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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Die Sozialdemokratie und die Schweiz.

le jüngsten Verhandlungen des Reichstages über die Verlänge¬
rung des Gesetzes gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der
Sozialdemokratie haben in sehr auffallender Weise vor dein
deutschen Volke und vor Europa das Verhältnis beleuchtet, in
welchem sich die Schweiz im allgemeinen und Schweizer Behörden
im besondern zur deutschen Sozialdemokratie befinden. Die Verhandlungen
hatten, wie nicht anders zu erwarten war, infolge des Verhaltens der sozial-
demokratischen Vertreter einen sehr aufregenden Charakter gehabt, und mau muß
es offen aussprechen, daß dabei im wesentlichen mehr der Parteistandpunkt zur
Geltung kam, als die Rücksicht auf die große Gefahr, welche der bestehenden
Staats- und Gesellschaftsordnung durch die Sozialdemokratie droht. Die sozial¬
demokratischen Abgeordneten glaubten einen Hauptschlag gegen die preußische
Regierung auszuführen, indem sie von der Tribüne des Reichstages Enthül¬
lungen brachten über die Entlarvung sogenannter Polizciagenten der Berliner
Sicherheitsbehörde, die einige Zeit vorher in der Schweiz stattgefunden hatte.
Insbesondre hatten sie sich mit der amtlichen Bescheinigung des Schweizer Unter-
suchungsbcamten, Polizeihauptmann Fischer in Zürich, ausgerüstet, der aus den
Akten den sozialdemokratischen Abgeordneten Bebel und Singer alles das be¬
zeugt hatte, was sie von ihm bezeugt wissen wollten. Der Schlag hat freilich
nicht den erwarteten Erfolg gehabt, denn abgesehen von dem fortschrittlichen
Abgeordneten Bamberger, stand die Reichstagsmehrheit diesen sogenannten Ent¬
hüllungen sehr kühl gegenüber und war jedenfalls von der Meinung beherrscht,
daß die Handlungen der entdeckten Polizeispione in keiner Weise auf Rechnung
der preußischen Regierung gesetzt werden könnten. Ohne daß wir auf die Ver¬
handlungen näher eingehen, müssen zwei Umstände besonders hervorgehoben werden.


Grenzboten I. 1888. 60


Die Sozialdemokratie und die Schweiz.

le jüngsten Verhandlungen des Reichstages über die Verlänge¬
rung des Gesetzes gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der
Sozialdemokratie haben in sehr auffallender Weise vor dein
deutschen Volke und vor Europa das Verhältnis beleuchtet, in
welchem sich die Schweiz im allgemeinen und Schweizer Behörden
im besondern zur deutschen Sozialdemokratie befinden. Die Verhandlungen
hatten, wie nicht anders zu erwarten war, infolge des Verhaltens der sozial-
demokratischen Vertreter einen sehr aufregenden Charakter gehabt, und mau muß
es offen aussprechen, daß dabei im wesentlichen mehr der Parteistandpunkt zur
Geltung kam, als die Rücksicht auf die große Gefahr, welche der bestehenden
Staats- und Gesellschaftsordnung durch die Sozialdemokratie droht. Die sozial¬
demokratischen Abgeordneten glaubten einen Hauptschlag gegen die preußische
Regierung auszuführen, indem sie von der Tribüne des Reichstages Enthül¬
lungen brachten über die Entlarvung sogenannter Polizciagenten der Berliner
Sicherheitsbehörde, die einige Zeit vorher in der Schweiz stattgefunden hatte.
Insbesondre hatten sie sich mit der amtlichen Bescheinigung des Schweizer Unter-
suchungsbcamten, Polizeihauptmann Fischer in Zürich, ausgerüstet, der aus den
Akten den sozialdemokratischen Abgeordneten Bebel und Singer alles das be¬
zeugt hatte, was sie von ihm bezeugt wissen wollten. Der Schlag hat freilich
nicht den erwarteten Erfolg gehabt, denn abgesehen von dem fortschrittlichen
Abgeordneten Bamberger, stand die Reichstagsmehrheit diesen sogenannten Ent¬
hüllungen sehr kühl gegenüber und war jedenfalls von der Meinung beherrscht,
daß die Handlungen der entdeckten Polizeispione in keiner Weise auf Rechnung
der preußischen Regierung gesetzt werden könnten. Ohne daß wir auf die Ver¬
handlungen näher eingehen, müssen zwei Umstände besonders hervorgehoben werden.


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[0481] [Abbildung] Die Sozialdemokratie und die Schweiz. le jüngsten Verhandlungen des Reichstages über die Verlänge¬ rung des Gesetzes gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie haben in sehr auffallender Weise vor dein deutschen Volke und vor Europa das Verhältnis beleuchtet, in welchem sich die Schweiz im allgemeinen und Schweizer Behörden im besondern zur deutschen Sozialdemokratie befinden. Die Verhandlungen hatten, wie nicht anders zu erwarten war, infolge des Verhaltens der sozial- demokratischen Vertreter einen sehr aufregenden Charakter gehabt, und mau muß es offen aussprechen, daß dabei im wesentlichen mehr der Parteistandpunkt zur Geltung kam, als die Rücksicht auf die große Gefahr, welche der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung durch die Sozialdemokratie droht. Die sozial¬ demokratischen Abgeordneten glaubten einen Hauptschlag gegen die preußische Regierung auszuführen, indem sie von der Tribüne des Reichstages Enthül¬ lungen brachten über die Entlarvung sogenannter Polizciagenten der Berliner Sicherheitsbehörde, die einige Zeit vorher in der Schweiz stattgefunden hatte. Insbesondre hatten sie sich mit der amtlichen Bescheinigung des Schweizer Unter- suchungsbcamten, Polizeihauptmann Fischer in Zürich, ausgerüstet, der aus den Akten den sozialdemokratischen Abgeordneten Bebel und Singer alles das be¬ zeugt hatte, was sie von ihm bezeugt wissen wollten. Der Schlag hat freilich nicht den erwarteten Erfolg gehabt, denn abgesehen von dem fortschrittlichen Abgeordneten Bamberger, stand die Reichstagsmehrheit diesen sogenannten Ent¬ hüllungen sehr kühl gegenüber und war jedenfalls von der Meinung beherrscht, daß die Handlungen der entdeckten Polizeispione in keiner Weise auf Rechnung der preußischen Regierung gesetzt werden könnten. Ohne daß wir auf die Ver¬ handlungen näher eingehen, müssen zwei Umstände besonders hervorgehoben werden. Grenzboten I. 1888. 60

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/481>, abgerufen am 28.09.2024.