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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Die Arbeiteransstände in dem Steinkohlenbecken pennsylvaniens.

Die Steinkohlenlcmdereien im Staate Pennsylvanien umfassen etwa 270000
Acker (der Acker 1^ Morgen), welche sich auf die Grafschaften Wyoming,
Lehigh und Schuhlkill verleite". Vor fünfzig Jahren boten diese Landstriche
einen anmutigen Anblick. Prächtige Wälder auf den Höhen wechselten mit
malerischen Thälern voll schmucker Farmer. Jetzt ist alles in eine Wüste ver¬
wandelt. Der Boden ist aufgerissen, die Berge sind öde und baumlos, und
Reihen unerquicklicher Miethäuser, das Eigentum der großen Kohlengesell¬
schaften, mit vernachlässigten Vorgärten und nüchternster Stirnseite, lassen auf
das ärmliche und unsichere Dasein der Insassen schließen. Die Schienen der
Kohlenbahnen durchziehen die Thäler und kriechen in weiten Bogen oder durch
Tunnel über oder durch das zerwühlte Gebirge dahin. Noch vor vierzig Jahren
war der Acker Landes zu mäßigen Preisen, von einem halben Dollar bis fünfzig
Dollars zu haben. Sobald jedoch die Ausbeutung der Kohlenlager in größerm Ma߬
stabe begann, warf sich die Spekulation mit bekannter Beutegier auf die Erwerbung
und möglichste Verteuerung des nun so kostbar gewordenen Grund und Bodens.
Zu zehn- bis zwanzigfach höhern Preisen wurde das Land an die Aktiengesell¬
schaften und Einzelne verkauft, welche die Anlage und den Betrieb neuer Kohlen¬
schachte beabsichtigten. Dieselben Spekulanten waren es, welche für die neuen
Kohlenbahngesellschaften den Bau der Bahnen übernahmen. Die Kunst, Eisen¬
bahnen ohne eignes Geld zu bauen, ist eine amerikanische Eigentümlichkeit,
wie in Berlin das Häuserbauen durch mittellose Baumeister, ja ganz Bau¬
unkundige. Man bestritt also die Kosten der Anlage aus dem Erlös verkaufter
Prioritäten. Der Betrag der Aktien wurde nichtsdestoweniger darauf geschlagen,
sodaß das gesamte Aktienkapital eine drei- bis viermal höhere Summe vorstellte
als die thatsächlichen Baukosten der Bahn. Und für dies künstlich geschaffene,
für dies so stark als möglich verwässerte Kapital sollten nun die Einnahmen
der Bahn gute Dividenden schaffen. Kein Wunder, daß dem Betrüge bei der
Entstehung der Bahn die Vergewaltigung der Arbeiter und des Publikums im
Laufe des Betriebes folgen mußte, und das, obgleich die Ausbeutung der
Kohlenlager wie die Erweiterung des Kohlenbahnnetzes in wenigen Jahrzehnten
in kolossalen Verhältnis zunahm. Im Jahre 1842, als Charles Dickens seine
berühmte Kanalbootreise von Pittsburgh nach dem Ohio antrat, wurde im
ganzen nur eine Million Tonnen Hartkohle (Mtliravitg) zu Tage gefördert.
1370 waren es bereits siebzehn Millionen (und heute sechsunddreißig Millionen),
d. h. mehr als die schon entwickelte Eisenindustrie und die fast ausschließlich
ans Kohleuheizuug angewiesene Bevölkerung der östlichen Staaten und teilweise
des Westens verbrauche" konnten.

Der übliche Kampf zur Aufrechterhaltung des Preises auf der einen Seite,
zur Herabdrttckung auf der andern begann. Die Bergleute verlangten höhern
Lohn und standen aus, die Zcchenbesitzer, meistens Aktiengesellschaften, verbanden
sich gegen die ihnen zu hoch vorkommenden Frachtsätze der Eisenbahnen und


Die Arbeiteransstände in dem Steinkohlenbecken pennsylvaniens.

Die Steinkohlenlcmdereien im Staate Pennsylvanien umfassen etwa 270000
Acker (der Acker 1^ Morgen), welche sich auf die Grafschaften Wyoming,
Lehigh und Schuhlkill verleite». Vor fünfzig Jahren boten diese Landstriche
einen anmutigen Anblick. Prächtige Wälder auf den Höhen wechselten mit
malerischen Thälern voll schmucker Farmer. Jetzt ist alles in eine Wüste ver¬
wandelt. Der Boden ist aufgerissen, die Berge sind öde und baumlos, und
Reihen unerquicklicher Miethäuser, das Eigentum der großen Kohlengesell¬
schaften, mit vernachlässigten Vorgärten und nüchternster Stirnseite, lassen auf
das ärmliche und unsichere Dasein der Insassen schließen. Die Schienen der
Kohlenbahnen durchziehen die Thäler und kriechen in weiten Bogen oder durch
Tunnel über oder durch das zerwühlte Gebirge dahin. Noch vor vierzig Jahren
war der Acker Landes zu mäßigen Preisen, von einem halben Dollar bis fünfzig
Dollars zu haben. Sobald jedoch die Ausbeutung der Kohlenlager in größerm Ma߬
stabe begann, warf sich die Spekulation mit bekannter Beutegier auf die Erwerbung
und möglichste Verteuerung des nun so kostbar gewordenen Grund und Bodens.
Zu zehn- bis zwanzigfach höhern Preisen wurde das Land an die Aktiengesell¬
schaften und Einzelne verkauft, welche die Anlage und den Betrieb neuer Kohlen¬
schachte beabsichtigten. Dieselben Spekulanten waren es, welche für die neuen
Kohlenbahngesellschaften den Bau der Bahnen übernahmen. Die Kunst, Eisen¬
bahnen ohne eignes Geld zu bauen, ist eine amerikanische Eigentümlichkeit,
wie in Berlin das Häuserbauen durch mittellose Baumeister, ja ganz Bau¬
unkundige. Man bestritt also die Kosten der Anlage aus dem Erlös verkaufter
Prioritäten. Der Betrag der Aktien wurde nichtsdestoweniger darauf geschlagen,
sodaß das gesamte Aktienkapital eine drei- bis viermal höhere Summe vorstellte
als die thatsächlichen Baukosten der Bahn. Und für dies künstlich geschaffene,
für dies so stark als möglich verwässerte Kapital sollten nun die Einnahmen
der Bahn gute Dividenden schaffen. Kein Wunder, daß dem Betrüge bei der
Entstehung der Bahn die Vergewaltigung der Arbeiter und des Publikums im
Laufe des Betriebes folgen mußte, und das, obgleich die Ausbeutung der
Kohlenlager wie die Erweiterung des Kohlenbahnnetzes in wenigen Jahrzehnten
in kolossalen Verhältnis zunahm. Im Jahre 1842, als Charles Dickens seine
berühmte Kanalbootreise von Pittsburgh nach dem Ohio antrat, wurde im
ganzen nur eine Million Tonnen Hartkohle (Mtliravitg) zu Tage gefördert.
1370 waren es bereits siebzehn Millionen (und heute sechsunddreißig Millionen),
d. h. mehr als die schon entwickelte Eisenindustrie und die fast ausschließlich
ans Kohleuheizuug angewiesene Bevölkerung der östlichen Staaten und teilweise
des Westens verbrauche» konnten.

Der übliche Kampf zur Aufrechterhaltung des Preises auf der einen Seite,
zur Herabdrttckung auf der andern begann. Die Bergleute verlangten höhern
Lohn und standen aus, die Zcchenbesitzer, meistens Aktiengesellschaften, verbanden
sich gegen die ihnen zu hoch vorkommenden Frachtsätze der Eisenbahnen und


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[0495] Die Arbeiteransstände in dem Steinkohlenbecken pennsylvaniens. Die Steinkohlenlcmdereien im Staate Pennsylvanien umfassen etwa 270000 Acker (der Acker 1^ Morgen), welche sich auf die Grafschaften Wyoming, Lehigh und Schuhlkill verleite». Vor fünfzig Jahren boten diese Landstriche einen anmutigen Anblick. Prächtige Wälder auf den Höhen wechselten mit malerischen Thälern voll schmucker Farmer. Jetzt ist alles in eine Wüste ver¬ wandelt. Der Boden ist aufgerissen, die Berge sind öde und baumlos, und Reihen unerquicklicher Miethäuser, das Eigentum der großen Kohlengesell¬ schaften, mit vernachlässigten Vorgärten und nüchternster Stirnseite, lassen auf das ärmliche und unsichere Dasein der Insassen schließen. Die Schienen der Kohlenbahnen durchziehen die Thäler und kriechen in weiten Bogen oder durch Tunnel über oder durch das zerwühlte Gebirge dahin. Noch vor vierzig Jahren war der Acker Landes zu mäßigen Preisen, von einem halben Dollar bis fünfzig Dollars zu haben. Sobald jedoch die Ausbeutung der Kohlenlager in größerm Ma߬ stabe begann, warf sich die Spekulation mit bekannter Beutegier auf die Erwerbung und möglichste Verteuerung des nun so kostbar gewordenen Grund und Bodens. Zu zehn- bis zwanzigfach höhern Preisen wurde das Land an die Aktiengesell¬ schaften und Einzelne verkauft, welche die Anlage und den Betrieb neuer Kohlen¬ schachte beabsichtigten. Dieselben Spekulanten waren es, welche für die neuen Kohlenbahngesellschaften den Bau der Bahnen übernahmen. Die Kunst, Eisen¬ bahnen ohne eignes Geld zu bauen, ist eine amerikanische Eigentümlichkeit, wie in Berlin das Häuserbauen durch mittellose Baumeister, ja ganz Bau¬ unkundige. Man bestritt also die Kosten der Anlage aus dem Erlös verkaufter Prioritäten. Der Betrag der Aktien wurde nichtsdestoweniger darauf geschlagen, sodaß das gesamte Aktienkapital eine drei- bis viermal höhere Summe vorstellte als die thatsächlichen Baukosten der Bahn. Und für dies künstlich geschaffene, für dies so stark als möglich verwässerte Kapital sollten nun die Einnahmen der Bahn gute Dividenden schaffen. Kein Wunder, daß dem Betrüge bei der Entstehung der Bahn die Vergewaltigung der Arbeiter und des Publikums im Laufe des Betriebes folgen mußte, und das, obgleich die Ausbeutung der Kohlenlager wie die Erweiterung des Kohlenbahnnetzes in wenigen Jahrzehnten in kolossalen Verhältnis zunahm. Im Jahre 1842, als Charles Dickens seine berühmte Kanalbootreise von Pittsburgh nach dem Ohio antrat, wurde im ganzen nur eine Million Tonnen Hartkohle (Mtliravitg) zu Tage gefördert. 1370 waren es bereits siebzehn Millionen (und heute sechsunddreißig Millionen), d. h. mehr als die schon entwickelte Eisenindustrie und die fast ausschließlich ans Kohleuheizuug angewiesene Bevölkerung der östlichen Staaten und teilweise des Westens verbrauche» konnten. Der übliche Kampf zur Aufrechterhaltung des Preises auf der einen Seite, zur Herabdrttckung auf der andern begann. Die Bergleute verlangten höhern Lohn und standen aus, die Zcchenbesitzer, meistens Aktiengesellschaften, verbanden sich gegen die ihnen zu hoch vorkommenden Frachtsätze der Eisenbahnen und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/495>, abgerufen am 28.09.2024.