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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Ein böser Geist im heutigen England.

sondern an heuchlerische, bemitleidenswerte, abscheuliche. Die alten Namen und
Gleichnisse des Glaubens gehen noch um von Zunge zu Zunge, doch jetzt in
einem solchen greuelvollen Zustande, nicht als Gebote des lebendigen Gottes,
welche wir halten oder ewiglich verderben müssen; ach nein, als etwas davon
sehr verschiednes! Hier liegt im eigentlichen Grunde die große UnVerständlich¬
keit des siebzehnten Jahrhunderts für uns. Aus dieser Quelle ist unsre Mi߬
handlung desselben, sind unsre falschen Veröffentlichungen, falschen Schreibereien
und die ganze andre "Lawine menschlicher Dummheit" hervorgegangen, womit
wir überschüttet worden sind. Wir haben noch einige andre Dinge überschütten
lassen. Wollte der Himmel, daß dies die schlimmste Frucht wäre, die wir von
unserm Unglauben und unserm Scheinglauben ^tut ok lZsIie-l^ geerntet hätten!"

S. 78 giebt er für das Verständnis der "dunkeln Welt des siebzehnten
Jahrhunderts" zwei Ratschläge. "Der erste ist: man glaube ja nicht dem weit
verbreiteten Berichte, daß diese Puritaner meist abergläubische, hirnverbrannte
Leute, hingerissen von Schwärmerei, und der kleinere herrschende Teil verschlagene
Männer gewesen seien, welche verstanden hätten, die Redeweise der andern an¬
zunehmen und sie dadurch als geriebene Macchiavells hinters Licht zu führen.
Dies ist eine weitverbreitete Ansicht, aber eine unwahre. Ich rate meinem Leser,
es mit der gerade umgekehrten Annahme zu versuchen. Zu bedenken, daß seine
Väter, die sehr ernsthaft über diese Welt nachgesonnen hatten, und zwar mit
beträchtlicher Denkkraft, hinsichtlich derselben nicht ganz so weit zurück waren.
Daß ihre Schwärmereien, genau betrachtet, wirklich nicht Thorheit, sondern Weis¬
heit waren. Daß Macchiavellismus, Carl, amtliche Ausdrucksweise, womit man
offen sagt, was man nicht meint, damals, so überraschend das auch scheinen
mag, viel seltener waren, als sie seitdem jemals gewesen sind. Wirklich und
wahrhaftig kann man in gewissem Maße sagen, daß Carl, parlamentarischer
Redeprunk in dieser Welt erst noch zu erfinden waren. O Himmel, man könnte
über den Kontrast weinen! Carl war damals durchaus nicht Mode, jene er¬
staunliche Erfindung einer "Rede mit dem Zwecke, die Gedanken zu verbergen,"
war noch nicht gemacht. Ein Mensch, der seine Zunge wackeln läßt, als ob
sie der Klöppel einer zu ökonomischen Zwecken gekanteten Schelle und nicht so
sehr zu dem Versuche vorhanden wäre, irgend einen innern Gedanken der Außen¬
welt zu vermitteln, würde zu jener Zeit in den Gemütern der Menschen all
das Entsetzen wachgerufen haben, das ihm zu allen Zeiten und auch in unsrer
Zeit gebührt. Das verfluchte Ding! Niemand wagte es noch, da alle Menschen
glaubten, daß Gott sie richten würde. In der Geschichte des Bürgerkrieges
weit und breit bin ich auf keine einzige Erscheinung der Art gestoßen. Selbst
Erzbischof Laud und Peter Heylin meinten, was sie sagen; durch ihre Worte
sieht man unmittelbar hinein in die höckerige Überzeugung, die sie sich gebildet
haben, oder wenn der "verlogene Peter" wirklich lügt, so weiß er wenigstens, daß
er lügt. Lord Clarendon, ein Mensch von genügender UnWahrhaftigkeit des


Ein böser Geist im heutigen England.

sondern an heuchlerische, bemitleidenswerte, abscheuliche. Die alten Namen und
Gleichnisse des Glaubens gehen noch um von Zunge zu Zunge, doch jetzt in
einem solchen greuelvollen Zustande, nicht als Gebote des lebendigen Gottes,
welche wir halten oder ewiglich verderben müssen; ach nein, als etwas davon
sehr verschiednes! Hier liegt im eigentlichen Grunde die große UnVerständlich¬
keit des siebzehnten Jahrhunderts für uns. Aus dieser Quelle ist unsre Mi߬
handlung desselben, sind unsre falschen Veröffentlichungen, falschen Schreibereien
und die ganze andre »Lawine menschlicher Dummheit« hervorgegangen, womit
wir überschüttet worden sind. Wir haben noch einige andre Dinge überschütten
lassen. Wollte der Himmel, daß dies die schlimmste Frucht wäre, die wir von
unserm Unglauben und unserm Scheinglauben ^tut ok lZsIie-l^ geerntet hätten!"

S. 78 giebt er für das Verständnis der „dunkeln Welt des siebzehnten
Jahrhunderts" zwei Ratschläge. „Der erste ist: man glaube ja nicht dem weit
verbreiteten Berichte, daß diese Puritaner meist abergläubische, hirnverbrannte
Leute, hingerissen von Schwärmerei, und der kleinere herrschende Teil verschlagene
Männer gewesen seien, welche verstanden hätten, die Redeweise der andern an¬
zunehmen und sie dadurch als geriebene Macchiavells hinters Licht zu führen.
Dies ist eine weitverbreitete Ansicht, aber eine unwahre. Ich rate meinem Leser,
es mit der gerade umgekehrten Annahme zu versuchen. Zu bedenken, daß seine
Väter, die sehr ernsthaft über diese Welt nachgesonnen hatten, und zwar mit
beträchtlicher Denkkraft, hinsichtlich derselben nicht ganz so weit zurück waren.
Daß ihre Schwärmereien, genau betrachtet, wirklich nicht Thorheit, sondern Weis¬
heit waren. Daß Macchiavellismus, Carl, amtliche Ausdrucksweise, womit man
offen sagt, was man nicht meint, damals, so überraschend das auch scheinen
mag, viel seltener waren, als sie seitdem jemals gewesen sind. Wirklich und
wahrhaftig kann man in gewissem Maße sagen, daß Carl, parlamentarischer
Redeprunk in dieser Welt erst noch zu erfinden waren. O Himmel, man könnte
über den Kontrast weinen! Carl war damals durchaus nicht Mode, jene er¬
staunliche Erfindung einer »Rede mit dem Zwecke, die Gedanken zu verbergen,«
war noch nicht gemacht. Ein Mensch, der seine Zunge wackeln läßt, als ob
sie der Klöppel einer zu ökonomischen Zwecken gekanteten Schelle und nicht so
sehr zu dem Versuche vorhanden wäre, irgend einen innern Gedanken der Außen¬
welt zu vermitteln, würde zu jener Zeit in den Gemütern der Menschen all
das Entsetzen wachgerufen haben, das ihm zu allen Zeiten und auch in unsrer
Zeit gebührt. Das verfluchte Ding! Niemand wagte es noch, da alle Menschen
glaubten, daß Gott sie richten würde. In der Geschichte des Bürgerkrieges
weit und breit bin ich auf keine einzige Erscheinung der Art gestoßen. Selbst
Erzbischof Laud und Peter Heylin meinten, was sie sagen; durch ihre Worte
sieht man unmittelbar hinein in die höckerige Überzeugung, die sie sich gebildet
haben, oder wenn der »verlogene Peter« wirklich lügt, so weiß er wenigstens, daß
er lügt. Lord Clarendon, ein Mensch von genügender UnWahrhaftigkeit des


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[0387] Ein böser Geist im heutigen England. sondern an heuchlerische, bemitleidenswerte, abscheuliche. Die alten Namen und Gleichnisse des Glaubens gehen noch um von Zunge zu Zunge, doch jetzt in einem solchen greuelvollen Zustande, nicht als Gebote des lebendigen Gottes, welche wir halten oder ewiglich verderben müssen; ach nein, als etwas davon sehr verschiednes! Hier liegt im eigentlichen Grunde die große UnVerständlich¬ keit des siebzehnten Jahrhunderts für uns. Aus dieser Quelle ist unsre Mi߬ handlung desselben, sind unsre falschen Veröffentlichungen, falschen Schreibereien und die ganze andre »Lawine menschlicher Dummheit« hervorgegangen, womit wir überschüttet worden sind. Wir haben noch einige andre Dinge überschütten lassen. Wollte der Himmel, daß dies die schlimmste Frucht wäre, die wir von unserm Unglauben und unserm Scheinglauben ^tut ok lZsIie-l^ geerntet hätten!" S. 78 giebt er für das Verständnis der „dunkeln Welt des siebzehnten Jahrhunderts" zwei Ratschläge. „Der erste ist: man glaube ja nicht dem weit verbreiteten Berichte, daß diese Puritaner meist abergläubische, hirnverbrannte Leute, hingerissen von Schwärmerei, und der kleinere herrschende Teil verschlagene Männer gewesen seien, welche verstanden hätten, die Redeweise der andern an¬ zunehmen und sie dadurch als geriebene Macchiavells hinters Licht zu führen. Dies ist eine weitverbreitete Ansicht, aber eine unwahre. Ich rate meinem Leser, es mit der gerade umgekehrten Annahme zu versuchen. Zu bedenken, daß seine Väter, die sehr ernsthaft über diese Welt nachgesonnen hatten, und zwar mit beträchtlicher Denkkraft, hinsichtlich derselben nicht ganz so weit zurück waren. Daß ihre Schwärmereien, genau betrachtet, wirklich nicht Thorheit, sondern Weis¬ heit waren. Daß Macchiavellismus, Carl, amtliche Ausdrucksweise, womit man offen sagt, was man nicht meint, damals, so überraschend das auch scheinen mag, viel seltener waren, als sie seitdem jemals gewesen sind. Wirklich und wahrhaftig kann man in gewissem Maße sagen, daß Carl, parlamentarischer Redeprunk in dieser Welt erst noch zu erfinden waren. O Himmel, man könnte über den Kontrast weinen! Carl war damals durchaus nicht Mode, jene er¬ staunliche Erfindung einer »Rede mit dem Zwecke, die Gedanken zu verbergen,« war noch nicht gemacht. Ein Mensch, der seine Zunge wackeln läßt, als ob sie der Klöppel einer zu ökonomischen Zwecken gekanteten Schelle und nicht so sehr zu dem Versuche vorhanden wäre, irgend einen innern Gedanken der Außen¬ welt zu vermitteln, würde zu jener Zeit in den Gemütern der Menschen all das Entsetzen wachgerufen haben, das ihm zu allen Zeiten und auch in unsrer Zeit gebührt. Das verfluchte Ding! Niemand wagte es noch, da alle Menschen glaubten, daß Gott sie richten würde. In der Geschichte des Bürgerkrieges weit und breit bin ich auf keine einzige Erscheinung der Art gestoßen. Selbst Erzbischof Laud und Peter Heylin meinten, was sie sagen; durch ihre Worte sieht man unmittelbar hinein in die höckerige Überzeugung, die sie sich gebildet haben, oder wenn der »verlogene Peter« wirklich lügt, so weiß er wenigstens, daß er lügt. Lord Clarendon, ein Mensch von genügender UnWahrhaftigkeit des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/387>, abgerufen am 28.09.2024.