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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Die Denkwürdigkeiten des Herzogs Lrnst.

Rolle stark erschüttert haben. Dennoch glaubte ich eine List anwenden zu dürfen,
um für alle Fälle die angebliche provisorische Regierung von schlechten Streichen
abzuhalten. In der Voraussetzung, der Nationalgardeoffizier werde nicht säumen,
von allem, was vorgefallen und gesprochen worden sei, seiner Behörde Meldung
zu machen, bemerkte ich beiläufig, daß eine mobile Truppenkolonne in der Nähe
der Stadt wäre und zuverlässig einrücken würde, wenn ich nicht bald zurück¬
kehrte." So gelangte der Herzog endlich ins Schloß, aber hier nur vor eine
größere Schwierigkeit und zu schlimmern Erfahrungen. "Der moralische Zu¬
stand, in welchem sich der Herzog Josef, sowie seine Gemahlin und die un¬
glücklichen Töchter befanden, läßt sich kaum beschreiben. Zwischen Unnach-
giebigkeit und Hoffnungslosigkeit schwankend, schien es Sinn Verlaub, eine
fehlerhafte Konstruktion j fürs erste fast unmöglich, eine ruhige Diskussion mit
dem Herzog zu führen. Es mußte einige Zeit verstreichen, ehe ich nur über
die ganze Lage der Dinge ins Klare kommen konnte. Unter den Beamten des
Herzogs war insbesondre der Regierungspräsident von Seckendorf der revolu¬
tionären Partei verhaßt. Er war zu allem eher geeignet als zum Geschäfts-
mann. Unter dem Namen Isidorus Orientalis war er als schöngeistiger
Schriftsteller bekannt und offenbar auch unter den Damen bei Hofe gut an¬
gesehen. Dagegen besaß der Herzog eine geringe Stütze an ihm, und schon zu
Anfang der Tumulte verkroch sich der Regierungspräsident in einen Winkel und
überließ die gesamten Angelegenheiten dem Dr. Krutziger, vor dessen volltönenden
Redensarten und unverfrornem Auftreten die ganze Regierung die Segel ge¬
strichen hatte. Er war jetzt dritter Minister und sozusagen der Vertrauensmann
der Volkspartei im Kabinet, aber der Herzog suchte ihn soviel wie möglich von
seiner Person fern zu halten.... Wie die Dinge standen, war mir sofort klar,
daß man den Volksmann vor allem kommen lassen und daß der Herzog in nähere
und bessere Beziehungen zu ihm treten mußte. Jedenfalls konnte man nur von
Herrn Krutziger erfahren, was denn eigentlich' "der Volkswille" sei und was
man mit den unbegreiflichen revolutionären Maßregeln bezwecke. Einen Vorschlag
der Art wollte aber der Herzog um keinen Preis annehmen; in seiner ganzen
Familie war der Gedanke, daß Herr Krntziger die Ehre eines Ministers ge¬
nießen und an den Hof gezogen werden könnte, als der Gipfelpunkt alles er¬
denklichen Unglücks augesehen worden. Erst nach langem Zureden faßte er den
Entschluß, jenen zu berufen und mit ihm zu unterhandeln. Nun war aber
auch Krutziger anfangs nicht geneigt, persönlich zu Pallirer und die Verant¬
wortlichkeit für das Ergebnis zu übernehmen. Endlich jedoch erschien er in
Begleitung von Freunden und Vertretern republikanischer Vereine, und es
begann eine große Debatte, in welcher die Leute ihre Forderungen zuerst in
sehr stürmischer, bald aber, nachdem sie gesehen hatten, daß ich mich in keiner
Weise einschüchtern ließ, in bescheidenerer Form vortrugen. Ich hatte zuweilen
"ach drastischen Auskunftsmitteln greifen müssen, um die Herren zur Ver-


Gmizlwtcn I. 1838. 30
Die Denkwürdigkeiten des Herzogs Lrnst.

Rolle stark erschüttert haben. Dennoch glaubte ich eine List anwenden zu dürfen,
um für alle Fälle die angebliche provisorische Regierung von schlechten Streichen
abzuhalten. In der Voraussetzung, der Nationalgardeoffizier werde nicht säumen,
von allem, was vorgefallen und gesprochen worden sei, seiner Behörde Meldung
zu machen, bemerkte ich beiläufig, daß eine mobile Truppenkolonne in der Nähe
der Stadt wäre und zuverlässig einrücken würde, wenn ich nicht bald zurück¬
kehrte." So gelangte der Herzog endlich ins Schloß, aber hier nur vor eine
größere Schwierigkeit und zu schlimmern Erfahrungen. „Der moralische Zu¬
stand, in welchem sich der Herzog Josef, sowie seine Gemahlin und die un¬
glücklichen Töchter befanden, läßt sich kaum beschreiben. Zwischen Unnach-
giebigkeit und Hoffnungslosigkeit schwankend, schien es Sinn Verlaub, eine
fehlerhafte Konstruktion j fürs erste fast unmöglich, eine ruhige Diskussion mit
dem Herzog zu führen. Es mußte einige Zeit verstreichen, ehe ich nur über
die ganze Lage der Dinge ins Klare kommen konnte. Unter den Beamten des
Herzogs war insbesondre der Regierungspräsident von Seckendorf der revolu¬
tionären Partei verhaßt. Er war zu allem eher geeignet als zum Geschäfts-
mann. Unter dem Namen Isidorus Orientalis war er als schöngeistiger
Schriftsteller bekannt und offenbar auch unter den Damen bei Hofe gut an¬
gesehen. Dagegen besaß der Herzog eine geringe Stütze an ihm, und schon zu
Anfang der Tumulte verkroch sich der Regierungspräsident in einen Winkel und
überließ die gesamten Angelegenheiten dem Dr. Krutziger, vor dessen volltönenden
Redensarten und unverfrornem Auftreten die ganze Regierung die Segel ge¬
strichen hatte. Er war jetzt dritter Minister und sozusagen der Vertrauensmann
der Volkspartei im Kabinet, aber der Herzog suchte ihn soviel wie möglich von
seiner Person fern zu halten.... Wie die Dinge standen, war mir sofort klar,
daß man den Volksmann vor allem kommen lassen und daß der Herzog in nähere
und bessere Beziehungen zu ihm treten mußte. Jedenfalls konnte man nur von
Herrn Krutziger erfahren, was denn eigentlich' »der Volkswille« sei und was
man mit den unbegreiflichen revolutionären Maßregeln bezwecke. Einen Vorschlag
der Art wollte aber der Herzog um keinen Preis annehmen; in seiner ganzen
Familie war der Gedanke, daß Herr Krntziger die Ehre eines Ministers ge¬
nießen und an den Hof gezogen werden könnte, als der Gipfelpunkt alles er¬
denklichen Unglücks augesehen worden. Erst nach langem Zureden faßte er den
Entschluß, jenen zu berufen und mit ihm zu unterhandeln. Nun war aber
auch Krutziger anfangs nicht geneigt, persönlich zu Pallirer und die Verant¬
wortlichkeit für das Ergebnis zu übernehmen. Endlich jedoch erschien er in
Begleitung von Freunden und Vertretern republikanischer Vereine, und es
begann eine große Debatte, in welcher die Leute ihre Forderungen zuerst in
sehr stürmischer, bald aber, nachdem sie gesehen hatten, daß ich mich in keiner
Weise einschüchtern ließ, in bescheidenerer Form vortrugen. Ich hatte zuweilen
«ach drastischen Auskunftsmitteln greifen müssen, um die Herren zur Ver-


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[0241] Die Denkwürdigkeiten des Herzogs Lrnst. Rolle stark erschüttert haben. Dennoch glaubte ich eine List anwenden zu dürfen, um für alle Fälle die angebliche provisorische Regierung von schlechten Streichen abzuhalten. In der Voraussetzung, der Nationalgardeoffizier werde nicht säumen, von allem, was vorgefallen und gesprochen worden sei, seiner Behörde Meldung zu machen, bemerkte ich beiläufig, daß eine mobile Truppenkolonne in der Nähe der Stadt wäre und zuverlässig einrücken würde, wenn ich nicht bald zurück¬ kehrte." So gelangte der Herzog endlich ins Schloß, aber hier nur vor eine größere Schwierigkeit und zu schlimmern Erfahrungen. „Der moralische Zu¬ stand, in welchem sich der Herzog Josef, sowie seine Gemahlin und die un¬ glücklichen Töchter befanden, läßt sich kaum beschreiben. Zwischen Unnach- giebigkeit und Hoffnungslosigkeit schwankend, schien es Sinn Verlaub, eine fehlerhafte Konstruktion j fürs erste fast unmöglich, eine ruhige Diskussion mit dem Herzog zu führen. Es mußte einige Zeit verstreichen, ehe ich nur über die ganze Lage der Dinge ins Klare kommen konnte. Unter den Beamten des Herzogs war insbesondre der Regierungspräsident von Seckendorf der revolu¬ tionären Partei verhaßt. Er war zu allem eher geeignet als zum Geschäfts- mann. Unter dem Namen Isidorus Orientalis war er als schöngeistiger Schriftsteller bekannt und offenbar auch unter den Damen bei Hofe gut an¬ gesehen. Dagegen besaß der Herzog eine geringe Stütze an ihm, und schon zu Anfang der Tumulte verkroch sich der Regierungspräsident in einen Winkel und überließ die gesamten Angelegenheiten dem Dr. Krutziger, vor dessen volltönenden Redensarten und unverfrornem Auftreten die ganze Regierung die Segel ge¬ strichen hatte. Er war jetzt dritter Minister und sozusagen der Vertrauensmann der Volkspartei im Kabinet, aber der Herzog suchte ihn soviel wie möglich von seiner Person fern zu halten.... Wie die Dinge standen, war mir sofort klar, daß man den Volksmann vor allem kommen lassen und daß der Herzog in nähere und bessere Beziehungen zu ihm treten mußte. Jedenfalls konnte man nur von Herrn Krutziger erfahren, was denn eigentlich' »der Volkswille« sei und was man mit den unbegreiflichen revolutionären Maßregeln bezwecke. Einen Vorschlag der Art wollte aber der Herzog um keinen Preis annehmen; in seiner ganzen Familie war der Gedanke, daß Herr Krntziger die Ehre eines Ministers ge¬ nießen und an den Hof gezogen werden könnte, als der Gipfelpunkt alles er¬ denklichen Unglücks augesehen worden. Erst nach langem Zureden faßte er den Entschluß, jenen zu berufen und mit ihm zu unterhandeln. Nun war aber auch Krutziger anfangs nicht geneigt, persönlich zu Pallirer und die Verant¬ wortlichkeit für das Ergebnis zu übernehmen. Endlich jedoch erschien er in Begleitung von Freunden und Vertretern republikanischer Vereine, und es begann eine große Debatte, in welcher die Leute ihre Forderungen zuerst in sehr stürmischer, bald aber, nachdem sie gesehen hatten, daß ich mich in keiner Weise einschüchtern ließ, in bescheidenerer Form vortrugen. Ich hatte zuweilen «ach drastischen Auskunftsmitteln greifen müssen, um die Herren zur Ver- Gmizlwtcn I. 1838. 30

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/241>, abgerufen am 28.09.2024.