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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Der Impfzwang und seine Durchführung,

Rechte etwa die Kenntnisse einer "höhern Tochter" besitzen. Wenn aber solche
kindische Anschauungen eine gewisse Verbreitung genießen, dann muß mit umso
größerer Entschiedenheit der ausschließlichen Beschäftigung mit dem Privat¬
rechte entgegengetreten und die Berücksichtigung des öffentlichen Rechtes in weit
größerm Umfange verlangt werden. So lange deutsche Strafgerichte der Ansicht
sind, ein Verbrechen könne unter demselben Gesichtspunkte beurteilt werden wie
ein Amtsgcrichtsprozeß, so lange man nicht einsieht, daß zur Ausübung der
Strafjustiz etwas mehr gehört, als sich in den Erläuterungen des Strafgesetz¬
buches von Olshausen und Oppenhoff zurechtzufinden, wird der notwendige
Umschwung in der Strafrechtsübung nicht eintreten.




Der Impfzwang und seine Durchführung.

s wird zwar jetzt gegen mancherlei Krankheiten mit mehr oder
weniger Erfolg, zum Teil auch mit dem geraden Gegenteil eines
Erfolges, eine vorbeugende Einimpfung versucht; die Krankheit
aber, gegen welche regelmäßig mit einer Impfung angekämpft
wird, sind die Menschenblattern oder die schwarzen Blattern.
In der Sprache des gewöhnlichen Lebens ist daher der Begriff "impfen" gleich¬
bedeutend mit der Einimpfung der Schutzpocken zum Schutz gegen das Blattern-
gift geworden, wie sie im Orient schon seit Jahrhunderten geübt und von Jenner
zu Ende des vorigen Jahrhunderts auch für das Abendland eingeführt worden
ist. Nur von dieser Impfung und von der dnrch die Gesetze angeordneten Vor¬
nahme derselben soll auch im nachstehenden die Rede sein.

Es giebt eine Anzahl Personen, welche das Impfen verwerfen. So hat
sich namentlich in Osterreich eine thätige Schule von Jmpfgegnern gebildet,
welche ihre Wirksamkeit auch auf die angrenzenden Länder und namentlich auf
das Königreich Sachsen erstreckt. Da ist es denn zunächst von höchstem Interesse,
das; die statistischen Angaben, welche von den Anhängern dieser Schule, um
die Schädlichkeit der Impfung nachzuweisen, vorgebracht werden und welche
namentlich von Keller zusammengestellt worden sind, wie I. Körösy in Budapest*)
nachweist, auf willkürlich, ja wir dürfen sagen absichtlich gefälschten Zahlen beruht.



Vergl. dessen Aufsatz: "Die Wiener impfgegnensche Schule und die Bacciuativnsstatistik"
in der "Deutschen Vierteljahrsschrift für öffentliche Gesundheitspflege," herausgegeben von Spieß
und Pistor, Band XIX, S. SS3 ff.
Der Impfzwang und seine Durchführung,

Rechte etwa die Kenntnisse einer „höhern Tochter" besitzen. Wenn aber solche
kindische Anschauungen eine gewisse Verbreitung genießen, dann muß mit umso
größerer Entschiedenheit der ausschließlichen Beschäftigung mit dem Privat¬
rechte entgegengetreten und die Berücksichtigung des öffentlichen Rechtes in weit
größerm Umfange verlangt werden. So lange deutsche Strafgerichte der Ansicht
sind, ein Verbrechen könne unter demselben Gesichtspunkte beurteilt werden wie
ein Amtsgcrichtsprozeß, so lange man nicht einsieht, daß zur Ausübung der
Strafjustiz etwas mehr gehört, als sich in den Erläuterungen des Strafgesetz¬
buches von Olshausen und Oppenhoff zurechtzufinden, wird der notwendige
Umschwung in der Strafrechtsübung nicht eintreten.




Der Impfzwang und seine Durchführung.

s wird zwar jetzt gegen mancherlei Krankheiten mit mehr oder
weniger Erfolg, zum Teil auch mit dem geraden Gegenteil eines
Erfolges, eine vorbeugende Einimpfung versucht; die Krankheit
aber, gegen welche regelmäßig mit einer Impfung angekämpft
wird, sind die Menschenblattern oder die schwarzen Blattern.
In der Sprache des gewöhnlichen Lebens ist daher der Begriff „impfen" gleich¬
bedeutend mit der Einimpfung der Schutzpocken zum Schutz gegen das Blattern-
gift geworden, wie sie im Orient schon seit Jahrhunderten geübt und von Jenner
zu Ende des vorigen Jahrhunderts auch für das Abendland eingeführt worden
ist. Nur von dieser Impfung und von der dnrch die Gesetze angeordneten Vor¬
nahme derselben soll auch im nachstehenden die Rede sein.

Es giebt eine Anzahl Personen, welche das Impfen verwerfen. So hat
sich namentlich in Osterreich eine thätige Schule von Jmpfgegnern gebildet,
welche ihre Wirksamkeit auch auf die angrenzenden Länder und namentlich auf
das Königreich Sachsen erstreckt. Da ist es denn zunächst von höchstem Interesse,
das; die statistischen Angaben, welche von den Anhängern dieser Schule, um
die Schädlichkeit der Impfung nachzuweisen, vorgebracht werden und welche
namentlich von Keller zusammengestellt worden sind, wie I. Körösy in Budapest*)
nachweist, auf willkürlich, ja wir dürfen sagen absichtlich gefälschten Zahlen beruht.



Vergl. dessen Aufsatz: „Die Wiener impfgegnensche Schule und die Bacciuativnsstatistik"
in der „Deutschen Vierteljahrsschrift für öffentliche Gesundheitspflege," herausgegeben von Spieß
und Pistor, Band XIX, S. SS3 ff.
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[0230] Der Impfzwang und seine Durchführung, Rechte etwa die Kenntnisse einer „höhern Tochter" besitzen. Wenn aber solche kindische Anschauungen eine gewisse Verbreitung genießen, dann muß mit umso größerer Entschiedenheit der ausschließlichen Beschäftigung mit dem Privat¬ rechte entgegengetreten und die Berücksichtigung des öffentlichen Rechtes in weit größerm Umfange verlangt werden. So lange deutsche Strafgerichte der Ansicht sind, ein Verbrechen könne unter demselben Gesichtspunkte beurteilt werden wie ein Amtsgcrichtsprozeß, so lange man nicht einsieht, daß zur Ausübung der Strafjustiz etwas mehr gehört, als sich in den Erläuterungen des Strafgesetz¬ buches von Olshausen und Oppenhoff zurechtzufinden, wird der notwendige Umschwung in der Strafrechtsübung nicht eintreten. Der Impfzwang und seine Durchführung. s wird zwar jetzt gegen mancherlei Krankheiten mit mehr oder weniger Erfolg, zum Teil auch mit dem geraden Gegenteil eines Erfolges, eine vorbeugende Einimpfung versucht; die Krankheit aber, gegen welche regelmäßig mit einer Impfung angekämpft wird, sind die Menschenblattern oder die schwarzen Blattern. In der Sprache des gewöhnlichen Lebens ist daher der Begriff „impfen" gleich¬ bedeutend mit der Einimpfung der Schutzpocken zum Schutz gegen das Blattern- gift geworden, wie sie im Orient schon seit Jahrhunderten geübt und von Jenner zu Ende des vorigen Jahrhunderts auch für das Abendland eingeführt worden ist. Nur von dieser Impfung und von der dnrch die Gesetze angeordneten Vor¬ nahme derselben soll auch im nachstehenden die Rede sein. Es giebt eine Anzahl Personen, welche das Impfen verwerfen. So hat sich namentlich in Osterreich eine thätige Schule von Jmpfgegnern gebildet, welche ihre Wirksamkeit auch auf die angrenzenden Länder und namentlich auf das Königreich Sachsen erstreckt. Da ist es denn zunächst von höchstem Interesse, das; die statistischen Angaben, welche von den Anhängern dieser Schule, um die Schädlichkeit der Impfung nachzuweisen, vorgebracht werden und welche namentlich von Keller zusammengestellt worden sind, wie I. Körösy in Budapest*) nachweist, auf willkürlich, ja wir dürfen sagen absichtlich gefälschten Zahlen beruht. Vergl. dessen Aufsatz: „Die Wiener impfgegnensche Schule und die Bacciuativnsstatistik" in der „Deutschen Vierteljahrsschrift für öffentliche Gesundheitspflege," herausgegeben von Spieß und Pistor, Band XIX, S. SS3 ff.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/230>, abgerufen am 28.09.2024.