Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Joseph Freiherr von Gichendorsf.

der Gegner vieler Aussprüche des Verfassers von dessen tiefem Eindringen in
das Wesen der Poesie immer von neuem angezogen und gefesselt. Man möchte
auf das merkwürdige Werk anwenden, was er selbst über die Gesamtheit deutscher
Poesie sagt: "Im großen und ganzen ist es doch immer ein frischer Wellen¬
schlag, wenn auch die siebente Welle sich immer wieder rückwärts überstürzt."

Daß Eichendorff der lyrisch begabteste unter allen Romantikern gewesen ist,
unterliegt keinem Zweifel. Außer diesem großen Naturschatz kam ihm zu statten,
daß er ein Nachgeborner war. Beim Beginne seiner schriftstellerischen Laufbahn
hatten sich die Ziele der neuen Schule schon einigermaßen geklärt. Für ein
tieferes Eingehen auf diesen Gegenstand ist hier leider nicht der Raum. Aber
wenigstens mag noch -- unter allem Vorbehalt -- mit seinen Worten ausge¬
sprochen werden, was ihm die Poesie ist: nicht ist sie "bloße Schilderung oder
Nachahmung der Wirklichkeit," ebenso wenig "unmittelbare Darstellung der über¬
sinnlichen Welt." sondern "die indirekte, d. h. sinnliche Darstellung des Ewigen
und immer und überall Bedeutenden, welches auch jederzeit das Schöne ist,
das verhüllt das Irdische durchschimmert. Dieses Ewige, Bedeutende -- schließt
er -- ist aber eben die Religion."

Zu Eichendorsfs Freundeskreise zählen, außer den schon erwähnten Männern,
Leute von den verschiedensten Richtungen, unter ihnen auch namentlich prote¬
stantische Geistliche; dann Philipp Veit, Friedrich Schlegel und dessen Gattin,
Franz Kugler, v. Schön, v. Raumer, Fouque, Holtet, Bessel, Johannes Voigt,
Fr. W. Schubert, v. Bohlen, Alfr. v. Auerswald, Schnaase, Savigny, Chamisso,
Nikolovius, Schmcdding, Kortüm, Ad. Schöll; besonders nahe stand ihm Felix
Mendelssohn, dessen letzte Komposition ein Eichendorffsches Gedicht war: "Ver¬
gangen ist der lichte Tag." Ein Freund sang es noch dem Sterbenden vor.

Die Häuslichkeit unsers Dichters begann inmitten zweier Feldzüge, weit
später, als er es gehofft hatte. Denn schon als Jüngling von einundzwanzig Jahren
hatte er sich mit Luise Viktoria von Larisch verlobt, einer damals erst fünfzehn¬
jährigen Landsmännin. Sie wird als ein schönes, frohgelauntes Mädchen ge¬
schildert, das auf dem elterlichen Landsitze fleißig mit zugreifen gelernt hatte. Der
Bräutigam war schlank, aber von kräftigem Körperbau, hatte seelenvolle blaue
Augen, braune Locken und ein kleines Schnurrbürtchen. Ein aus jener Zeit
vorhandnes Bild erinnert an Theodor Körner. Fünf Jahre hat der Brautstand
des Liebespaares gedauert. Zwischen der Schlacht von Leipzig und von Belle-
Alliance sind sie dann glücklich in den Hafen der Ehe eingelaufen. Dieser
durch herzliche Eintracht und durch liebe Kinder gesegnete Bund hat vierzig Jahre
gedauert. Die größten Stürme, von denen er heimgesucht wurde, kamen von
außen: die Berliner Märzrevolution und der Maiaufstand in Dresden; denn
nach Dresden hatte der Dichter bald nach seiner Flucht aus Berlin sich ge¬
wendet, und zwar mit dem Wunsche, dort seine Tage beschließen zu können.
Mit kurzer Unterbrechung ist er fast volle zwei Jahre in Dresden gewesen, und


Joseph Freiherr von Gichendorsf.

der Gegner vieler Aussprüche des Verfassers von dessen tiefem Eindringen in
das Wesen der Poesie immer von neuem angezogen und gefesselt. Man möchte
auf das merkwürdige Werk anwenden, was er selbst über die Gesamtheit deutscher
Poesie sagt: „Im großen und ganzen ist es doch immer ein frischer Wellen¬
schlag, wenn auch die siebente Welle sich immer wieder rückwärts überstürzt."

Daß Eichendorff der lyrisch begabteste unter allen Romantikern gewesen ist,
unterliegt keinem Zweifel. Außer diesem großen Naturschatz kam ihm zu statten,
daß er ein Nachgeborner war. Beim Beginne seiner schriftstellerischen Laufbahn
hatten sich die Ziele der neuen Schule schon einigermaßen geklärt. Für ein
tieferes Eingehen auf diesen Gegenstand ist hier leider nicht der Raum. Aber
wenigstens mag noch — unter allem Vorbehalt — mit seinen Worten ausge¬
sprochen werden, was ihm die Poesie ist: nicht ist sie „bloße Schilderung oder
Nachahmung der Wirklichkeit," ebenso wenig „unmittelbare Darstellung der über¬
sinnlichen Welt." sondern „die indirekte, d. h. sinnliche Darstellung des Ewigen
und immer und überall Bedeutenden, welches auch jederzeit das Schöne ist,
das verhüllt das Irdische durchschimmert. Dieses Ewige, Bedeutende — schließt
er — ist aber eben die Religion."

Zu Eichendorsfs Freundeskreise zählen, außer den schon erwähnten Männern,
Leute von den verschiedensten Richtungen, unter ihnen auch namentlich prote¬
stantische Geistliche; dann Philipp Veit, Friedrich Schlegel und dessen Gattin,
Franz Kugler, v. Schön, v. Raumer, Fouque, Holtet, Bessel, Johannes Voigt,
Fr. W. Schubert, v. Bohlen, Alfr. v. Auerswald, Schnaase, Savigny, Chamisso,
Nikolovius, Schmcdding, Kortüm, Ad. Schöll; besonders nahe stand ihm Felix
Mendelssohn, dessen letzte Komposition ein Eichendorffsches Gedicht war: „Ver¬
gangen ist der lichte Tag." Ein Freund sang es noch dem Sterbenden vor.

Die Häuslichkeit unsers Dichters begann inmitten zweier Feldzüge, weit
später, als er es gehofft hatte. Denn schon als Jüngling von einundzwanzig Jahren
hatte er sich mit Luise Viktoria von Larisch verlobt, einer damals erst fünfzehn¬
jährigen Landsmännin. Sie wird als ein schönes, frohgelauntes Mädchen ge¬
schildert, das auf dem elterlichen Landsitze fleißig mit zugreifen gelernt hatte. Der
Bräutigam war schlank, aber von kräftigem Körperbau, hatte seelenvolle blaue
Augen, braune Locken und ein kleines Schnurrbürtchen. Ein aus jener Zeit
vorhandnes Bild erinnert an Theodor Körner. Fünf Jahre hat der Brautstand
des Liebespaares gedauert. Zwischen der Schlacht von Leipzig und von Belle-
Alliance sind sie dann glücklich in den Hafen der Ehe eingelaufen. Dieser
durch herzliche Eintracht und durch liebe Kinder gesegnete Bund hat vierzig Jahre
gedauert. Die größten Stürme, von denen er heimgesucht wurde, kamen von
außen: die Berliner Märzrevolution und der Maiaufstand in Dresden; denn
nach Dresden hatte der Dichter bald nach seiner Flucht aus Berlin sich ge¬
wendet, und zwar mit dem Wunsche, dort seine Tage beschließen zu können.
Mit kurzer Unterbrechung ist er fast volle zwei Jahre in Dresden gewesen, und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0466" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/202565"/>
          <fw type="header" place="top"> Joseph Freiherr von Gichendorsf.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1730" prev="#ID_1729"> der Gegner vieler Aussprüche des Verfassers von dessen tiefem Eindringen in<lb/>
das Wesen der Poesie immer von neuem angezogen und gefesselt. Man möchte<lb/>
auf das merkwürdige Werk anwenden, was er selbst über die Gesamtheit deutscher<lb/>
Poesie sagt: &#x201E;Im großen und ganzen ist es doch immer ein frischer Wellen¬<lb/>
schlag, wenn auch die siebente Welle sich immer wieder rückwärts überstürzt."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1731"> Daß Eichendorff der lyrisch begabteste unter allen Romantikern gewesen ist,<lb/>
unterliegt keinem Zweifel. Außer diesem großen Naturschatz kam ihm zu statten,<lb/>
daß er ein Nachgeborner war. Beim Beginne seiner schriftstellerischen Laufbahn<lb/>
hatten sich die Ziele der neuen Schule schon einigermaßen geklärt. Für ein<lb/>
tieferes Eingehen auf diesen Gegenstand ist hier leider nicht der Raum. Aber<lb/>
wenigstens mag noch &#x2014; unter allem Vorbehalt &#x2014; mit seinen Worten ausge¬<lb/>
sprochen werden, was ihm die Poesie ist: nicht ist sie &#x201E;bloße Schilderung oder<lb/>
Nachahmung der Wirklichkeit," ebenso wenig &#x201E;unmittelbare Darstellung der über¬<lb/>
sinnlichen Welt." sondern &#x201E;die indirekte, d. h. sinnliche Darstellung des Ewigen<lb/>
und immer und überall Bedeutenden, welches auch jederzeit das Schöne ist,<lb/>
das verhüllt das Irdische durchschimmert. Dieses Ewige, Bedeutende &#x2014; schließt<lb/>
er &#x2014; ist aber eben die Religion."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1732"> Zu Eichendorsfs Freundeskreise zählen, außer den schon erwähnten Männern,<lb/>
Leute von den verschiedensten Richtungen, unter ihnen auch namentlich prote¬<lb/>
stantische Geistliche; dann Philipp Veit, Friedrich Schlegel und dessen Gattin,<lb/>
Franz Kugler, v. Schön, v. Raumer, Fouque, Holtet, Bessel, Johannes Voigt,<lb/>
Fr. W. Schubert, v. Bohlen, Alfr. v. Auerswald, Schnaase, Savigny, Chamisso,<lb/>
Nikolovius, Schmcdding, Kortüm, Ad. Schöll; besonders nahe stand ihm Felix<lb/>
Mendelssohn, dessen letzte Komposition ein Eichendorffsches Gedicht war: &#x201E;Ver¬<lb/>
gangen ist der lichte Tag."  Ein Freund sang es noch dem Sterbenden vor.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1733" next="#ID_1734"> Die Häuslichkeit unsers Dichters begann inmitten zweier Feldzüge, weit<lb/>
später, als er es gehofft hatte. Denn schon als Jüngling von einundzwanzig Jahren<lb/>
hatte er sich mit Luise Viktoria von Larisch verlobt, einer damals erst fünfzehn¬<lb/>
jährigen Landsmännin. Sie wird als ein schönes, frohgelauntes Mädchen ge¬<lb/>
schildert, das auf dem elterlichen Landsitze fleißig mit zugreifen gelernt hatte. Der<lb/>
Bräutigam war schlank, aber von kräftigem Körperbau, hatte seelenvolle blaue<lb/>
Augen, braune Locken und ein kleines Schnurrbürtchen. Ein aus jener Zeit<lb/>
vorhandnes Bild erinnert an Theodor Körner. Fünf Jahre hat der Brautstand<lb/>
des Liebespaares gedauert. Zwischen der Schlacht von Leipzig und von Belle-<lb/>
Alliance sind sie dann glücklich in den Hafen der Ehe eingelaufen. Dieser<lb/>
durch herzliche Eintracht und durch liebe Kinder gesegnete Bund hat vierzig Jahre<lb/>
gedauert. Die größten Stürme, von denen er heimgesucht wurde, kamen von<lb/>
außen: die Berliner Märzrevolution und der Maiaufstand in Dresden; denn<lb/>
nach Dresden hatte der Dichter bald nach seiner Flucht aus Berlin sich ge¬<lb/>
wendet, und zwar mit dem Wunsche, dort seine Tage beschließen zu können.<lb/>
Mit kurzer Unterbrechung ist er fast volle zwei Jahre in Dresden gewesen, und</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0466] Joseph Freiherr von Gichendorsf. der Gegner vieler Aussprüche des Verfassers von dessen tiefem Eindringen in das Wesen der Poesie immer von neuem angezogen und gefesselt. Man möchte auf das merkwürdige Werk anwenden, was er selbst über die Gesamtheit deutscher Poesie sagt: „Im großen und ganzen ist es doch immer ein frischer Wellen¬ schlag, wenn auch die siebente Welle sich immer wieder rückwärts überstürzt." Daß Eichendorff der lyrisch begabteste unter allen Romantikern gewesen ist, unterliegt keinem Zweifel. Außer diesem großen Naturschatz kam ihm zu statten, daß er ein Nachgeborner war. Beim Beginne seiner schriftstellerischen Laufbahn hatten sich die Ziele der neuen Schule schon einigermaßen geklärt. Für ein tieferes Eingehen auf diesen Gegenstand ist hier leider nicht der Raum. Aber wenigstens mag noch — unter allem Vorbehalt — mit seinen Worten ausge¬ sprochen werden, was ihm die Poesie ist: nicht ist sie „bloße Schilderung oder Nachahmung der Wirklichkeit," ebenso wenig „unmittelbare Darstellung der über¬ sinnlichen Welt." sondern „die indirekte, d. h. sinnliche Darstellung des Ewigen und immer und überall Bedeutenden, welches auch jederzeit das Schöne ist, das verhüllt das Irdische durchschimmert. Dieses Ewige, Bedeutende — schließt er — ist aber eben die Religion." Zu Eichendorsfs Freundeskreise zählen, außer den schon erwähnten Männern, Leute von den verschiedensten Richtungen, unter ihnen auch namentlich prote¬ stantische Geistliche; dann Philipp Veit, Friedrich Schlegel und dessen Gattin, Franz Kugler, v. Schön, v. Raumer, Fouque, Holtet, Bessel, Johannes Voigt, Fr. W. Schubert, v. Bohlen, Alfr. v. Auerswald, Schnaase, Savigny, Chamisso, Nikolovius, Schmcdding, Kortüm, Ad. Schöll; besonders nahe stand ihm Felix Mendelssohn, dessen letzte Komposition ein Eichendorffsches Gedicht war: „Ver¬ gangen ist der lichte Tag." Ein Freund sang es noch dem Sterbenden vor. Die Häuslichkeit unsers Dichters begann inmitten zweier Feldzüge, weit später, als er es gehofft hatte. Denn schon als Jüngling von einundzwanzig Jahren hatte er sich mit Luise Viktoria von Larisch verlobt, einer damals erst fünfzehn¬ jährigen Landsmännin. Sie wird als ein schönes, frohgelauntes Mädchen ge¬ schildert, das auf dem elterlichen Landsitze fleißig mit zugreifen gelernt hatte. Der Bräutigam war schlank, aber von kräftigem Körperbau, hatte seelenvolle blaue Augen, braune Locken und ein kleines Schnurrbürtchen. Ein aus jener Zeit vorhandnes Bild erinnert an Theodor Körner. Fünf Jahre hat der Brautstand des Liebespaares gedauert. Zwischen der Schlacht von Leipzig und von Belle- Alliance sind sie dann glücklich in den Hafen der Ehe eingelaufen. Dieser durch herzliche Eintracht und durch liebe Kinder gesegnete Bund hat vierzig Jahre gedauert. Die größten Stürme, von denen er heimgesucht wurde, kamen von außen: die Berliner Märzrevolution und der Maiaufstand in Dresden; denn nach Dresden hatte der Dichter bald nach seiner Flucht aus Berlin sich ge¬ wendet, und zwar mit dem Wunsche, dort seine Tage beschließen zu können. Mit kurzer Unterbrechung ist er fast volle zwei Jahre in Dresden gewesen, und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/466
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/466>, abgerufen am 28.09.2024.