Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der wahrhafte Friede.

bewegt. "Erkenne ich recht Gott und seinen Weltplan, wie ich festiglich glaube,
so ist in ihm alles Böse, gegen Gott und Freiheit feindliche, was seit Beginn
der Zeit bekämpft worden ist von allen Tugendhaften, zusammengedrängt und
auf einmal erschienen, ausgestattet mit aller Kraft, die das Böse haben kann.
Wozu? Auch alle Kraft des Guten, die jemals in der Welt erschienen ist, soll
sich vereinigen und es überwinden. Dies ist das große Schauspiel, welches meines
Erachtens dieser Zeit vorbehalten ist." Das also ist der "Begriff des wahr¬
haften Krieges," und darum ist der "gegenwärtige," der deutsche Befreiungs¬
krieg, ein "wahrhafter Krieg." "Nicht nur die Lage -- sogar die unmittelbare
Praktische Behörde, die Regierung, hat den gegenwärtigen Krieg für einen wahren
erklärt, ganz in dem Sinne, der hier aufgestellt ist, in mehreren Verordnungen,
unter andern in der über den Landsturm. Einer der seltenen, nicht oft er¬
lebten Fälle, wo Wissenschaft und Regierung übereinkommen."*)

Einer der seltenen, nicht ost erlebten Fülle, wo Wissenschaft und Regierung
übereinkommen! Wer fühlt sich bei diesen Worten nicht seltsam gemahnt an
das gewaltige Schauspiel, welches in diesen Tagen der aufschauenden Welt be¬
reitet ward! Nicht umsonst haben wir den deutschen Leser dazu aufgefordert,
einen Blick auf das Gedaukengepräge jener Zeit zu werfen, in welcher der
deutsche Geist sich deu "Begriff des wahrhaften Krieges" konstruirte. Denn
uns dünkt, als ob er nun im Gegensatz dazu in den Stand gesetzt wäre, sich
aus jenem den "Begriff des wahrhaften Friedens" abzuziehen. Was liegt über¬
haupt nicht alles in diesen beiden Gegenpolen, der That und der Idee nach:
1813 und unsre Tage, zwischen denen in diesem Augenblicke schwerlich jemand
etwas andres vor dem geistigen Auge sieht, als aufgerollt das Leben des
Mannes, welcher, geboren im Jahre des "deutschen wahrhaften Krieges." heute
in einer von Waffen starrenden, feindlichen Welt den alten deutschen "Gottes¬
frieden" verkünden konnte! Und doch ist in diesen beiden Polen so viel gemein¬
sames. So viel, daß der tieferblickende das eigentlich zu Grunde liegende als
völlige Einheit erfassen und aus dieser Einheit vielleicht das still-mächtige
Prinzip herausfühlen könnte, welches in dem einen wie in dem andern wirkt
und mit nichts anderm auszuschöpfen wäre, als mit der Formulirung der Welt¬
aufgabe des Deutschtums in der Völker- und Menschengeschichte.



Zur Erklärung der aus diesen Worten deutlich herausklingenden Bitterkeit sei be¬
merkt, daß Fichte hier noch diejenige Negierung im Auge hatte, deren letzter Weisheits-
schwsz in dem bekannten Satze "Ruhe ist die erste Bürgerpflicht" gipfelte. Die Erfassung der
sittlichen Bestimmung des Staates auch in der Bewältigung positiver Aufgaben, von deren
gewaltiger Tragweite uns unsre Zeit bereits den höchsten Begriff zu geben imstande ist. hat
Fichte selbst zuerst mit herbeiführen helfen. Daß übrigens "ein andres Lehren ist. ein andres
Regieren" haben schon die Philosophen des Altertums (Plato) bitter erfahren müssen. Nie¬
mand hat die ewigen Gründe hierfür schärfer erfaßt, als fast gleichzeitig mit diesem Aus¬
spruche Fjchtcs Hegel.
Der wahrhafte Friede.

bewegt. „Erkenne ich recht Gott und seinen Weltplan, wie ich festiglich glaube,
so ist in ihm alles Böse, gegen Gott und Freiheit feindliche, was seit Beginn
der Zeit bekämpft worden ist von allen Tugendhaften, zusammengedrängt und
auf einmal erschienen, ausgestattet mit aller Kraft, die das Böse haben kann.
Wozu? Auch alle Kraft des Guten, die jemals in der Welt erschienen ist, soll
sich vereinigen und es überwinden. Dies ist das große Schauspiel, welches meines
Erachtens dieser Zeit vorbehalten ist." Das also ist der „Begriff des wahr¬
haften Krieges," und darum ist der „gegenwärtige," der deutsche Befreiungs¬
krieg, ein „wahrhafter Krieg." „Nicht nur die Lage — sogar die unmittelbare
Praktische Behörde, die Regierung, hat den gegenwärtigen Krieg für einen wahren
erklärt, ganz in dem Sinne, der hier aufgestellt ist, in mehreren Verordnungen,
unter andern in der über den Landsturm. Einer der seltenen, nicht oft er¬
lebten Fälle, wo Wissenschaft und Regierung übereinkommen."*)

Einer der seltenen, nicht ost erlebten Fülle, wo Wissenschaft und Regierung
übereinkommen! Wer fühlt sich bei diesen Worten nicht seltsam gemahnt an
das gewaltige Schauspiel, welches in diesen Tagen der aufschauenden Welt be¬
reitet ward! Nicht umsonst haben wir den deutschen Leser dazu aufgefordert,
einen Blick auf das Gedaukengepräge jener Zeit zu werfen, in welcher der
deutsche Geist sich deu „Begriff des wahrhaften Krieges" konstruirte. Denn
uns dünkt, als ob er nun im Gegensatz dazu in den Stand gesetzt wäre, sich
aus jenem den „Begriff des wahrhaften Friedens" abzuziehen. Was liegt über¬
haupt nicht alles in diesen beiden Gegenpolen, der That und der Idee nach:
1813 und unsre Tage, zwischen denen in diesem Augenblicke schwerlich jemand
etwas andres vor dem geistigen Auge sieht, als aufgerollt das Leben des
Mannes, welcher, geboren im Jahre des „deutschen wahrhaften Krieges." heute
in einer von Waffen starrenden, feindlichen Welt den alten deutschen „Gottes¬
frieden" verkünden konnte! Und doch ist in diesen beiden Polen so viel gemein¬
sames. So viel, daß der tieferblickende das eigentlich zu Grunde liegende als
völlige Einheit erfassen und aus dieser Einheit vielleicht das still-mächtige
Prinzip herausfühlen könnte, welches in dem einen wie in dem andern wirkt
und mit nichts anderm auszuschöpfen wäre, als mit der Formulirung der Welt¬
aufgabe des Deutschtums in der Völker- und Menschengeschichte.



Zur Erklärung der aus diesen Worten deutlich herausklingenden Bitterkeit sei be¬
merkt, daß Fichte hier noch diejenige Negierung im Auge hatte, deren letzter Weisheits-
schwsz in dem bekannten Satze „Ruhe ist die erste Bürgerpflicht" gipfelte. Die Erfassung der
sittlichen Bestimmung des Staates auch in der Bewältigung positiver Aufgaben, von deren
gewaltiger Tragweite uns unsre Zeit bereits den höchsten Begriff zu geben imstande ist. hat
Fichte selbst zuerst mit herbeiführen helfen. Daß übrigens „ein andres Lehren ist. ein andres
Regieren" haben schon die Philosophen des Altertums (Plato) bitter erfahren müssen. Nie¬
mand hat die ewigen Gründe hierfür schärfer erfaßt, als fast gleichzeitig mit diesem Aus¬
spruche Fjchtcs Hegel.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0503" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/202602"/>
          <fw type="header" place="top"> Der wahrhafte Friede.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1861" prev="#ID_1860"> bewegt. &#x201E;Erkenne ich recht Gott und seinen Weltplan, wie ich festiglich glaube,<lb/>
so ist in ihm alles Böse, gegen Gott und Freiheit feindliche, was seit Beginn<lb/>
der Zeit bekämpft worden ist von allen Tugendhaften, zusammengedrängt und<lb/>
auf einmal erschienen, ausgestattet mit aller Kraft, die das Böse haben kann.<lb/>
Wozu? Auch alle Kraft des Guten, die jemals in der Welt erschienen ist, soll<lb/>
sich vereinigen und es überwinden. Dies ist das große Schauspiel, welches meines<lb/>
Erachtens dieser Zeit vorbehalten ist." Das also ist der &#x201E;Begriff des wahr¬<lb/>
haften Krieges," und darum ist der &#x201E;gegenwärtige," der deutsche Befreiungs¬<lb/>
krieg, ein &#x201E;wahrhafter Krieg." &#x201E;Nicht nur die Lage &#x2014; sogar die unmittelbare<lb/>
Praktische Behörde, die Regierung, hat den gegenwärtigen Krieg für einen wahren<lb/>
erklärt, ganz in dem Sinne, der hier aufgestellt ist, in mehreren Verordnungen,<lb/>
unter andern in der über den Landsturm. Einer der seltenen, nicht oft er¬<lb/>
lebten Fälle, wo Wissenschaft und Regierung übereinkommen."*)</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1862"> Einer der seltenen, nicht ost erlebten Fülle, wo Wissenschaft und Regierung<lb/>
übereinkommen! Wer fühlt sich bei diesen Worten nicht seltsam gemahnt an<lb/>
das gewaltige Schauspiel, welches in diesen Tagen der aufschauenden Welt be¬<lb/>
reitet ward! Nicht umsonst haben wir den deutschen Leser dazu aufgefordert,<lb/>
einen Blick auf das Gedaukengepräge jener Zeit zu werfen, in welcher der<lb/>
deutsche Geist sich deu &#x201E;Begriff des wahrhaften Krieges" konstruirte. Denn<lb/>
uns dünkt, als ob er nun im Gegensatz dazu in den Stand gesetzt wäre, sich<lb/>
aus jenem den &#x201E;Begriff des wahrhaften Friedens" abzuziehen. Was liegt über¬<lb/>
haupt nicht alles in diesen beiden Gegenpolen, der That und der Idee nach:<lb/>
1813 und unsre Tage, zwischen denen in diesem Augenblicke schwerlich jemand<lb/>
etwas andres vor dem geistigen Auge sieht, als aufgerollt das Leben des<lb/>
Mannes, welcher, geboren im Jahre des &#x201E;deutschen wahrhaften Krieges." heute<lb/>
in einer von Waffen starrenden, feindlichen Welt den alten deutschen &#x201E;Gottes¬<lb/>
frieden" verkünden konnte! Und doch ist in diesen beiden Polen so viel gemein¬<lb/>
sames. So viel, daß der tieferblickende das eigentlich zu Grunde liegende als<lb/>
völlige Einheit erfassen und aus dieser Einheit vielleicht das still-mächtige<lb/>
Prinzip herausfühlen könnte, welches in dem einen wie in dem andern wirkt<lb/>
und mit nichts anderm auszuschöpfen wäre, als mit der Formulirung der Welt¬<lb/>
aufgabe des Deutschtums in der Völker- und Menschengeschichte.</p><lb/>
          <note xml:id="FID_22" place="foot"> Zur Erklärung der aus diesen Worten deutlich herausklingenden Bitterkeit sei be¬<lb/>
merkt, daß Fichte hier noch diejenige Negierung im Auge hatte, deren letzter Weisheits-<lb/>
schwsz in dem bekannten Satze &#x201E;Ruhe ist die erste Bürgerpflicht" gipfelte. Die Erfassung der<lb/>
sittlichen Bestimmung des Staates auch in der Bewältigung positiver Aufgaben, von deren<lb/>
gewaltiger Tragweite uns unsre Zeit bereits den höchsten Begriff zu geben imstande ist. hat<lb/>
Fichte selbst zuerst mit herbeiführen helfen. Daß übrigens &#x201E;ein andres Lehren ist. ein andres<lb/>
Regieren" haben schon die Philosophen des Altertums (Plato) bitter erfahren müssen. Nie¬<lb/>
mand hat die ewigen Gründe hierfür schärfer erfaßt, als fast gleichzeitig mit diesem Aus¬<lb/>
spruche Fjchtcs Hegel.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0503] Der wahrhafte Friede. bewegt. „Erkenne ich recht Gott und seinen Weltplan, wie ich festiglich glaube, so ist in ihm alles Böse, gegen Gott und Freiheit feindliche, was seit Beginn der Zeit bekämpft worden ist von allen Tugendhaften, zusammengedrängt und auf einmal erschienen, ausgestattet mit aller Kraft, die das Böse haben kann. Wozu? Auch alle Kraft des Guten, die jemals in der Welt erschienen ist, soll sich vereinigen und es überwinden. Dies ist das große Schauspiel, welches meines Erachtens dieser Zeit vorbehalten ist." Das also ist der „Begriff des wahr¬ haften Krieges," und darum ist der „gegenwärtige," der deutsche Befreiungs¬ krieg, ein „wahrhafter Krieg." „Nicht nur die Lage — sogar die unmittelbare Praktische Behörde, die Regierung, hat den gegenwärtigen Krieg für einen wahren erklärt, ganz in dem Sinne, der hier aufgestellt ist, in mehreren Verordnungen, unter andern in der über den Landsturm. Einer der seltenen, nicht oft er¬ lebten Fälle, wo Wissenschaft und Regierung übereinkommen."*) Einer der seltenen, nicht ost erlebten Fülle, wo Wissenschaft und Regierung übereinkommen! Wer fühlt sich bei diesen Worten nicht seltsam gemahnt an das gewaltige Schauspiel, welches in diesen Tagen der aufschauenden Welt be¬ reitet ward! Nicht umsonst haben wir den deutschen Leser dazu aufgefordert, einen Blick auf das Gedaukengepräge jener Zeit zu werfen, in welcher der deutsche Geist sich deu „Begriff des wahrhaften Krieges" konstruirte. Denn uns dünkt, als ob er nun im Gegensatz dazu in den Stand gesetzt wäre, sich aus jenem den „Begriff des wahrhaften Friedens" abzuziehen. Was liegt über¬ haupt nicht alles in diesen beiden Gegenpolen, der That und der Idee nach: 1813 und unsre Tage, zwischen denen in diesem Augenblicke schwerlich jemand etwas andres vor dem geistigen Auge sieht, als aufgerollt das Leben des Mannes, welcher, geboren im Jahre des „deutschen wahrhaften Krieges." heute in einer von Waffen starrenden, feindlichen Welt den alten deutschen „Gottes¬ frieden" verkünden konnte! Und doch ist in diesen beiden Polen so viel gemein¬ sames. So viel, daß der tieferblickende das eigentlich zu Grunde liegende als völlige Einheit erfassen und aus dieser Einheit vielleicht das still-mächtige Prinzip herausfühlen könnte, welches in dem einen wie in dem andern wirkt und mit nichts anderm auszuschöpfen wäre, als mit der Formulirung der Welt¬ aufgabe des Deutschtums in der Völker- und Menschengeschichte. Zur Erklärung der aus diesen Worten deutlich herausklingenden Bitterkeit sei be¬ merkt, daß Fichte hier noch diejenige Negierung im Auge hatte, deren letzter Weisheits- schwsz in dem bekannten Satze „Ruhe ist die erste Bürgerpflicht" gipfelte. Die Erfassung der sittlichen Bestimmung des Staates auch in der Bewältigung positiver Aufgaben, von deren gewaltiger Tragweite uns unsre Zeit bereits den höchsten Begriff zu geben imstande ist. hat Fichte selbst zuerst mit herbeiführen helfen. Daß übrigens „ein andres Lehren ist. ein andres Regieren" haben schon die Philosophen des Altertums (Plato) bitter erfahren müssen. Nie¬ mand hat die ewigen Gründe hierfür schärfer erfaßt, als fast gleichzeitig mit diesem Aus¬ spruche Fjchtcs Hegel.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/503
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/503>, abgerufen am 28.09.2024.