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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Die Dubar-Sage und der keilschriftliche Sintflutbericht.

Getreideerntezeit zur Hochsommerglut mit ihren krankheiterzeugenden, widrigen
Wirkungen und endlich zur Zeit der Wcinreife. Wir erkannten den Dubarmythus
als Naturmythus, dessen Teile in ihrer Aufeinanderfolge und Gestaltung inner¬
lich begründet waren durch die natürlichen Erscheinungen, deren bildliche Um¬
schreibungen sie waren. Um aber den Ring der Jahrcserscheinungen zu schließen,
fehlt noch eine charakteristische unter ihnen, die Regenzeit. Diese setzt für die
in Frage kommende Landschaft unmittelbar nach der Weinernte, nach unsrer
Jahrcsrechnung im November, ein; sie setzt der Sonnenglut ein jähes Ende,
und diesen natürlichen Vorgang versinnbildlicht der Mythus dadurch, daß Dubar
von seinem Leiden durch das Eintauchen in die Flut geheilt wird.

Aber wo bleibt der Sonnenheld während der ganzen Regenzeit? Denn
seine Rückkehr nach Warka, die durch seine Bitten erwirkte Nuferstehnng Eabauis,
des Helden eigne Glorifizirnng sind doch schon Symbole für den neu erwachenden
Frühling! Liefert uns der Mythus keine Einkleidung für das zeitweilige Ver¬
schwinden der Sonne?

Gewiß thut er es; gerade diese Lücken auszufüllen, ist der Zweck der Flut¬
geschichte; der Sonnenheld selbst befindet sich während der Regenzeit in der
Arche, nur im Mythus nicht mehr als Dubar, sondern als dessen Ahn Nocch-
Hasisathra. Deal da Hasisathra ausdrücklich als der Vorfahre Dubars durch
den Mythus beglaubigt wird, was liegt da näher, als auch in ihm, dem Ahn
des Sonnenhelden, eine Sonnenpersonifikation zu erblicken, welche einem andern
ältern Mythus angehört und sich zu der Dubarperson ähnlich verhält wie etwa
eine Uranus-Okeanos-Helios-Familie zu der eines Zeus-Poseidon-Apollo?

Hasisathra ist eine personifizirte uralte Sommernacht, sei es Gott oder
Heros, und als solcher der Mittelpunkt eines ebenso uralten Sonnenmythus,
der aber nicht wie die Dubarsage mit dem anbrechenden Frühling einsetzt, son¬
dern mit dem Beginn der Regenzeit, durch welche erst die Natur in den Stand
gesetzt wird, ihre fruchtbringende Frühlingsthätigkeit zu beweisen. Das mytho¬
logische Symbol dieser Regenzeit ist die Sintflut, ein uralter Sageustoff, dem
die geschichtliche Springflut einer stets wiederkehrenden Regel der Mythenbilduug
gemäß einverleibt ist.

Zunächst ein allgemeiner Beweis. Die Ursache der großen Flut ist in
allen sie behandelnden Mythen eine ethische, die Sündhaftigkeit der Menschen.
Wie aber Simrock in seinem Handbuch der deutschen Mythologie betont, setzt
jede Einmischung ethischer Züge in die Mythen schon ein Fortschreiten derselben
aus dem Bereich einfacher Phantasie auf das geistige Gebiet voraus; denn der
Ursprung aller Mythen^ist Naturmythus und symbolisirt den Kreislauf von
Tag und Nacht, Sommer und Winter. Darnach muß also der uns vorliegenden
Gestalt des?zweifellos durch die Springflut beeinflußten, ethisch begründeten
Berichts eine ursprünglichere, rein uaturmythischc Sageufvrm zu Grunde gelegen
haben, eine Flutsage, als Teil eines Sonnenmythns, die Regenzeit symbolisirend.


Die Dubar-Sage und der keilschriftliche Sintflutbericht.

Getreideerntezeit zur Hochsommerglut mit ihren krankheiterzeugenden, widrigen
Wirkungen und endlich zur Zeit der Wcinreife. Wir erkannten den Dubarmythus
als Naturmythus, dessen Teile in ihrer Aufeinanderfolge und Gestaltung inner¬
lich begründet waren durch die natürlichen Erscheinungen, deren bildliche Um¬
schreibungen sie waren. Um aber den Ring der Jahrcserscheinungen zu schließen,
fehlt noch eine charakteristische unter ihnen, die Regenzeit. Diese setzt für die
in Frage kommende Landschaft unmittelbar nach der Weinernte, nach unsrer
Jahrcsrechnung im November, ein; sie setzt der Sonnenglut ein jähes Ende,
und diesen natürlichen Vorgang versinnbildlicht der Mythus dadurch, daß Dubar
von seinem Leiden durch das Eintauchen in die Flut geheilt wird.

Aber wo bleibt der Sonnenheld während der ganzen Regenzeit? Denn
seine Rückkehr nach Warka, die durch seine Bitten erwirkte Nuferstehnng Eabauis,
des Helden eigne Glorifizirnng sind doch schon Symbole für den neu erwachenden
Frühling! Liefert uns der Mythus keine Einkleidung für das zeitweilige Ver¬
schwinden der Sonne?

Gewiß thut er es; gerade diese Lücken auszufüllen, ist der Zweck der Flut¬
geschichte; der Sonnenheld selbst befindet sich während der Regenzeit in der
Arche, nur im Mythus nicht mehr als Dubar, sondern als dessen Ahn Nocch-
Hasisathra. Deal da Hasisathra ausdrücklich als der Vorfahre Dubars durch
den Mythus beglaubigt wird, was liegt da näher, als auch in ihm, dem Ahn
des Sonnenhelden, eine Sonnenpersonifikation zu erblicken, welche einem andern
ältern Mythus angehört und sich zu der Dubarperson ähnlich verhält wie etwa
eine Uranus-Okeanos-Helios-Familie zu der eines Zeus-Poseidon-Apollo?

Hasisathra ist eine personifizirte uralte Sommernacht, sei es Gott oder
Heros, und als solcher der Mittelpunkt eines ebenso uralten Sonnenmythus,
der aber nicht wie die Dubarsage mit dem anbrechenden Frühling einsetzt, son¬
dern mit dem Beginn der Regenzeit, durch welche erst die Natur in den Stand
gesetzt wird, ihre fruchtbringende Frühlingsthätigkeit zu beweisen. Das mytho¬
logische Symbol dieser Regenzeit ist die Sintflut, ein uralter Sageustoff, dem
die geschichtliche Springflut einer stets wiederkehrenden Regel der Mythenbilduug
gemäß einverleibt ist.

Zunächst ein allgemeiner Beweis. Die Ursache der großen Flut ist in
allen sie behandelnden Mythen eine ethische, die Sündhaftigkeit der Menschen.
Wie aber Simrock in seinem Handbuch der deutschen Mythologie betont, setzt
jede Einmischung ethischer Züge in die Mythen schon ein Fortschreiten derselben
aus dem Bereich einfacher Phantasie auf das geistige Gebiet voraus; denn der
Ursprung aller Mythen^ist Naturmythus und symbolisirt den Kreislauf von
Tag und Nacht, Sommer und Winter. Darnach muß also der uns vorliegenden
Gestalt des?zweifellos durch die Springflut beeinflußten, ethisch begründeten
Berichts eine ursprünglichere, rein uaturmythischc Sageufvrm zu Grunde gelegen
haben, eine Flutsage, als Teil eines Sonnenmythns, die Regenzeit symbolisirend.


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[0454] Die Dubar-Sage und der keilschriftliche Sintflutbericht. Getreideerntezeit zur Hochsommerglut mit ihren krankheiterzeugenden, widrigen Wirkungen und endlich zur Zeit der Wcinreife. Wir erkannten den Dubarmythus als Naturmythus, dessen Teile in ihrer Aufeinanderfolge und Gestaltung inner¬ lich begründet waren durch die natürlichen Erscheinungen, deren bildliche Um¬ schreibungen sie waren. Um aber den Ring der Jahrcserscheinungen zu schließen, fehlt noch eine charakteristische unter ihnen, die Regenzeit. Diese setzt für die in Frage kommende Landschaft unmittelbar nach der Weinernte, nach unsrer Jahrcsrechnung im November, ein; sie setzt der Sonnenglut ein jähes Ende, und diesen natürlichen Vorgang versinnbildlicht der Mythus dadurch, daß Dubar von seinem Leiden durch das Eintauchen in die Flut geheilt wird. Aber wo bleibt der Sonnenheld während der ganzen Regenzeit? Denn seine Rückkehr nach Warka, die durch seine Bitten erwirkte Nuferstehnng Eabauis, des Helden eigne Glorifizirnng sind doch schon Symbole für den neu erwachenden Frühling! Liefert uns der Mythus keine Einkleidung für das zeitweilige Ver¬ schwinden der Sonne? Gewiß thut er es; gerade diese Lücken auszufüllen, ist der Zweck der Flut¬ geschichte; der Sonnenheld selbst befindet sich während der Regenzeit in der Arche, nur im Mythus nicht mehr als Dubar, sondern als dessen Ahn Nocch- Hasisathra. Deal da Hasisathra ausdrücklich als der Vorfahre Dubars durch den Mythus beglaubigt wird, was liegt da näher, als auch in ihm, dem Ahn des Sonnenhelden, eine Sonnenpersonifikation zu erblicken, welche einem andern ältern Mythus angehört und sich zu der Dubarperson ähnlich verhält wie etwa eine Uranus-Okeanos-Helios-Familie zu der eines Zeus-Poseidon-Apollo? Hasisathra ist eine personifizirte uralte Sommernacht, sei es Gott oder Heros, und als solcher der Mittelpunkt eines ebenso uralten Sonnenmythus, der aber nicht wie die Dubarsage mit dem anbrechenden Frühling einsetzt, son¬ dern mit dem Beginn der Regenzeit, durch welche erst die Natur in den Stand gesetzt wird, ihre fruchtbringende Frühlingsthätigkeit zu beweisen. Das mytho¬ logische Symbol dieser Regenzeit ist die Sintflut, ein uralter Sageustoff, dem die geschichtliche Springflut einer stets wiederkehrenden Regel der Mythenbilduug gemäß einverleibt ist. Zunächst ein allgemeiner Beweis. Die Ursache der großen Flut ist in allen sie behandelnden Mythen eine ethische, die Sündhaftigkeit der Menschen. Wie aber Simrock in seinem Handbuch der deutschen Mythologie betont, setzt jede Einmischung ethischer Züge in die Mythen schon ein Fortschreiten derselben aus dem Bereich einfacher Phantasie auf das geistige Gebiet voraus; denn der Ursprung aller Mythen^ist Naturmythus und symbolisirt den Kreislauf von Tag und Nacht, Sommer und Winter. Darnach muß also der uns vorliegenden Gestalt des?zweifellos durch die Springflut beeinflußten, ethisch begründeten Berichts eine ursprünglichere, rein uaturmythischc Sageufvrm zu Grunde gelegen haben, eine Flutsage, als Teil eines Sonnenmythns, die Regenzeit symbolisirend.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/454>, abgerufen am 27.09.2024.