Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Denkwürdigkeiten des Herzogs Lrnst.

Gotha (Berlin, Wilhelm Hertz) ein, wie wir hören, auf fünf starke Bände be¬
rechnetes Werk heraus, dessen erster uns vorliegt.

Fragen wir zunächst, was die seinerzeit vielgenannte Thüringer Hoheit zu
diesem Unternehmen bewogen hat. Das Vorwort enthält darüber in offner,
manche würden sagen naiver Weise genügende Auskunft. Der Verfasser ist
überzeugt, "daß in unsrer vielgeschäftigen, den Erfolg der Dinge oft nur äußerlich
beurteilenden Zeit der Mann der That mehr als jemals das Bedürfnis haben
muß, seinen Standpunkt und seinen Anteil am politischen Leben nicht ganz ver¬
dunkelt zu sehen. ... In den Erzählungen der nachgebornen wird nur derjenige
hoffen können, einen sichern Platz zu behaupten, welcher dafür Sorge getragen
hat, daß von seinen Bestrebungen schriftliche Kunde bestehe. Bei der Lektüre
von Memoiren und Darstellungen der letzten Dezennien war ich zuweilen er¬
staunt, Persönlichkeiten, von denen ich die ganz bestimmte Erinnerung hatte, daß
gewisse Ereignisse ihrer Initiative zu danken waren, gar nicht oder höchst un¬
genügend erwähnt zu finden.. . . Das konstitutionelle Prinzip verschweigt die
Handlungen der Krone aus Ehrfurcht, und die Geschichte verschweigt zuweilen
die Träger von Kronen aus Prinzip. Und so kann es nicht fehlen, daß man
in Überlieferungen und Erzählungen der Gegenwart nicht selten an die ge¬
waltige Bedeutung des Herrn Nemo in der Welt erinnert wird; und dieser
niemand tritt in dem Epos der neuesten Geschichte meistens hervor, wenn
Fürsten und Regenten eine persönliche Rolle spielen. .. . Ich kann mich nicht
bestimmt finden, mir mein Recht verkümmern zu lassen, die Dinge darzustellen,
wie ich dieselben erlebt, empfunden und mitbewirkt habe. Mir war ein halbes
Jahrhundert hindurch Gelegenheit geboten, im Vordertreffen zu stehen, ich habe
vieles erfahren, die Ereignisse scharf beobachtet, und kein wirklicher Kenner der
Zeit dürfte meinen bescheidnen Anteil an den Gestaltungen unsers Vaterlandes
in Zweifel ziehen wollen." Man braucht nicht zwischen den Zeilen zu lesen,
um diese Sätze als Variationen auf das Bibelwort zu erkennen: Ihr sollt euer
Licht uicht unter den Scheffel stellen, der Verfasser ist sich bewußt, ein "Manu
der That" zu sein, lauge Zeit im Vordertreffen gestanden, zu gewissen Ereig¬
nissen die Initiative ergriffen zu haben, er findet das nicht anerkannt, er glaubt,
daß dem abgeholfen werden müsse, und er übernimmt diese Abhilfe selber. Das
ist ganz einfach; nur setzt dabei in Verwunderung, daß, wenn der Verfasser
seinem Anteil an den Gestaltungen unsers Vaterlandes wirklich als bescheiden an¬
sieht, er zu dessen Schilderung mehrere starke Bände für nötig hält. Freilich
umfaßt der erste, welcher in seine" fünf Büchern die Zeit vom Eintritte des
Herzogs ins Leben (1818) bis zu den großen Enttäuschungen behandelt, die
mit dem Gange Preußens nach Olmütz endigten, auch mancherlei andre Mit¬
teilungen, aber das Bestreben des Verfassers, seine Mitwirkung bei den Dingen
bestens zu beleuchten, liefert doch den roten Faden, der durch alles hindurch
geht, die Hervorhebung seiner Verdienste um die nationale Sache und seiner


Die Denkwürdigkeiten des Herzogs Lrnst.

Gotha (Berlin, Wilhelm Hertz) ein, wie wir hören, auf fünf starke Bände be¬
rechnetes Werk heraus, dessen erster uns vorliegt.

Fragen wir zunächst, was die seinerzeit vielgenannte Thüringer Hoheit zu
diesem Unternehmen bewogen hat. Das Vorwort enthält darüber in offner,
manche würden sagen naiver Weise genügende Auskunft. Der Verfasser ist
überzeugt, „daß in unsrer vielgeschäftigen, den Erfolg der Dinge oft nur äußerlich
beurteilenden Zeit der Mann der That mehr als jemals das Bedürfnis haben
muß, seinen Standpunkt und seinen Anteil am politischen Leben nicht ganz ver¬
dunkelt zu sehen. ... In den Erzählungen der nachgebornen wird nur derjenige
hoffen können, einen sichern Platz zu behaupten, welcher dafür Sorge getragen
hat, daß von seinen Bestrebungen schriftliche Kunde bestehe. Bei der Lektüre
von Memoiren und Darstellungen der letzten Dezennien war ich zuweilen er¬
staunt, Persönlichkeiten, von denen ich die ganz bestimmte Erinnerung hatte, daß
gewisse Ereignisse ihrer Initiative zu danken waren, gar nicht oder höchst un¬
genügend erwähnt zu finden.. . . Das konstitutionelle Prinzip verschweigt die
Handlungen der Krone aus Ehrfurcht, und die Geschichte verschweigt zuweilen
die Träger von Kronen aus Prinzip. Und so kann es nicht fehlen, daß man
in Überlieferungen und Erzählungen der Gegenwart nicht selten an die ge¬
waltige Bedeutung des Herrn Nemo in der Welt erinnert wird; und dieser
niemand tritt in dem Epos der neuesten Geschichte meistens hervor, wenn
Fürsten und Regenten eine persönliche Rolle spielen. .. . Ich kann mich nicht
bestimmt finden, mir mein Recht verkümmern zu lassen, die Dinge darzustellen,
wie ich dieselben erlebt, empfunden und mitbewirkt habe. Mir war ein halbes
Jahrhundert hindurch Gelegenheit geboten, im Vordertreffen zu stehen, ich habe
vieles erfahren, die Ereignisse scharf beobachtet, und kein wirklicher Kenner der
Zeit dürfte meinen bescheidnen Anteil an den Gestaltungen unsers Vaterlandes
in Zweifel ziehen wollen." Man braucht nicht zwischen den Zeilen zu lesen,
um diese Sätze als Variationen auf das Bibelwort zu erkennen: Ihr sollt euer
Licht uicht unter den Scheffel stellen, der Verfasser ist sich bewußt, ein „Manu
der That" zu sein, lauge Zeit im Vordertreffen gestanden, zu gewissen Ereig¬
nissen die Initiative ergriffen zu haben, er findet das nicht anerkannt, er glaubt,
daß dem abgeholfen werden müsse, und er übernimmt diese Abhilfe selber. Das
ist ganz einfach; nur setzt dabei in Verwunderung, daß, wenn der Verfasser
seinem Anteil an den Gestaltungen unsers Vaterlandes wirklich als bescheiden an¬
sieht, er zu dessen Schilderung mehrere starke Bände für nötig hält. Freilich
umfaßt der erste, welcher in seine» fünf Büchern die Zeit vom Eintritte des
Herzogs ins Leben (1818) bis zu den großen Enttäuschungen behandelt, die
mit dem Gange Preußens nach Olmütz endigten, auch mancherlei andre Mit¬
teilungen, aber das Bestreben des Verfassers, seine Mitwirkung bei den Dingen
bestens zu beleuchten, liefert doch den roten Faden, der durch alles hindurch
geht, die Hervorhebung seiner Verdienste um die nationale Sache und seiner


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0236" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/202335"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Denkwürdigkeiten des Herzogs Lrnst.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_872" prev="#ID_871"> Gotha (Berlin, Wilhelm Hertz) ein, wie wir hören, auf fünf starke Bände be¬<lb/>
rechnetes Werk heraus, dessen erster uns vorliegt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_873" next="#ID_874"> Fragen wir zunächst, was die seinerzeit vielgenannte Thüringer Hoheit zu<lb/>
diesem Unternehmen bewogen hat.  Das Vorwort enthält darüber in offner,<lb/>
manche würden sagen naiver Weise genügende Auskunft.  Der Verfasser ist<lb/>
überzeugt, &#x201E;daß in unsrer vielgeschäftigen, den Erfolg der Dinge oft nur äußerlich<lb/>
beurteilenden Zeit der Mann der That mehr als jemals das Bedürfnis haben<lb/>
muß, seinen Standpunkt und seinen Anteil am politischen Leben nicht ganz ver¬<lb/>
dunkelt zu sehen. ... In den Erzählungen der nachgebornen wird nur derjenige<lb/>
hoffen können, einen sichern Platz zu behaupten, welcher dafür Sorge getragen<lb/>
hat, daß von seinen Bestrebungen schriftliche Kunde bestehe.  Bei der Lektüre<lb/>
von Memoiren und Darstellungen der letzten Dezennien war ich zuweilen er¬<lb/>
staunt, Persönlichkeiten, von denen ich die ganz bestimmte Erinnerung hatte, daß<lb/>
gewisse Ereignisse ihrer Initiative zu danken waren, gar nicht oder höchst un¬<lb/>
genügend erwähnt zu finden.. . . Das konstitutionelle Prinzip verschweigt die<lb/>
Handlungen der Krone aus Ehrfurcht, und die Geschichte verschweigt zuweilen<lb/>
die Träger von Kronen aus Prinzip. Und so kann es nicht fehlen, daß man<lb/>
in Überlieferungen und Erzählungen der Gegenwart nicht selten an die ge¬<lb/>
waltige Bedeutung des Herrn Nemo in der Welt erinnert wird; und dieser<lb/>
niemand tritt in dem Epos der neuesten Geschichte meistens hervor, wenn<lb/>
Fürsten und Regenten eine persönliche Rolle spielen. .. . Ich kann mich nicht<lb/>
bestimmt finden, mir mein Recht verkümmern zu lassen, die Dinge darzustellen,<lb/>
wie ich dieselben erlebt, empfunden und mitbewirkt habe. Mir war ein halbes<lb/>
Jahrhundert hindurch Gelegenheit geboten, im Vordertreffen zu stehen, ich habe<lb/>
vieles erfahren, die Ereignisse scharf beobachtet, und kein wirklicher Kenner der<lb/>
Zeit dürfte meinen bescheidnen Anteil an den Gestaltungen unsers Vaterlandes<lb/>
in Zweifel ziehen wollen."  Man braucht nicht zwischen den Zeilen zu lesen,<lb/>
um diese Sätze als Variationen auf das Bibelwort zu erkennen: Ihr sollt euer<lb/>
Licht uicht unter den Scheffel stellen, der Verfasser ist sich bewußt, ein &#x201E;Manu<lb/>
der That" zu sein, lauge Zeit im Vordertreffen gestanden, zu gewissen Ereig¬<lb/>
nissen die Initiative ergriffen zu haben, er findet das nicht anerkannt, er glaubt,<lb/>
daß dem abgeholfen werden müsse, und er übernimmt diese Abhilfe selber. Das<lb/>
ist ganz einfach; nur setzt dabei in Verwunderung, daß, wenn der Verfasser<lb/>
seinem Anteil an den Gestaltungen unsers Vaterlandes wirklich als bescheiden an¬<lb/>
sieht, er zu dessen Schilderung mehrere starke Bände für nötig hält. Freilich<lb/>
umfaßt der erste, welcher in seine» fünf Büchern die Zeit vom Eintritte des<lb/>
Herzogs ins Leben (1818) bis zu den großen Enttäuschungen behandelt, die<lb/>
mit dem Gange Preußens nach Olmütz endigten, auch mancherlei andre Mit¬<lb/>
teilungen, aber das Bestreben des Verfassers, seine Mitwirkung bei den Dingen<lb/>
bestens zu beleuchten, liefert doch den roten Faden, der durch alles hindurch<lb/>
geht, die Hervorhebung seiner Verdienste um die nationale Sache und seiner</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0236] Die Denkwürdigkeiten des Herzogs Lrnst. Gotha (Berlin, Wilhelm Hertz) ein, wie wir hören, auf fünf starke Bände be¬ rechnetes Werk heraus, dessen erster uns vorliegt. Fragen wir zunächst, was die seinerzeit vielgenannte Thüringer Hoheit zu diesem Unternehmen bewogen hat. Das Vorwort enthält darüber in offner, manche würden sagen naiver Weise genügende Auskunft. Der Verfasser ist überzeugt, „daß in unsrer vielgeschäftigen, den Erfolg der Dinge oft nur äußerlich beurteilenden Zeit der Mann der That mehr als jemals das Bedürfnis haben muß, seinen Standpunkt und seinen Anteil am politischen Leben nicht ganz ver¬ dunkelt zu sehen. ... In den Erzählungen der nachgebornen wird nur derjenige hoffen können, einen sichern Platz zu behaupten, welcher dafür Sorge getragen hat, daß von seinen Bestrebungen schriftliche Kunde bestehe. Bei der Lektüre von Memoiren und Darstellungen der letzten Dezennien war ich zuweilen er¬ staunt, Persönlichkeiten, von denen ich die ganz bestimmte Erinnerung hatte, daß gewisse Ereignisse ihrer Initiative zu danken waren, gar nicht oder höchst un¬ genügend erwähnt zu finden.. . . Das konstitutionelle Prinzip verschweigt die Handlungen der Krone aus Ehrfurcht, und die Geschichte verschweigt zuweilen die Träger von Kronen aus Prinzip. Und so kann es nicht fehlen, daß man in Überlieferungen und Erzählungen der Gegenwart nicht selten an die ge¬ waltige Bedeutung des Herrn Nemo in der Welt erinnert wird; und dieser niemand tritt in dem Epos der neuesten Geschichte meistens hervor, wenn Fürsten und Regenten eine persönliche Rolle spielen. .. . Ich kann mich nicht bestimmt finden, mir mein Recht verkümmern zu lassen, die Dinge darzustellen, wie ich dieselben erlebt, empfunden und mitbewirkt habe. Mir war ein halbes Jahrhundert hindurch Gelegenheit geboten, im Vordertreffen zu stehen, ich habe vieles erfahren, die Ereignisse scharf beobachtet, und kein wirklicher Kenner der Zeit dürfte meinen bescheidnen Anteil an den Gestaltungen unsers Vaterlandes in Zweifel ziehen wollen." Man braucht nicht zwischen den Zeilen zu lesen, um diese Sätze als Variationen auf das Bibelwort zu erkennen: Ihr sollt euer Licht uicht unter den Scheffel stellen, der Verfasser ist sich bewußt, ein „Manu der That" zu sein, lauge Zeit im Vordertreffen gestanden, zu gewissen Ereig¬ nissen die Initiative ergriffen zu haben, er findet das nicht anerkannt, er glaubt, daß dem abgeholfen werden müsse, und er übernimmt diese Abhilfe selber. Das ist ganz einfach; nur setzt dabei in Verwunderung, daß, wenn der Verfasser seinem Anteil an den Gestaltungen unsers Vaterlandes wirklich als bescheiden an¬ sieht, er zu dessen Schilderung mehrere starke Bände für nötig hält. Freilich umfaßt der erste, welcher in seine» fünf Büchern die Zeit vom Eintritte des Herzogs ins Leben (1818) bis zu den großen Enttäuschungen behandelt, die mit dem Gange Preußens nach Olmütz endigten, auch mancherlei andre Mit¬ teilungen, aber das Bestreben des Verfassers, seine Mitwirkung bei den Dingen bestens zu beleuchten, liefert doch den roten Faden, der durch alles hindurch geht, die Hervorhebung seiner Verdienste um die nationale Sache und seiner

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/236
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/236>, abgerufen am 28.09.2024.