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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Die Weimarer Gesamtausgabe von Goethes Werken.

dennoch blieb es in der Ausgabe letzter Hand stehen, da er hierzu ein andres
Exemplar verwandte.

Doch kehren wir nach dieser Austreibung des Leides zu Suphans "Vor¬
bericht" zurück. Man hätte gern die Ansicht der Redaktoren darüber ver¬
nommen, in welchem Falle die Gründe für eine Änderung zwingend seien. Einen
Fall dieser Art finden wir im "Faust" 2348, wo Riemers Dich statt Doch
aufgenommen worden ist, obgleich auch diese Vermutung vom Jahre 1809 in keine
der beiden letzten Ausgaben Eingang gefunden hatte. Die Änderungen, welche
Göttling sich "hie und da unbemerkt oder ohne Goethes bezeugte Einwilligung
gestattet hat," sollen nach der Äußerung Suphans erforderlichen Falls rückgängig
gemacht werden. Wir sollten denken, auch in dem Falle, wo Göttlings Gründe
nichts beweisen. Statt der Überschrift des geselligen Liedes "Epiphanias" ist
1828 in die Oktavausgabe Göttlings Vorschlag "Epiphaniasfest" eingedrungen,
weil "Epiphanias doch immer ein Genetiv bleibe." Nichts weniger als das.
Epiphanias ist stehende Bezeichnung des Dreikönigstages, des 6. Januar, wie
Palmarum des Ostersonntags, und es handelt sich nicht um das Fest, sondern
um den Tag. So überschrieb denn Goethe auch ein andres Gedicht nicht
Pfingstfest, sondern Pfingsten. Demnach hätte die neue Ausgabe "Epiphanias-
fest" rückgängig machen sollen. An einer andern Überschrift nahm Göttling mit
Recht Anstoß. In VairitÄs! og.v.iwwni! vanitas! sei wohl, meinte er, das erste
Ausrufungszeichen zu streichen. Goethe genehmigte diese Änderung. Aber dann
schlägt doch das letzte vanitas sehr matt nach. In dem hier zu Grunde liegenden
Loelesiastss ("Prediger Salomonis") steht einmal das wiederholte V^nit-rs
vaiüwwro.! ein andermal Vaiütas vaniwwin! orrmi-i, oculos! Das letzte war hier
ohne Zweifel gemeint, nur "innig, durch Versehen ausgefallen. Hiernach ist der
Titel des Liedes nicht mit Göttling halb, sondern ganz zu verbessern.

Ein Hauptmangel des Vorberichts liegt darin, daß er keine Übersicht und
Beurteilung aller Gesamtausgaben giebt; eine solche gehörte hierher, sodciß die
Herausgeber der einzelnen Werke darauf verweisen konnten. Daraus würde das
besonders wichtige, von mir längst ausgesprochene Ergebnis gewonnen worden
sein, daß die von 1815 an erschienene Ausgabe (L) wegen ihrer großen Nach¬
lässigkeit nur da Beachtung verdient, wo ihre Lesart sich als eine absichtliche
Verbesserung des, wenn auch von Fehlern nicht freien, doch sorgfältigern Druckes
von 1806 bis 1808 t" ergiebt, und demnach auch die Taschen- und Oktav-
ausgnbe letzter Hand, bei welchen diese zu Grunde lag, da, wo sie gegen ^ mit
L übereinstimmen, nach zu verbessern ist. Von diesem Grundsatze aus wird
die Kritik außerordentlich erleichtert. Zwar fühven die Herausgeber der Gedichte
und des "Faust" vor dem Verzeichnis der abweichenden Lesarten auch die Gesamt¬
ausgaben an (selbst in dem genauern Vorbericht zu .Faust" fehlt der Neudruck
von ^. aus dem Jahre 1808), aber ohne auf das Verhältnis derselben zu ein¬
ander einzugehen, als ob die Bestimmung desselben nicht eine Haupthandhabe


Die Weimarer Gesamtausgabe von Goethes Werken.

dennoch blieb es in der Ausgabe letzter Hand stehen, da er hierzu ein andres
Exemplar verwandte.

Doch kehren wir nach dieser Austreibung des Leides zu Suphans „Vor¬
bericht" zurück. Man hätte gern die Ansicht der Redaktoren darüber ver¬
nommen, in welchem Falle die Gründe für eine Änderung zwingend seien. Einen
Fall dieser Art finden wir im „Faust" 2348, wo Riemers Dich statt Doch
aufgenommen worden ist, obgleich auch diese Vermutung vom Jahre 1809 in keine
der beiden letzten Ausgaben Eingang gefunden hatte. Die Änderungen, welche
Göttling sich „hie und da unbemerkt oder ohne Goethes bezeugte Einwilligung
gestattet hat," sollen nach der Äußerung Suphans erforderlichen Falls rückgängig
gemacht werden. Wir sollten denken, auch in dem Falle, wo Göttlings Gründe
nichts beweisen. Statt der Überschrift des geselligen Liedes „Epiphanias" ist
1828 in die Oktavausgabe Göttlings Vorschlag „Epiphaniasfest" eingedrungen,
weil „Epiphanias doch immer ein Genetiv bleibe." Nichts weniger als das.
Epiphanias ist stehende Bezeichnung des Dreikönigstages, des 6. Januar, wie
Palmarum des Ostersonntags, und es handelt sich nicht um das Fest, sondern
um den Tag. So überschrieb denn Goethe auch ein andres Gedicht nicht
Pfingstfest, sondern Pfingsten. Demnach hätte die neue Ausgabe „Epiphanias-
fest" rückgängig machen sollen. An einer andern Überschrift nahm Göttling mit
Recht Anstoß. In VairitÄs! og.v.iwwni! vanitas! sei wohl, meinte er, das erste
Ausrufungszeichen zu streichen. Goethe genehmigte diese Änderung. Aber dann
schlägt doch das letzte vanitas sehr matt nach. In dem hier zu Grunde liegenden
Loelesiastss („Prediger Salomonis") steht einmal das wiederholte V^nit-rs
vaiüwwro.! ein andermal Vaiütas vaniwwin! orrmi-i, oculos! Das letzte war hier
ohne Zweifel gemeint, nur »innig, durch Versehen ausgefallen. Hiernach ist der
Titel des Liedes nicht mit Göttling halb, sondern ganz zu verbessern.

Ein Hauptmangel des Vorberichts liegt darin, daß er keine Übersicht und
Beurteilung aller Gesamtausgaben giebt; eine solche gehörte hierher, sodciß die
Herausgeber der einzelnen Werke darauf verweisen konnten. Daraus würde das
besonders wichtige, von mir längst ausgesprochene Ergebnis gewonnen worden
sein, daß die von 1815 an erschienene Ausgabe (L) wegen ihrer großen Nach¬
lässigkeit nur da Beachtung verdient, wo ihre Lesart sich als eine absichtliche
Verbesserung des, wenn auch von Fehlern nicht freien, doch sorgfältigern Druckes
von 1806 bis 1808 t» ergiebt, und demnach auch die Taschen- und Oktav-
ausgnbe letzter Hand, bei welchen diese zu Grunde lag, da, wo sie gegen ^ mit
L übereinstimmen, nach zu verbessern ist. Von diesem Grundsatze aus wird
die Kritik außerordentlich erleichtert. Zwar fühven die Herausgeber der Gedichte
und des „Faust" vor dem Verzeichnis der abweichenden Lesarten auch die Gesamt¬
ausgaben an (selbst in dem genauern Vorbericht zu .Faust" fehlt der Neudruck
von ^. aus dem Jahre 1808), aber ohne auf das Verhältnis derselben zu ein¬
ander einzugehen, als ob die Bestimmung desselben nicht eine Haupthandhabe


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[0043] Die Weimarer Gesamtausgabe von Goethes Werken. dennoch blieb es in der Ausgabe letzter Hand stehen, da er hierzu ein andres Exemplar verwandte. Doch kehren wir nach dieser Austreibung des Leides zu Suphans „Vor¬ bericht" zurück. Man hätte gern die Ansicht der Redaktoren darüber ver¬ nommen, in welchem Falle die Gründe für eine Änderung zwingend seien. Einen Fall dieser Art finden wir im „Faust" 2348, wo Riemers Dich statt Doch aufgenommen worden ist, obgleich auch diese Vermutung vom Jahre 1809 in keine der beiden letzten Ausgaben Eingang gefunden hatte. Die Änderungen, welche Göttling sich „hie und da unbemerkt oder ohne Goethes bezeugte Einwilligung gestattet hat," sollen nach der Äußerung Suphans erforderlichen Falls rückgängig gemacht werden. Wir sollten denken, auch in dem Falle, wo Göttlings Gründe nichts beweisen. Statt der Überschrift des geselligen Liedes „Epiphanias" ist 1828 in die Oktavausgabe Göttlings Vorschlag „Epiphaniasfest" eingedrungen, weil „Epiphanias doch immer ein Genetiv bleibe." Nichts weniger als das. Epiphanias ist stehende Bezeichnung des Dreikönigstages, des 6. Januar, wie Palmarum des Ostersonntags, und es handelt sich nicht um das Fest, sondern um den Tag. So überschrieb denn Goethe auch ein andres Gedicht nicht Pfingstfest, sondern Pfingsten. Demnach hätte die neue Ausgabe „Epiphanias- fest" rückgängig machen sollen. An einer andern Überschrift nahm Göttling mit Recht Anstoß. In VairitÄs! og.v.iwwni! vanitas! sei wohl, meinte er, das erste Ausrufungszeichen zu streichen. Goethe genehmigte diese Änderung. Aber dann schlägt doch das letzte vanitas sehr matt nach. In dem hier zu Grunde liegenden Loelesiastss („Prediger Salomonis") steht einmal das wiederholte V^nit-rs vaiüwwro.! ein andermal Vaiütas vaniwwin! orrmi-i, oculos! Das letzte war hier ohne Zweifel gemeint, nur »innig, durch Versehen ausgefallen. Hiernach ist der Titel des Liedes nicht mit Göttling halb, sondern ganz zu verbessern. Ein Hauptmangel des Vorberichts liegt darin, daß er keine Übersicht und Beurteilung aller Gesamtausgaben giebt; eine solche gehörte hierher, sodciß die Herausgeber der einzelnen Werke darauf verweisen konnten. Daraus würde das besonders wichtige, von mir längst ausgesprochene Ergebnis gewonnen worden sein, daß die von 1815 an erschienene Ausgabe (L) wegen ihrer großen Nach¬ lässigkeit nur da Beachtung verdient, wo ihre Lesart sich als eine absichtliche Verbesserung des, wenn auch von Fehlern nicht freien, doch sorgfältigern Druckes von 1806 bis 1808 t» ergiebt, und demnach auch die Taschen- und Oktav- ausgnbe letzter Hand, bei welchen diese zu Grunde lag, da, wo sie gegen ^ mit L übereinstimmen, nach zu verbessern ist. Von diesem Grundsatze aus wird die Kritik außerordentlich erleichtert. Zwar fühven die Herausgeber der Gedichte und des „Faust" vor dem Verzeichnis der abweichenden Lesarten auch die Gesamt¬ ausgaben an (selbst in dem genauern Vorbericht zu .Faust" fehlt der Neudruck von ^. aus dem Jahre 1808), aber ohne auf das Verhältnis derselben zu ein¬ ander einzugehen, als ob die Bestimmung desselben nicht eine Haupthandhabe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/43>, abgerufen am 28.09.2024.