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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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David Beronski.

Es ist nie zu früh und noch weniger thöricht, an seiner Kinder Wohl zu
denken, versetzte Rebekka sehr entschieden. Reh Meier wird seinem Sohne mit¬
geben, was wir verlangen.

Ich will es aber nicht, es darf, es soll nicht sein! rief David heftig.

Und warum nicht? Was hast du gegen Reh Meier einzuwenden? fragte
Salome, während ihr Blick lauernd auf ihm lag und ihn nicht losließ.

Meine Kinder sollen nicht hier bleiben, nicht --, er hielt einen kurzen Augen¬
blick inne, dann brach es laut, fast triumphirend von seinen Lippen: nicht in
Finsternis und Irrtum untergehen. Nicht umsonst, nicht nur für mich habe ich
das Heil, den Weg des Lebens, der zum ewigen Lichte führt, gefunden.

Plötzlich war der Druck gewichen und tief aufatmend, wie von einer schweren
Last befreit, blickte David die Seinigen mit leuchtenden Augen an.

Salome sprang empor und entriß ihm das Kind, das laut aufschrie. Dann
schob sie beide Kinder in das Nebenzimmer, schloß die Thür und trat neben Rebekka.

Was für Worte sprichst du? rief Rebekka, jäh erbleichend. Höre nicht auf
ihn, Salome! Er weiß uicht, was er redet.

Aber ich weiß, was er spricht und verstehe ihn, sagte seine Frau mit
fliegendem Atem. Er hält sich zu den Ungläubigen. O, ich bin ja nicht blind,
und sein Befehl kann mir die Augen nicht schließen. Längst habe ich es ge¬
merkt, aber dir kam es zu, zu reden, oder gehörst du vielleicht selbst zu den
Abtrünnigen? Leugne doch, David Beronski, fuhr sie fort, indem sie immer
heftiger wurde und bald ihn, bald Rebekka anredete, leugne doch, daß du dich
vom Glauben deiner Väter gewendet hast. Ich wußte, daß es so kommen würde
seit ich gehört, wie du dem Fremden sagtest, nur die Thränen deiner Mutter
hätten dich vermocht, mich zum Weibe zu nehmen. Vor dem Fremden hat er
mir diese Schmach angethan, mir, der Mutter seiner Kinder, die er mir jetzt
auch nehmen will. Lieber sähe ich sie tot zu meinen Füßen liegen, als in
deiner Obhut! Als ich jene Worte hörte, wußte ich, daß sich sein Sinn von
uns gewendet hat, und seitdem habe ich der Worte gelauscht, die er im Schlafe
gesprochen. So sage doch, kannst du leugnen, daß du abgefallen bist und dich --

Ich leugne nichts, ich sage es laut, sage es aller Welt, daß ich dem Herrn
danke, der mich aus Finsternis und Irrtum errettet und mich durch sein heiliges
Wort zur Erkenntnis geführt hat. Mutter! Salome! Hört, was ich euch sagen
kann, und ihr werdet gleich mir überzeugt werden. Wer könnte jene große
Offenbarung lesen und nicht gleich mir sehen und fühlen, daß der Heiland, ans
den wir gehofft haben, längst erschienen ist, daß wir das Heil von uns gestoßen
haben, und deshalb verdammt sind, zerstreut und verachtet unter fremden Völkern
zu weilen? Wer kann jenes Buch lesen und nicht erkennen, daß wir bisher mit
Blindheit geschlagen waren, ihn, den Heiland, auf den Israel gehofft, daß er sein
Volk erlöse, nicht erkannt zu haben! Mutter! Weib! Ist es denn auszudenken,
daß der Herr, der sich unserm Volke geoffenbart, es durch die Wüste geführt,


David Beronski.

Es ist nie zu früh und noch weniger thöricht, an seiner Kinder Wohl zu
denken, versetzte Rebekka sehr entschieden. Reh Meier wird seinem Sohne mit¬
geben, was wir verlangen.

Ich will es aber nicht, es darf, es soll nicht sein! rief David heftig.

Und warum nicht? Was hast du gegen Reh Meier einzuwenden? fragte
Salome, während ihr Blick lauernd auf ihm lag und ihn nicht losließ.

Meine Kinder sollen nicht hier bleiben, nicht —, er hielt einen kurzen Augen¬
blick inne, dann brach es laut, fast triumphirend von seinen Lippen: nicht in
Finsternis und Irrtum untergehen. Nicht umsonst, nicht nur für mich habe ich
das Heil, den Weg des Lebens, der zum ewigen Lichte führt, gefunden.

Plötzlich war der Druck gewichen und tief aufatmend, wie von einer schweren
Last befreit, blickte David die Seinigen mit leuchtenden Augen an.

Salome sprang empor und entriß ihm das Kind, das laut aufschrie. Dann
schob sie beide Kinder in das Nebenzimmer, schloß die Thür und trat neben Rebekka.

Was für Worte sprichst du? rief Rebekka, jäh erbleichend. Höre nicht auf
ihn, Salome! Er weiß uicht, was er redet.

Aber ich weiß, was er spricht und verstehe ihn, sagte seine Frau mit
fliegendem Atem. Er hält sich zu den Ungläubigen. O, ich bin ja nicht blind,
und sein Befehl kann mir die Augen nicht schließen. Längst habe ich es ge¬
merkt, aber dir kam es zu, zu reden, oder gehörst du vielleicht selbst zu den
Abtrünnigen? Leugne doch, David Beronski, fuhr sie fort, indem sie immer
heftiger wurde und bald ihn, bald Rebekka anredete, leugne doch, daß du dich
vom Glauben deiner Väter gewendet hast. Ich wußte, daß es so kommen würde
seit ich gehört, wie du dem Fremden sagtest, nur die Thränen deiner Mutter
hätten dich vermocht, mich zum Weibe zu nehmen. Vor dem Fremden hat er
mir diese Schmach angethan, mir, der Mutter seiner Kinder, die er mir jetzt
auch nehmen will. Lieber sähe ich sie tot zu meinen Füßen liegen, als in
deiner Obhut! Als ich jene Worte hörte, wußte ich, daß sich sein Sinn von
uns gewendet hat, und seitdem habe ich der Worte gelauscht, die er im Schlafe
gesprochen. So sage doch, kannst du leugnen, daß du abgefallen bist und dich —

Ich leugne nichts, ich sage es laut, sage es aller Welt, daß ich dem Herrn
danke, der mich aus Finsternis und Irrtum errettet und mich durch sein heiliges
Wort zur Erkenntnis geführt hat. Mutter! Salome! Hört, was ich euch sagen
kann, und ihr werdet gleich mir überzeugt werden. Wer könnte jene große
Offenbarung lesen und nicht gleich mir sehen und fühlen, daß der Heiland, ans
den wir gehofft haben, längst erschienen ist, daß wir das Heil von uns gestoßen
haben, und deshalb verdammt sind, zerstreut und verachtet unter fremden Völkern
zu weilen? Wer kann jenes Buch lesen und nicht erkennen, daß wir bisher mit
Blindheit geschlagen waren, ihn, den Heiland, auf den Israel gehofft, daß er sein
Volk erlöse, nicht erkannt zu haben! Mutter! Weib! Ist es denn auszudenken,
daß der Herr, der sich unserm Volke geoffenbart, es durch die Wüste geführt,


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[0222] David Beronski. Es ist nie zu früh und noch weniger thöricht, an seiner Kinder Wohl zu denken, versetzte Rebekka sehr entschieden. Reh Meier wird seinem Sohne mit¬ geben, was wir verlangen. Ich will es aber nicht, es darf, es soll nicht sein! rief David heftig. Und warum nicht? Was hast du gegen Reh Meier einzuwenden? fragte Salome, während ihr Blick lauernd auf ihm lag und ihn nicht losließ. Meine Kinder sollen nicht hier bleiben, nicht —, er hielt einen kurzen Augen¬ blick inne, dann brach es laut, fast triumphirend von seinen Lippen: nicht in Finsternis und Irrtum untergehen. Nicht umsonst, nicht nur für mich habe ich das Heil, den Weg des Lebens, der zum ewigen Lichte führt, gefunden. Plötzlich war der Druck gewichen und tief aufatmend, wie von einer schweren Last befreit, blickte David die Seinigen mit leuchtenden Augen an. Salome sprang empor und entriß ihm das Kind, das laut aufschrie. Dann schob sie beide Kinder in das Nebenzimmer, schloß die Thür und trat neben Rebekka. Was für Worte sprichst du? rief Rebekka, jäh erbleichend. Höre nicht auf ihn, Salome! Er weiß uicht, was er redet. Aber ich weiß, was er spricht und verstehe ihn, sagte seine Frau mit fliegendem Atem. Er hält sich zu den Ungläubigen. O, ich bin ja nicht blind, und sein Befehl kann mir die Augen nicht schließen. Längst habe ich es ge¬ merkt, aber dir kam es zu, zu reden, oder gehörst du vielleicht selbst zu den Abtrünnigen? Leugne doch, David Beronski, fuhr sie fort, indem sie immer heftiger wurde und bald ihn, bald Rebekka anredete, leugne doch, daß du dich vom Glauben deiner Väter gewendet hast. Ich wußte, daß es so kommen würde seit ich gehört, wie du dem Fremden sagtest, nur die Thränen deiner Mutter hätten dich vermocht, mich zum Weibe zu nehmen. Vor dem Fremden hat er mir diese Schmach angethan, mir, der Mutter seiner Kinder, die er mir jetzt auch nehmen will. Lieber sähe ich sie tot zu meinen Füßen liegen, als in deiner Obhut! Als ich jene Worte hörte, wußte ich, daß sich sein Sinn von uns gewendet hat, und seitdem habe ich der Worte gelauscht, die er im Schlafe gesprochen. So sage doch, kannst du leugnen, daß du abgefallen bist und dich — Ich leugne nichts, ich sage es laut, sage es aller Welt, daß ich dem Herrn danke, der mich aus Finsternis und Irrtum errettet und mich durch sein heiliges Wort zur Erkenntnis geführt hat. Mutter! Salome! Hört, was ich euch sagen kann, und ihr werdet gleich mir überzeugt werden. Wer könnte jene große Offenbarung lesen und nicht gleich mir sehen und fühlen, daß der Heiland, ans den wir gehofft haben, längst erschienen ist, daß wir das Heil von uns gestoßen haben, und deshalb verdammt sind, zerstreut und verachtet unter fremden Völkern zu weilen? Wer kann jenes Buch lesen und nicht erkennen, daß wir bisher mit Blindheit geschlagen waren, ihn, den Heiland, auf den Israel gehofft, daß er sein Volk erlöse, nicht erkannt zu haben! Mutter! Weib! Ist es denn auszudenken, daß der Herr, der sich unserm Volke geoffenbart, es durch die Wüste geführt,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/222>, abgerufen am 21.10.2024.