Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr."Liu neuer Schritt Rußlands in Turanien. Englands Beitritt zum Bunde würde, weil er ihm das zweifellose Übergewicht «Liu neuer Schritt Rußlands in Turanien. Englands Beitritt zum Bunde würde, weil er ihm das zweifellose Übergewicht <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0279" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/202378"/> <fw type="header" place="top"> «Liu neuer Schritt Rußlands in Turanien.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1028"> Englands Beitritt zum Bunde würde, weil er ihm das zweifellose Übergewicht<lb/> über die beiden kriegslustiger Mächte verleihen würde, den Frieden sicherstellen.<lb/> Englands Eingreifen in den Krieg, wenn es trotzdem dazu kommen sollte, würde<lb/> den Parteien, für die es erfolgte, das Übergewicht zur See verschaffen, und<lb/> das würde auf die Verteilung der Kräfte für den Kampf zu Lande von bedeu¬<lb/> tendem Einflüsse sein. Buche England bloßer Zuschauer, so würde die französische<lb/> Flotte wahrscheinlich allein schon und sicher zusammen mit der russischen er¬<lb/> heblich stärker sein als die Seestreitkräfte der drei Staaten des Friedensbundes.<lb/> Daraus folgte aber, daß Rußland und Frankreich nicht nötig Hütten, ihre Küsten<lb/> durch Landtruppen zu schützen, und somit imstande wären, ihre gesamten Streit¬<lb/> kräfte auf den Kriegsschauplatz im östlichen oder westlichen Innern der von<lb/> ihnen angegriffenen Staaten zu senden. Beherrscht dagegen ein Bündnis der<lb/> mitteleuropäischen Staaten, denen sich Großbritannien beigesellt hat, mit ihren<lb/> Geschwadern und denen des letztern die Meere, so müssen Rußland und Frank¬<lb/> reich beträchtliche Teile ihrer Armeen für den Schutz ihrer Küsten und Häfen<lb/> abzweigen, und anderseits ist namentlich Italien mit seiner langgestreckten Fest¬<lb/> landsküste und Sizilien dieser Pflicht überhoben, die wenigstens ein Viertel<lb/> seiner Armee zu ihrer Erfüllung erfordert und dadurch der Verwendung auf<lb/> dem Hauptkriegsschauplatze entzieht. Endlich stünde für diesen Fall noch ein<lb/> fünfter, nicht gering zu schätzender Verbündeter für die Friedensliga in Aussicht.<lb/> Weiß die Pforte, daß ihr Gebiet und ihre Hauptstadt am Bosporus durch eine<lb/> britische Flotte gegen einen russischen Angriff gedeckt ist, so wird sie ohne Zweifel<lb/> die gute Gelegenheit benutzen, um sich dem russischen Einflüsse, der jetzt auf<lb/> ihr lastet, und der schweren Gefahr, die sie mit dem Verluste Erzerums und<lb/> ihres ganzen Restes von Armenien bedroht, zu entziehen, und ihre Nizams<lb/> und Redifs gleichfalls gegen die Moskvf marschiren lassen. England hätte<lb/> davon außer andern Vorteilen auch den, daß die Sendung russischer Streitkräfte<lb/> nach Mittelasien, an die afghanische Grenze, soweit das Schwarze Meer dabei<lb/> Verwendung findet, verhindert und überhaupt der Angriff, der dort in Turanien<lb/> beabsichtigt und vorbereitet ist, wenigstens für einige Zeit abgelenkt und vielleicht<lb/> auf lange verschoben werden würde. Die Weisheit Gladstones war folglich,<lb/> wie fast alles, was der „große Alte" die letzten Jahre in Sachen der aus¬<lb/> wärtigen Politik von sich gegeben hat, kurzsichtige Thorheit.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0279]
«Liu neuer Schritt Rußlands in Turanien.
Englands Beitritt zum Bunde würde, weil er ihm das zweifellose Übergewicht
über die beiden kriegslustiger Mächte verleihen würde, den Frieden sicherstellen.
Englands Eingreifen in den Krieg, wenn es trotzdem dazu kommen sollte, würde
den Parteien, für die es erfolgte, das Übergewicht zur See verschaffen, und
das würde auf die Verteilung der Kräfte für den Kampf zu Lande von bedeu¬
tendem Einflüsse sein. Buche England bloßer Zuschauer, so würde die französische
Flotte wahrscheinlich allein schon und sicher zusammen mit der russischen er¬
heblich stärker sein als die Seestreitkräfte der drei Staaten des Friedensbundes.
Daraus folgte aber, daß Rußland und Frankreich nicht nötig Hütten, ihre Küsten
durch Landtruppen zu schützen, und somit imstande wären, ihre gesamten Streit¬
kräfte auf den Kriegsschauplatz im östlichen oder westlichen Innern der von
ihnen angegriffenen Staaten zu senden. Beherrscht dagegen ein Bündnis der
mitteleuropäischen Staaten, denen sich Großbritannien beigesellt hat, mit ihren
Geschwadern und denen des letztern die Meere, so müssen Rußland und Frank¬
reich beträchtliche Teile ihrer Armeen für den Schutz ihrer Küsten und Häfen
abzweigen, und anderseits ist namentlich Italien mit seiner langgestreckten Fest¬
landsküste und Sizilien dieser Pflicht überhoben, die wenigstens ein Viertel
seiner Armee zu ihrer Erfüllung erfordert und dadurch der Verwendung auf
dem Hauptkriegsschauplatze entzieht. Endlich stünde für diesen Fall noch ein
fünfter, nicht gering zu schätzender Verbündeter für die Friedensliga in Aussicht.
Weiß die Pforte, daß ihr Gebiet und ihre Hauptstadt am Bosporus durch eine
britische Flotte gegen einen russischen Angriff gedeckt ist, so wird sie ohne Zweifel
die gute Gelegenheit benutzen, um sich dem russischen Einflüsse, der jetzt auf
ihr lastet, und der schweren Gefahr, die sie mit dem Verluste Erzerums und
ihres ganzen Restes von Armenien bedroht, zu entziehen, und ihre Nizams
und Redifs gleichfalls gegen die Moskvf marschiren lassen. England hätte
davon außer andern Vorteilen auch den, daß die Sendung russischer Streitkräfte
nach Mittelasien, an die afghanische Grenze, soweit das Schwarze Meer dabei
Verwendung findet, verhindert und überhaupt der Angriff, der dort in Turanien
beabsichtigt und vorbereitet ist, wenigstens für einige Zeit abgelenkt und vielleicht
auf lange verschoben werden würde. Die Weisheit Gladstones war folglich,
wie fast alles, was der „große Alte" die letzten Jahre in Sachen der aus¬
wärtigen Politik von sich gegeben hat, kurzsichtige Thorheit.
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