidet
ihres selbstherrlichen Reizes, die Schießwaffe. Hemd in Hand damit geht das
Bestreben der Völkerführcr, der Fürsten, seit jener Zeit, durch jenen ganzen, dem
Laien meist so unverständlichen Mechanismus der Heereszucht nicht bloß die kriege¬
rische Aktion energischer zusammenzudrängen, sondern auch (das dürfte die tiefere
Idee darin sein) den Krieg vor sich felbst zu schützen, ihn zu beherrschen, statt,
wie es so leicht eintreten kann, von ihm beherrscht zu werden, ihn zu vermensch¬
lichen und vor seiner Ausartung zu sichern. Daß dies gleichwohl noch immer
möglich ist. lehrt in eindringlicher Weise der dreißigjährige Krieg, und die
Menschheit scheint noch lange'nicht über das Alter solcher „Kriegskrankheiten"
hinaus zu sein. Allerdings ist in neuester Zeit nach dem glänzenden Voraus-


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[0511] Der wahrhafte Friede. ziehung auf das Leben wird hier weit schärfer erfaßt, als oft im gelehrten Stande selbst, Neigung zur Reflexion, zur spekulativen Philosophie ist Offizieren bekanntlich durchaus nicht fremd. Würde doch in einem bairischen Winterlager von einem französischen Offizier (Descartes) der Grund zu der gesamten neuern Philosophie gelegt. Neigung zum Fatalismus, geheimer Wissenschaft (Astro¬ logie, heute etwa Hypnotismus) ist erklärlich. Von den Systemen werden die strengen, düstern bevorzugt, im Altertum der Stoizismus, heutzutage Schopen¬ hauer. Der Grundzug von dem allen ist das Gefühl der Gemeinsamkeit in dem höhern letzte» Zweck, das Gefühl, daß es dieselbe Macht ist, die hier ge¬ sucht wird, welche ihm das Schwert in die Hand drückt. Fichte hat es oben als das Kennzeichen des wahrhaften Krieges aufgestellt, daß er um des Friedens willen geführt werde. Zweifellos ist auch der Krieg als Selbstzweck, die bloße Freude an der Zerstörung, nicht die ursprüngliche Form des Krieges in der Menschheit, sondern ihre Entartung. Je höher der Mythus in das Kindesalter der Menschheit hinaufsteigt, desto schärfer bezeichnet er den moralischen Grund des Krieges (der trojanische Krieg). Jedes Volk, und gerade das höher begabte, scheint in seiner Entwicklung eine Periode gehabt zu haben, in der es gottbe¬ geistert aus sich heraustrat, um sich seinen ihm zukommenden Platz unter den Völkern überhaupt erst zu erkämpfen. Diese Periode der Wanderung, des ständigen Krieges bezeichnet am meisten auch seine Entartung; selbst das Gottes¬ buch des Krieges, die Bibel, erzählt hier vom biblischen Volke ungescheut Thaten unerhörter Grausamkeit und Barbarei. Fortan bezeichnet auch die längere Dauer eines Krieges in der Geschichte der Menschheit zugleich seine Ausartung. .Ein Krieg, bei dem schließlich kein Mensch mehr weiß, warum er geschlagen hat," ist kein Krieg mehr, sondern das Chaos, der Weltbrand, ein Völkerfieber statt einer moralischen Kraftäußerung. Als ein Geschenk der Vorsehung tritt daher mit der zunehmenden kriegerischen Verrohung der Menschheit dasjenige Mittel in sie herein, welches geeignet ist, mit seiner zunehmenden Vervollkommnung den Krieg immer mehr abzukürzen und seines Selbstzwecks zu berauben, weil es ihn von vornherein gefährlicher und furchtbarer macht: das Schießpulver und die dadurch bedingte mechanische Waffe, die Waffe an sich, objektiv, entkleidet ihres selbstherrlichen Reizes, die Schießwaffe. Hemd in Hand damit geht das Bestreben der Völkerführcr, der Fürsten, seit jener Zeit, durch jenen ganzen, dem Laien meist so unverständlichen Mechanismus der Heereszucht nicht bloß die kriege¬ rische Aktion energischer zusammenzudrängen, sondern auch (das dürfte die tiefere Idee darin sein) den Krieg vor sich felbst zu schützen, ihn zu beherrschen, statt, wie es so leicht eintreten kann, von ihm beherrscht zu werden, ihn zu vermensch¬ lichen und vor seiner Ausartung zu sichern. Daß dies gleichwohl noch immer möglich ist. lehrt in eindringlicher Weise der dreißigjährige Krieg, und die Menschheit scheint noch lange'nicht über das Alter solcher „Kriegskrankheiten" hinaus zu sein. Allerdings ist in neuester Zeit nach dem glänzenden Voraus-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/511>, abgerufen am 28.09.2024.