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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Der Arzt und der Kranke.

seine Kräfte auf die Fälle offenbarer Gefahr, in denen und so lange ein Arzt
nicht zur Stelle ist, beschränkt, also auf plötzliche Verunglückungen durch Er¬
trinken, Kohleudunst und dergleichen. Die wichtige Mahnung: Nur nicht schaden!
mögen sich alle Samariter als erste Regel tief in ihr opferfreudiges Herz
schreiben und nie die ihnen gezogene Grenze überschreiten, wenn die naheliegende
Versuchung an sie herantritt, sich in unberufner Geschäftigkeit um einen Kranken
zu bemühen. Denn hieran knüpfen sich die ernstesten Bedenken, welche von
vielen Seiten und besonders aus ärztlichen Kreisen gegen die Samariterschnlen
erhoben worden sind. Chirurgische Kenntnisse im Kopfe eines Laien bleiben ein
zweischneidiges Schwert, und nicht ohne Grund fürchtet man, daß der Samariter
mit seinem Diplom in der Tasche in falscher Schätzung seiner Leistungsfähigkeit
zum Unheil des Betroffenen sich an Dinge macht, welche seinen Gesichtskreis
übersteigen.

Wie schwer es übrigens ist, auch auf einem möglichst eng umschriebenen
Gebiete richtig zu handeln, dürfte einleuchten. Ich erzähle dafür nur ein schla¬
gendes Beispiel: Auf einem Tanzboden wurde ein junger Mann durch einen
tiefen Stich in den rechten Oberschenkel verwundet, welcher die große Pulsader
geöffnet hatte. Als ich hinzukam, war der dem Verbluten nahe Mann von
vier Kameraden umgeben, welche keine Hand zur Hilfsleistung gerührt hatten,
obgleich sie bezüglich des in solchen Fällen rettenden Handgriffs (Zusammen¬
drücken der Pulsader) in einem kurz zuvor beendeten längern Samariterkursus
sämtlich eingehend unterwiesen worden waren. In solchen Augenblicken fehlt
eben leider nur zu oft die kaltblütige Geistesgegenwart, welche lediglich durch
lange Übung in wirklicher -- nicht nur bei Prüfungen angenommener -- Gefahr
gewonnen werden kann, um das richtige Mittel mit klarem Auge zu erkennen
und mit sicherer Hand ohne Zaudern anzuwenden. Es dürfte nützlich sein,
einmal auf die praktischen Schwierigkeiten einer Sache aufmerksam zu machen,
welche augenblicklich von der Gunst weiter Kreise getragen wird, damit das
zweifellos Gute dieser Bestrebungen möglichst rein zur Wirkung gelangt. Täuscht
man sich über diese Schwierigkeiten oder weiß man den daraus entspringenden
Gefahren nicht zu begegnen, so muß man sich auf eine den Schlachtenbummlern
ähnliche Erscheinung gefaßt machen. I. Trojan hat kürzlich die wilden Medizin¬
männer nud Gcheimmittelschwindler, welche aus der äußersten Not der Menschen
die besten Geschäfte machen, mit dem Namen "Sanitätsstrolche" gebrandmarkt.
Es wäre traurig, sollte der edle und uneigennützige Samariterdieust ebenfalls
durch unlautere Elemente verunziert werden.

Nur kleine Geister werden annehmen, daß die vorstehenden, von ärztlicher
Seite ausgehenden Mahnungen auf engherzige Standesrücksichten zurückzuführen
seien. Hier wie in allem, was ich über das Verhältnis zwischen dem Kranken
und dem Arzte auszusprechen mich veranlaßt gesehen habe, steht das Wohl des
ersteren immer im Vordergründe, und wo es etwa schien, als wenn der Be-


Der Arzt und der Kranke.

seine Kräfte auf die Fälle offenbarer Gefahr, in denen und so lange ein Arzt
nicht zur Stelle ist, beschränkt, also auf plötzliche Verunglückungen durch Er¬
trinken, Kohleudunst und dergleichen. Die wichtige Mahnung: Nur nicht schaden!
mögen sich alle Samariter als erste Regel tief in ihr opferfreudiges Herz
schreiben und nie die ihnen gezogene Grenze überschreiten, wenn die naheliegende
Versuchung an sie herantritt, sich in unberufner Geschäftigkeit um einen Kranken
zu bemühen. Denn hieran knüpfen sich die ernstesten Bedenken, welche von
vielen Seiten und besonders aus ärztlichen Kreisen gegen die Samariterschnlen
erhoben worden sind. Chirurgische Kenntnisse im Kopfe eines Laien bleiben ein
zweischneidiges Schwert, und nicht ohne Grund fürchtet man, daß der Samariter
mit seinem Diplom in der Tasche in falscher Schätzung seiner Leistungsfähigkeit
zum Unheil des Betroffenen sich an Dinge macht, welche seinen Gesichtskreis
übersteigen.

Wie schwer es übrigens ist, auch auf einem möglichst eng umschriebenen
Gebiete richtig zu handeln, dürfte einleuchten. Ich erzähle dafür nur ein schla¬
gendes Beispiel: Auf einem Tanzboden wurde ein junger Mann durch einen
tiefen Stich in den rechten Oberschenkel verwundet, welcher die große Pulsader
geöffnet hatte. Als ich hinzukam, war der dem Verbluten nahe Mann von
vier Kameraden umgeben, welche keine Hand zur Hilfsleistung gerührt hatten,
obgleich sie bezüglich des in solchen Fällen rettenden Handgriffs (Zusammen¬
drücken der Pulsader) in einem kurz zuvor beendeten längern Samariterkursus
sämtlich eingehend unterwiesen worden waren. In solchen Augenblicken fehlt
eben leider nur zu oft die kaltblütige Geistesgegenwart, welche lediglich durch
lange Übung in wirklicher — nicht nur bei Prüfungen angenommener — Gefahr
gewonnen werden kann, um das richtige Mittel mit klarem Auge zu erkennen
und mit sicherer Hand ohne Zaudern anzuwenden. Es dürfte nützlich sein,
einmal auf die praktischen Schwierigkeiten einer Sache aufmerksam zu machen,
welche augenblicklich von der Gunst weiter Kreise getragen wird, damit das
zweifellos Gute dieser Bestrebungen möglichst rein zur Wirkung gelangt. Täuscht
man sich über diese Schwierigkeiten oder weiß man den daraus entspringenden
Gefahren nicht zu begegnen, so muß man sich auf eine den Schlachtenbummlern
ähnliche Erscheinung gefaßt machen. I. Trojan hat kürzlich die wilden Medizin¬
männer nud Gcheimmittelschwindler, welche aus der äußersten Not der Menschen
die besten Geschäfte machen, mit dem Namen „Sanitätsstrolche" gebrandmarkt.
Es wäre traurig, sollte der edle und uneigennützige Samariterdieust ebenfalls
durch unlautere Elemente verunziert werden.

Nur kleine Geister werden annehmen, daß die vorstehenden, von ärztlicher
Seite ausgehenden Mahnungen auf engherzige Standesrücksichten zurückzuführen
seien. Hier wie in allem, was ich über das Verhältnis zwischen dem Kranken
und dem Arzte auszusprechen mich veranlaßt gesehen habe, steht das Wohl des
ersteren immer im Vordergründe, und wo es etwa schien, als wenn der Be-


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[0036] Der Arzt und der Kranke. seine Kräfte auf die Fälle offenbarer Gefahr, in denen und so lange ein Arzt nicht zur Stelle ist, beschränkt, also auf plötzliche Verunglückungen durch Er¬ trinken, Kohleudunst und dergleichen. Die wichtige Mahnung: Nur nicht schaden! mögen sich alle Samariter als erste Regel tief in ihr opferfreudiges Herz schreiben und nie die ihnen gezogene Grenze überschreiten, wenn die naheliegende Versuchung an sie herantritt, sich in unberufner Geschäftigkeit um einen Kranken zu bemühen. Denn hieran knüpfen sich die ernstesten Bedenken, welche von vielen Seiten und besonders aus ärztlichen Kreisen gegen die Samariterschnlen erhoben worden sind. Chirurgische Kenntnisse im Kopfe eines Laien bleiben ein zweischneidiges Schwert, und nicht ohne Grund fürchtet man, daß der Samariter mit seinem Diplom in der Tasche in falscher Schätzung seiner Leistungsfähigkeit zum Unheil des Betroffenen sich an Dinge macht, welche seinen Gesichtskreis übersteigen. Wie schwer es übrigens ist, auch auf einem möglichst eng umschriebenen Gebiete richtig zu handeln, dürfte einleuchten. Ich erzähle dafür nur ein schla¬ gendes Beispiel: Auf einem Tanzboden wurde ein junger Mann durch einen tiefen Stich in den rechten Oberschenkel verwundet, welcher die große Pulsader geöffnet hatte. Als ich hinzukam, war der dem Verbluten nahe Mann von vier Kameraden umgeben, welche keine Hand zur Hilfsleistung gerührt hatten, obgleich sie bezüglich des in solchen Fällen rettenden Handgriffs (Zusammen¬ drücken der Pulsader) in einem kurz zuvor beendeten längern Samariterkursus sämtlich eingehend unterwiesen worden waren. In solchen Augenblicken fehlt eben leider nur zu oft die kaltblütige Geistesgegenwart, welche lediglich durch lange Übung in wirklicher — nicht nur bei Prüfungen angenommener — Gefahr gewonnen werden kann, um das richtige Mittel mit klarem Auge zu erkennen und mit sicherer Hand ohne Zaudern anzuwenden. Es dürfte nützlich sein, einmal auf die praktischen Schwierigkeiten einer Sache aufmerksam zu machen, welche augenblicklich von der Gunst weiter Kreise getragen wird, damit das zweifellos Gute dieser Bestrebungen möglichst rein zur Wirkung gelangt. Täuscht man sich über diese Schwierigkeiten oder weiß man den daraus entspringenden Gefahren nicht zu begegnen, so muß man sich auf eine den Schlachtenbummlern ähnliche Erscheinung gefaßt machen. I. Trojan hat kürzlich die wilden Medizin¬ männer nud Gcheimmittelschwindler, welche aus der äußersten Not der Menschen die besten Geschäfte machen, mit dem Namen „Sanitätsstrolche" gebrandmarkt. Es wäre traurig, sollte der edle und uneigennützige Samariterdieust ebenfalls durch unlautere Elemente verunziert werden. Nur kleine Geister werden annehmen, daß die vorstehenden, von ärztlicher Seite ausgehenden Mahnungen auf engherzige Standesrücksichten zurückzuführen seien. Hier wie in allem, was ich über das Verhältnis zwischen dem Kranken und dem Arzte auszusprechen mich veranlaßt gesehen habe, steht das Wohl des ersteren immer im Vordergründe, und wo es etwa schien, als wenn der Be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/36>, abgerufen am 28.09.2024.