Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.Zur Geschichte des realistischen Romans. er bevorzugten litterarischen und künstlerischen Richtung folgt in Grenzboten I. 1LS3. 38
Zur Geschichte des realistischen Romans. er bevorzugten litterarischen und künstlerischen Richtung folgt in Grenzboten I. 1LS3. 38
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Zur Geschichte des realistischen Romans.
er bevorzugten litterarischen und künstlerischen Richtung folgt in
den neuern Zeiten der Geschichtschreiber auf dein Fuße. Seitdem
man einmal dazu gelangt ist, Kunst und Dichtung auf gelehrtem
Wege neu zu erzeugen, zu reformiren, zu beleben, mußte es dem
Einzelnen, der dies ungleich schwierigere und umständlichere Werk
des modernen Kunstgenies auf sich nahm, auch darauf ankommen, seine Not¬
wendigkeit zu erweisen. Früher geschah dies vorzugsweise auf dem Wege
theoretischer Deduktion, indem man sein Kunstprinzip möglichst hoch, an einen
unumstößlichen Satz der Bibel oder eines entgegenkommenden Philosophen von
Platon und Aristoteles bis auf Descartes und Leibniz knüpfte, ja mitunter
wirklich geradezu bis zu den Sternen emporstieg, um die Rechtmäßigkeit des
Gebrauches von Metaphern und Allegorien in der Poesie, antiker Kostüme und
verschönernder Darstellung in der Malerei oder etwa des musikalischen Chors
im Drama als allgemein bindend zu erhärten. In unsrer Zeit bevorzugt man
die induktiven Beweise: die materiellen Grundlagen des Kunstgenusses, das Be¬
dürfnis des Publikums, die Statistik, die Geschichte, die letztere natürlich für
den besondern Nachweis, daß die arme Menschheit bis zur Stunde sich vor¬
zugsweise in ungestillten Sehnen nach dem neuen Kunstprinzip verzehrt habe
und daß es die höchste Zeit gewesen wäre, wenn nicht u. s. w. Den Gegensatz,
ob sich nämlich die arme Menschheit bis dahin so einer ähnlichen Sache wie
die bewußte Kunst überhaupt habe rühmen können, läßt man unentschieden oder
in allerneuester Zeit, seit dem in dieser Hinsicht gar nicht mehr schüchternen
Zola, auch nicht mehr unentschieden. Verwandtes wird mit Eifer gesammelt
und als erfreulicher Ansatz, an der Entfaltung gehinderter Keim, unverstandene
Prophetie mitunter über Verdienst ins Licht gestellt, bedauert, gepriesen. So
hat beinahe jede Stufe der modernen Kunstentwicklung seit ihrer Wiedergeburt
aus dem Geiste der Gelehrsamkeit ihre besondre Art gehabt, die Kunstgeschichte
anzusehen. Denn auch schon vor unsrer historischen Periode musterte man gern
die Vergangenheit vom Standpunkte der Gegenwart, allerdings meist von einem
weniger erhabenen als heutzutage, mehr um Autoritäten zu suchen als um den
Beweis zu führen, „wie wirs dann zuletzt so herrlich weit gebracht." Die
Grenzboten I. 1LS3. 38
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