Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.David Beronski. 7. Als der späte Morgen heraufkam, fiel sein erster, matter Schein auf Mein Sohn! Mein Sohn! Wollte Gott, ich hätte für dich sterben können! Das angstvolle, entsetzliche Suchen! Die unausgesprochene, schreckensvolle Salomes Fragen, ihr Rufen, ihr Schmerz galten nur Rahel. Ihr schien Nebekkas Lager floh der Schlaf. Laut jammernd beweinte sie den Toten, Was erzählten sie? Von einer einsamen Gestalt, welche über die weite Steppe schwankt, mit Grenzboten I. 1388. 33
David Beronski. 7. Als der späte Morgen heraufkam, fiel sein erster, matter Schein auf Mein Sohn! Mein Sohn! Wollte Gott, ich hätte für dich sterben können! Das angstvolle, entsetzliche Suchen! Die unausgesprochene, schreckensvolle Salomes Fragen, ihr Rufen, ihr Schmerz galten nur Rahel. Ihr schien Nebekkas Lager floh der Schlaf. Laut jammernd beweinte sie den Toten, Was erzählten sie? Von einer einsamen Gestalt, welche über die weite Steppe schwankt, mit Grenzboten I. 1388. 33
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0265" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/202364"/> <fw type="header" place="top"> David Beronski.</fw><lb/> <div n="2"> <head> 7.</head><lb/> <p xml:id="ID_960"> Als der späte Morgen heraufkam, fiel sein erster, matter Schein auf<lb/> Jeschka, welche uoch immer in der Nähe des Teiches herumging, in der Hoff¬<lb/> nung, David wieder zu sehen, ihn zu fragen, was ihn in der Tiefe der Nacht<lb/> herausgetrieben habe. Aber bei dem ersten, fahlen Lichte des Tages sah Jeschka<lb/> auf dem Sumpfe die Decke und die Kopfbedeckung Davids, die sie ja kannte.<lb/> Ihre Augen wurden größer und größer, ihr Atem stockte, dann sank sie mit<lb/> einem lauten Schrei zu Boden. Die Welt war für sie mit einem male dunkel<lb/> und öde, das Licht geschwunden und ausgelöscht. Und nicht nur für sie!</p><lb/> <p xml:id="ID_961"> Mein Sohn! Mein Sohn! Wollte Gott, ich hätte für dich sterben können!<lb/> war der Schrei in Nebekkas Herzen.</p><lb/> <p xml:id="ID_962"> Das angstvolle, entsetzliche Suchen! Die unausgesprochene, schreckensvolle<lb/> Furcht, Salomes Verrat habe die Eiferer in Israel zu plötzlicher Rache und<lb/> Strafe aufgestachelt, und das unausbleibliche Gericht habe den Abtrünnigen sofort<lb/> ereilt! Der Fund im Sumpfe verneinte dies zwar, man würde keine spüre»<lb/> zurückgelassen haben, dennoch blieb in Rebekkas Herzen der grauenhafte Arg¬<lb/> wohn zurück, jene, die keinen Abfall im Volke Israel duldeten, hätten David<lb/> dort hingeschafft und ihn dort verschwinden lassen.</p><lb/> <p xml:id="ID_963"> Salomes Fragen, ihr Rufen, ihr Schmerz galten nur Rahel. Ihr schien<lb/> es zweifellos, daß David das Kind mit in seinen freiwilligen Tod genommen<lb/> habe, konnte sie doch nur nach ihren eignen Empfindungen urteilen.</p><lb/> <p xml:id="ID_964"> Nebekkas Lager floh der Schlaf. Laut jammernd beweinte sie den Toten,<lb/> obgleich sie dem Lebenden geflucht hatte. Hatte Salome Recht, dann hatten<lb/> ihre Flucheswvrte ihn in deu Tod getrieben. Sie ging Abend für Abend an<lb/> den Teich, und hing dort ihren Erinnerungen nach, aber sie verstand nicht die<lb/> Sprache des Windes, nicht das Geflüster des Schilfes, nicht den Schrei des gelben,<lb/> gesprenkelten Steppenhuhnes, das vor ihren Schritten aufschreckte und weiter flog.</p><lb/> <p xml:id="ID_965"> Was erzählten sie?</p><lb/> <p xml:id="ID_966"> Von einer einsamen Gestalt, welche über die weite Steppe schwankt, mit<lb/> dem Gewände ein zartes Kind schirmend. Es will Abend werden, die Nacht<lb/> senkt sich herab, der Schritt des Wandernden ist unsicher, schwach, und immer<lb/> angstvoller richtet er den Blick auf das kleine Kindergesicht, welches unter den<lb/> Falten seines Gewandes an seiner Brust ruht. Bisher hat er es möglich<lb/> gemacht, immer Nahrung für die Kleine zu finden, doch schon den ganzen<lb/> heutigen Tag hat er vergeblich nach einem Dorfe, einem Gehöft ausgesehen. Von<lb/> Zeit zu Zeit stößt das Kind ein klägliches Schreien aus — für den Vater sind<lb/> Hunger und Durst nichts, aber für sein Kind! Der Wind zerrt an seinem<lb/> Gewände, hohles Brausen füllt die Luft. Vcrzweiflungsvvll blickt er umher. Da<lb/> schimmert Licht. Neuer Mut beseelt ihn, sein Schritt wird fester. In wenigen<lb/> Minuten erkennt er ein Feuer, braune, kräftige, große Gestalten liegen darum.</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I. 1388. 33</fw><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0265]
David Beronski.
7.
Als der späte Morgen heraufkam, fiel sein erster, matter Schein auf
Jeschka, welche uoch immer in der Nähe des Teiches herumging, in der Hoff¬
nung, David wieder zu sehen, ihn zu fragen, was ihn in der Tiefe der Nacht
herausgetrieben habe. Aber bei dem ersten, fahlen Lichte des Tages sah Jeschka
auf dem Sumpfe die Decke und die Kopfbedeckung Davids, die sie ja kannte.
Ihre Augen wurden größer und größer, ihr Atem stockte, dann sank sie mit
einem lauten Schrei zu Boden. Die Welt war für sie mit einem male dunkel
und öde, das Licht geschwunden und ausgelöscht. Und nicht nur für sie!
Mein Sohn! Mein Sohn! Wollte Gott, ich hätte für dich sterben können!
war der Schrei in Nebekkas Herzen.
Das angstvolle, entsetzliche Suchen! Die unausgesprochene, schreckensvolle
Furcht, Salomes Verrat habe die Eiferer in Israel zu plötzlicher Rache und
Strafe aufgestachelt, und das unausbleibliche Gericht habe den Abtrünnigen sofort
ereilt! Der Fund im Sumpfe verneinte dies zwar, man würde keine spüre»
zurückgelassen haben, dennoch blieb in Rebekkas Herzen der grauenhafte Arg¬
wohn zurück, jene, die keinen Abfall im Volke Israel duldeten, hätten David
dort hingeschafft und ihn dort verschwinden lassen.
Salomes Fragen, ihr Rufen, ihr Schmerz galten nur Rahel. Ihr schien
es zweifellos, daß David das Kind mit in seinen freiwilligen Tod genommen
habe, konnte sie doch nur nach ihren eignen Empfindungen urteilen.
Nebekkas Lager floh der Schlaf. Laut jammernd beweinte sie den Toten,
obgleich sie dem Lebenden geflucht hatte. Hatte Salome Recht, dann hatten
ihre Flucheswvrte ihn in deu Tod getrieben. Sie ging Abend für Abend an
den Teich, und hing dort ihren Erinnerungen nach, aber sie verstand nicht die
Sprache des Windes, nicht das Geflüster des Schilfes, nicht den Schrei des gelben,
gesprenkelten Steppenhuhnes, das vor ihren Schritten aufschreckte und weiter flog.
Was erzählten sie?
Von einer einsamen Gestalt, welche über die weite Steppe schwankt, mit
dem Gewände ein zartes Kind schirmend. Es will Abend werden, die Nacht
senkt sich herab, der Schritt des Wandernden ist unsicher, schwach, und immer
angstvoller richtet er den Blick auf das kleine Kindergesicht, welches unter den
Falten seines Gewandes an seiner Brust ruht. Bisher hat er es möglich
gemacht, immer Nahrung für die Kleine zu finden, doch schon den ganzen
heutigen Tag hat er vergeblich nach einem Dorfe, einem Gehöft ausgesehen. Von
Zeit zu Zeit stößt das Kind ein klägliches Schreien aus — für den Vater sind
Hunger und Durst nichts, aber für sein Kind! Der Wind zerrt an seinem
Gewände, hohles Brausen füllt die Luft. Vcrzweiflungsvvll blickt er umher. Da
schimmert Licht. Neuer Mut beseelt ihn, sein Schritt wird fester. In wenigen
Minuten erkennt er ein Feuer, braune, kräftige, große Gestalten liegen darum.
Grenzboten I. 1388. 33
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |