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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Gottsched und die deutsche Sprache.

ihm Bodmer und dessen Freunde weit überlegen. Welchen Wert aber die Er¬
forschung des deutschen Altertums auch für die deutsche Sprache gehabt hat,
das braucht und kann hier nicht eingehend erörtert werden. Es genüge die
Bemerkung, daß schon zu Gottscheds Zeiten sich gar mancher dieses Wertes
bewußt war; auf Gottsched aber, der ihn nicht erkannte, werfen wir deshalb keinen
Stein; sein Verdienst um die deutsche Sprache bleibt immer noch groß genug.

Wohl hat er manche Sprachneuerungen Klopstocks, der Schweizer und
andrer selbst verspottet oder durch seine Freunde verspotten lassen, und es hat
ihm das viel Feinde zugezogen; es war nur zu natürlich, daß spätere Geschicht¬
schreiber solche Schwächen zum Schaden seines Ruhmes ausbeuteten. Daß sie
darüber aber ganz seiner guten Seiten vergaßen, bleibt zu bedauern. Nüchtern
nannte man seine Sprache, weil sie nicht geeignet erschien für den Ausdruck
gewaltiger Leidenschaften und kühner Flüge der Einbildungskraft, aber der
Sprache seiner Vorgänger gegenüber hätte man ihr auch Klarheit, Einfachheit,
Natürlichkeit, durchsichtigen Satzbau, streng folgerichtigen Zusammenhang nach¬
rühmen können.

Volkstümliche Frische vermißte man an seiner Sprache, und es ist wahr,
er erscheint sehr engherzig, wenn er in einer Besprechung einer alten, unter
dem Titel "Neu ausgeputzte Sprachposaune" erschienenen Schrift (Beyträge V,
420) volkstümliche Redensarten bemängelt; wenn er z. B. verlangt, man solle
nicht sagen: "fremde Wörter bei Säcken voll von sich werfen," sondern: "fremde
Wörter häufig einmischen." Für die Redensart: "Wir hangen alle am Affen¬
schwanz" schlägt er vor: "Wir thun alles gern nach." Aber in seiner Sprach¬
kunst handelt doch ein besondres Hauptstück, das zwölfte, von den "Kern- und
Gleichuisrcden der deutschen Sprache," und hier sagt er von diesen, in ihnen
bestehe "aller Sprachen wahre Stärke" und wer sich ihrer geschickt und am
rechten Orte zu bedienen wisse, der zeige sich "als einen Meister." Und dann
bietet er ein vierunddreißig Spalten umfassendes Verzeichnis solcher Redens¬
arten, zum Gebrauche bestimmt, doch unter der Voraussetzung, daß "eine gute
Urteilskraft ihnen schon ihren Platz anweisen" werde. Es seien freilich, meint
er, etliche "niedrig klingende" darunter, die "außer dem gemeinen Leben in
edeln Schriften, als in der Beredsamkeit und Dichtkunst, nicht stattfinden."
Da finden wir u. a. Redensarten wie: "einen anschlägiger Kopf haben, Sand
in die Augen streuen, hoch am Brete sein, einem die Brücke treten, wissen, wo
Varthel Most holt, den Daumen aufs Auge setzen, Federlesens machen, sich
gewaschen haben, weder Hand noch Fuß haben, den Pelz waschen und nicht
naß machen, in ein Wespennest stören" u. a.; leider hat Gottsched die nach seiner
Meinung "niedrig klingenden" Redensarten in dem Verzeichnisse nicht besonders
kenntlich gemacht.

Es würde ein sehr verdienstvolles Unternehmen sein, wenn jemand Gott¬
scheds Stil genauer untersuchen und mit dem seiner Vorgänger vergleichen


Grenzboten I, 1338. SI
Gottsched und die deutsche Sprache.

ihm Bodmer und dessen Freunde weit überlegen. Welchen Wert aber die Er¬
forschung des deutschen Altertums auch für die deutsche Sprache gehabt hat,
das braucht und kann hier nicht eingehend erörtert werden. Es genüge die
Bemerkung, daß schon zu Gottscheds Zeiten sich gar mancher dieses Wertes
bewußt war; auf Gottsched aber, der ihn nicht erkannte, werfen wir deshalb keinen
Stein; sein Verdienst um die deutsche Sprache bleibt immer noch groß genug.

Wohl hat er manche Sprachneuerungen Klopstocks, der Schweizer und
andrer selbst verspottet oder durch seine Freunde verspotten lassen, und es hat
ihm das viel Feinde zugezogen; es war nur zu natürlich, daß spätere Geschicht¬
schreiber solche Schwächen zum Schaden seines Ruhmes ausbeuteten. Daß sie
darüber aber ganz seiner guten Seiten vergaßen, bleibt zu bedauern. Nüchtern
nannte man seine Sprache, weil sie nicht geeignet erschien für den Ausdruck
gewaltiger Leidenschaften und kühner Flüge der Einbildungskraft, aber der
Sprache seiner Vorgänger gegenüber hätte man ihr auch Klarheit, Einfachheit,
Natürlichkeit, durchsichtigen Satzbau, streng folgerichtigen Zusammenhang nach¬
rühmen können.

Volkstümliche Frische vermißte man an seiner Sprache, und es ist wahr,
er erscheint sehr engherzig, wenn er in einer Besprechung einer alten, unter
dem Titel „Neu ausgeputzte Sprachposaune" erschienenen Schrift (Beyträge V,
420) volkstümliche Redensarten bemängelt; wenn er z. B. verlangt, man solle
nicht sagen: „fremde Wörter bei Säcken voll von sich werfen," sondern: „fremde
Wörter häufig einmischen." Für die Redensart: „Wir hangen alle am Affen¬
schwanz" schlägt er vor: „Wir thun alles gern nach." Aber in seiner Sprach¬
kunst handelt doch ein besondres Hauptstück, das zwölfte, von den „Kern- und
Gleichuisrcden der deutschen Sprache," und hier sagt er von diesen, in ihnen
bestehe „aller Sprachen wahre Stärke" und wer sich ihrer geschickt und am
rechten Orte zu bedienen wisse, der zeige sich „als einen Meister." Und dann
bietet er ein vierunddreißig Spalten umfassendes Verzeichnis solcher Redens¬
arten, zum Gebrauche bestimmt, doch unter der Voraussetzung, daß „eine gute
Urteilskraft ihnen schon ihren Platz anweisen" werde. Es seien freilich, meint
er, etliche „niedrig klingende" darunter, die „außer dem gemeinen Leben in
edeln Schriften, als in der Beredsamkeit und Dichtkunst, nicht stattfinden."
Da finden wir u. a. Redensarten wie: „einen anschlägiger Kopf haben, Sand
in die Augen streuen, hoch am Brete sein, einem die Brücke treten, wissen, wo
Varthel Most holt, den Daumen aufs Auge setzen, Federlesens machen, sich
gewaschen haben, weder Hand noch Fuß haben, den Pelz waschen und nicht
naß machen, in ein Wespennest stören" u. a.; leider hat Gottsched die nach seiner
Meinung „niedrig klingenden" Redensarten in dem Verzeichnisse nicht besonders
kenntlich gemacht.

Es würde ein sehr verdienstvolles Unternehmen sein, wenn jemand Gott¬
scheds Stil genauer untersuchen und mit dem seiner Vorgänger vergleichen


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[0409] Gottsched und die deutsche Sprache. ihm Bodmer und dessen Freunde weit überlegen. Welchen Wert aber die Er¬ forschung des deutschen Altertums auch für die deutsche Sprache gehabt hat, das braucht und kann hier nicht eingehend erörtert werden. Es genüge die Bemerkung, daß schon zu Gottscheds Zeiten sich gar mancher dieses Wertes bewußt war; auf Gottsched aber, der ihn nicht erkannte, werfen wir deshalb keinen Stein; sein Verdienst um die deutsche Sprache bleibt immer noch groß genug. Wohl hat er manche Sprachneuerungen Klopstocks, der Schweizer und andrer selbst verspottet oder durch seine Freunde verspotten lassen, und es hat ihm das viel Feinde zugezogen; es war nur zu natürlich, daß spätere Geschicht¬ schreiber solche Schwächen zum Schaden seines Ruhmes ausbeuteten. Daß sie darüber aber ganz seiner guten Seiten vergaßen, bleibt zu bedauern. Nüchtern nannte man seine Sprache, weil sie nicht geeignet erschien für den Ausdruck gewaltiger Leidenschaften und kühner Flüge der Einbildungskraft, aber der Sprache seiner Vorgänger gegenüber hätte man ihr auch Klarheit, Einfachheit, Natürlichkeit, durchsichtigen Satzbau, streng folgerichtigen Zusammenhang nach¬ rühmen können. Volkstümliche Frische vermißte man an seiner Sprache, und es ist wahr, er erscheint sehr engherzig, wenn er in einer Besprechung einer alten, unter dem Titel „Neu ausgeputzte Sprachposaune" erschienenen Schrift (Beyträge V, 420) volkstümliche Redensarten bemängelt; wenn er z. B. verlangt, man solle nicht sagen: „fremde Wörter bei Säcken voll von sich werfen," sondern: „fremde Wörter häufig einmischen." Für die Redensart: „Wir hangen alle am Affen¬ schwanz" schlägt er vor: „Wir thun alles gern nach." Aber in seiner Sprach¬ kunst handelt doch ein besondres Hauptstück, das zwölfte, von den „Kern- und Gleichuisrcden der deutschen Sprache," und hier sagt er von diesen, in ihnen bestehe „aller Sprachen wahre Stärke" und wer sich ihrer geschickt und am rechten Orte zu bedienen wisse, der zeige sich „als einen Meister." Und dann bietet er ein vierunddreißig Spalten umfassendes Verzeichnis solcher Redens¬ arten, zum Gebrauche bestimmt, doch unter der Voraussetzung, daß „eine gute Urteilskraft ihnen schon ihren Platz anweisen" werde. Es seien freilich, meint er, etliche „niedrig klingende" darunter, die „außer dem gemeinen Leben in edeln Schriften, als in der Beredsamkeit und Dichtkunst, nicht stattfinden." Da finden wir u. a. Redensarten wie: „einen anschlägiger Kopf haben, Sand in die Augen streuen, hoch am Brete sein, einem die Brücke treten, wissen, wo Varthel Most holt, den Daumen aufs Auge setzen, Federlesens machen, sich gewaschen haben, weder Hand noch Fuß haben, den Pelz waschen und nicht naß machen, in ein Wespennest stören" u. a.; leider hat Gottsched die nach seiner Meinung „niedrig klingenden" Redensarten in dem Verzeichnisse nicht besonders kenntlich gemacht. Es würde ein sehr verdienstvolles Unternehmen sein, wenn jemand Gott¬ scheds Stil genauer untersuchen und mit dem seiner Vorgänger vergleichen Grenzboten I, 1338. SI

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/409>, abgerufen am 28.09.2024.