Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.Der deutsche Bund. Kaisers noch unter dem eines Präsidenten oder eines Bnndesfeldherrn, noch Diese Bundesversammlung war die Vereinigung sämtlicher Mitglieder des Der deutsche Bund. Kaisers noch unter dem eines Präsidenten oder eines Bnndesfeldherrn, noch Diese Bundesversammlung war die Vereinigung sämtlicher Mitglieder des <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0291" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/202390"/> <fw type="header" place="top"> Der deutsche Bund.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1067" prev="#ID_1066"> Kaisers noch unter dem eines Präsidenten oder eines Bnndesfeldherrn, noch<lb/> unter irgend einem andern Titel, so konnte von einer eigentlichen Staatsgewalt,<lb/> von einer Regierung nicht die Rede sein. Als Ersatz dafür hatten die Staats¬<lb/> rechtslehrer jener Zeit den Ausdruck „Bundesgewalt" erfunden, und darunter<lb/> ließ sich denn recht viel oder auch ziemlich wenig oder auch gar nichts denken,<lb/> je nachdem es gerade paßte. Der einzige Träger oder das einzige Organ dieser<lb/> Bundesgewalt war die Bundesversammlung oder der Bundestag zu Frankfurt<lb/> am Main (ig. <list,<z MrinMi<zu<z), der der Titel „Durchlauchtigst" (sörsnissiras)<lb/> zustand, und der, wie Heeren sehr scharfsinnig nachwies, im europäischen Staaten¬<lb/> systeme königliche Ehren erwiesen wurden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1068" next="#ID_1069"> Diese Bundesversammlung war die Vereinigung sämtlicher Mitglieder des<lb/> Bundes, also der souveränen deutschen Fürsten und der freien Städte. Sie<lb/> wurden durch bevollmächtigte Gesandte vertreten, die an die Instruktionen ihrer<lb/> Regierungen gebunden waren. Die Versammlung war permanent und konnte<lb/> nur auf bestimmte Zeit vertagt werden (nicht über vier Mouate). Sie zerfiel<lb/> nicht in besondre Abteilungen, etwa wie die Kollegien des alten Reichstages<lb/> oder des Rheinbundes. Die ganze Thätigkeit des Bundestages bestand darin,<lb/> Bundesbeschlüsse zu fassen oder Bundesgesetze zu erlassen. Über Art und Weise<lb/> der Abstimmung und Entscheidung gab es sehr sorgfältige Bestimmungen. Die<lb/> Abstimmung geschah entweder im engern Rate, der siebzehn Stimmen, elf Viril-<lb/> und sechs Kuriatstimmen zählte, oder im Plenum, in dem es neunundsechzig<lb/> Stimmen gab. Über welche Sachen im engern Rate, über welche im Plenum<lb/> entschieden werden sollte, darüber gab es genaue Vorschriften. Im erstern genügte<lb/> zur Beschlußfassung in der Regel absolute Majorität, im letztern war meist Zwei¬<lb/> drittelmajorität, und in einer Reihe von Sachen sogar „Unanimität" erforderlich.<lb/> Näher hierauf einzugehen, würde zu weit führen, den meisten Lesern auch wohl<lb/> nicht interessant genug sein. Zur Kennzeichnung der unnatürlichen Zusammen¬<lb/> setzung des Bundestages werden folgende Bemerkungen genügen. Im engern<lb/> Rate konnten Österreich, Preußen, die vier andern Königreiche, Baden und Kur¬<lb/> hessen, zusammen acht Stimmen, gegen die neun Stimmen der übrigen kleinen<lb/> und kleinsten Staaten in der Minderheit bleiben. Um eine Zweidrittelmehrheit,<lb/> die im Plenum erforderlich war, zu hintertreiben, brauchten nur die vier freien<lb/> Städte, die zehn Fürstentümer und die acht kleinsten Herzogtümer, zusammen<lb/> zweiundzwanzig Stimmen, gegen die größern Staaten zusammenzuhalten. Die<lb/> „Unanimität" zu verhindern, welche z. B. bei Annahme neuer Grundgesetze<lb/> oder bei Abänderung der bestehenden erforderlich war, genügte die Stimme von<lb/> Liechtenstein oder Reuß ä. L. Daß ein solcher Bund nicht entwicklungsfähig<lb/> war, liegt auf der Hand. Diese ganz widersinnige Stimmenverteilung beruhte<lb/> überhaupt auf der Voraussetzung, daß Österreich und Preußen stets zusammen¬<lb/> gehen, und daß die minder mächtigen Staaten sich ihnen fügen würden und<lb/> müßten. Diese Voraussetzung verwirklichte sich aber nur dann, wenn Preußen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0291]
Der deutsche Bund.
Kaisers noch unter dem eines Präsidenten oder eines Bnndesfeldherrn, noch
unter irgend einem andern Titel, so konnte von einer eigentlichen Staatsgewalt,
von einer Regierung nicht die Rede sein. Als Ersatz dafür hatten die Staats¬
rechtslehrer jener Zeit den Ausdruck „Bundesgewalt" erfunden, und darunter
ließ sich denn recht viel oder auch ziemlich wenig oder auch gar nichts denken,
je nachdem es gerade paßte. Der einzige Träger oder das einzige Organ dieser
Bundesgewalt war die Bundesversammlung oder der Bundestag zu Frankfurt
am Main (ig. <list,<z MrinMi<zu<z), der der Titel „Durchlauchtigst" (sörsnissiras)
zustand, und der, wie Heeren sehr scharfsinnig nachwies, im europäischen Staaten¬
systeme königliche Ehren erwiesen wurden.
Diese Bundesversammlung war die Vereinigung sämtlicher Mitglieder des
Bundes, also der souveränen deutschen Fürsten und der freien Städte. Sie
wurden durch bevollmächtigte Gesandte vertreten, die an die Instruktionen ihrer
Regierungen gebunden waren. Die Versammlung war permanent und konnte
nur auf bestimmte Zeit vertagt werden (nicht über vier Mouate). Sie zerfiel
nicht in besondre Abteilungen, etwa wie die Kollegien des alten Reichstages
oder des Rheinbundes. Die ganze Thätigkeit des Bundestages bestand darin,
Bundesbeschlüsse zu fassen oder Bundesgesetze zu erlassen. Über Art und Weise
der Abstimmung und Entscheidung gab es sehr sorgfältige Bestimmungen. Die
Abstimmung geschah entweder im engern Rate, der siebzehn Stimmen, elf Viril-
und sechs Kuriatstimmen zählte, oder im Plenum, in dem es neunundsechzig
Stimmen gab. Über welche Sachen im engern Rate, über welche im Plenum
entschieden werden sollte, darüber gab es genaue Vorschriften. Im erstern genügte
zur Beschlußfassung in der Regel absolute Majorität, im letztern war meist Zwei¬
drittelmajorität, und in einer Reihe von Sachen sogar „Unanimität" erforderlich.
Näher hierauf einzugehen, würde zu weit führen, den meisten Lesern auch wohl
nicht interessant genug sein. Zur Kennzeichnung der unnatürlichen Zusammen¬
setzung des Bundestages werden folgende Bemerkungen genügen. Im engern
Rate konnten Österreich, Preußen, die vier andern Königreiche, Baden und Kur¬
hessen, zusammen acht Stimmen, gegen die neun Stimmen der übrigen kleinen
und kleinsten Staaten in der Minderheit bleiben. Um eine Zweidrittelmehrheit,
die im Plenum erforderlich war, zu hintertreiben, brauchten nur die vier freien
Städte, die zehn Fürstentümer und die acht kleinsten Herzogtümer, zusammen
zweiundzwanzig Stimmen, gegen die größern Staaten zusammenzuhalten. Die
„Unanimität" zu verhindern, welche z. B. bei Annahme neuer Grundgesetze
oder bei Abänderung der bestehenden erforderlich war, genügte die Stimme von
Liechtenstein oder Reuß ä. L. Daß ein solcher Bund nicht entwicklungsfähig
war, liegt auf der Hand. Diese ganz widersinnige Stimmenverteilung beruhte
überhaupt auf der Voraussetzung, daß Österreich und Preußen stets zusammen¬
gehen, und daß die minder mächtigen Staaten sich ihnen fügen würden und
müßten. Diese Voraussetzung verwirklichte sich aber nur dann, wenn Preußen
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