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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Zum Vogelschutzgesetze.

Und so ergiebt sich nach alledem doch die Frage, wie weit der Dichter der
Gegenwart in diesem Betracht gehen darf, und ob es wohlgethan ist, die Bildungs¬
voraussetzungen eines gelehrten und vielwissendcn Geschlechts auch zu den Voraus¬
setzungen poetischer Gestaltung und poetischer Wirkung zu machen, eine Frage,
die sicher nicht ohne weiteres und ohne Einschränkungen bejaht werden kann.




Zum Vogelschutzgesetze.

or einigen Wochen ging die Nachricht durch die Zeitungen, daß
dem Bundesrate ein neuer Entwurf eines Reichsvogelschutzgesctzcs
vorgelegt worden sei. Seitdem ist von der Sache nichts mehr
gehört worden. Es wäre schade, wenn das Gesetz zurückgestellt
worden sein sollte, denn nachgerade wird es dringend nötig,
etwas nachdrückliches gegen die fortgesetzte Verminderung unsrer Singvögel
zu unternehmen.

Die schlimmsten Ursachen dieser Verminderung können freilich durch ein
Vogelschutzgesetz nicht beseitigt werden. Sie bestehen in der fortschreitenden
Kultur der Feld- und Waldwirtschaft und in dem Masscnfange der Vögel in
Italien. Man sucht seinen Stolz darin, Feld und Wald reinlich aufzuräumen,
beseitigt jeden Dornbusch, jeden hohlen Baum, jedes Wasserloch und nimmt
dadurch dem Vogel Nistgelcgenheit und Lebensbedingung. Dem gegenüber kann
ein Reichsgesetz nicht wohl gebieten: Ihr dürft die Äcker nicht freimachen
oder den Wald forstmünnisch korrekt bewirtschaften. Wohl aber kann auf dem
Wege der Verordnung das nötige geschehen, wenn erst einmal eingesehen ist,
daß Vogelschutz in erster Linie darin besteht, dein Vogel seine Lebensbe¬
dingungen zu erhalten. Die Eisenbahnen thun durch die Telegraphendrähte,
an welchen sich die durchziehenden Vögel stoßen, viel Schaden, sie können
durch Anpflanzung von Buschwerk an den Böschungen viel mehr Gutes stiften.
Verordnungen, wie die eines königlichen Wasserbaumcisters: daß die Räuder
der Flüsse abrasirt und nach dem Lineal znrechtgeschnitten werden sollten, müßten
zu den Unmöglichkeiten gehören, schon darum, weil sie an sich unverständig sind.
Der Staat, welcher mit dem Erlaß von Schutzgesetzen vorgeht, hat auch ohne
das Gesetz die moralische Verpflichtung, auf seinem Gebiete anzuordnen, was
er durch ein Gesetz nicht erzwingen kann, nämlich Maßregeln zur Pflege des
Vogelbestandes.


Zum Vogelschutzgesetze.

Und so ergiebt sich nach alledem doch die Frage, wie weit der Dichter der
Gegenwart in diesem Betracht gehen darf, und ob es wohlgethan ist, die Bildungs¬
voraussetzungen eines gelehrten und vielwissendcn Geschlechts auch zu den Voraus¬
setzungen poetischer Gestaltung und poetischer Wirkung zu machen, eine Frage,
die sicher nicht ohne weiteres und ohne Einschränkungen bejaht werden kann.




Zum Vogelschutzgesetze.

or einigen Wochen ging die Nachricht durch die Zeitungen, daß
dem Bundesrate ein neuer Entwurf eines Reichsvogelschutzgesctzcs
vorgelegt worden sei. Seitdem ist von der Sache nichts mehr
gehört worden. Es wäre schade, wenn das Gesetz zurückgestellt
worden sein sollte, denn nachgerade wird es dringend nötig,
etwas nachdrückliches gegen die fortgesetzte Verminderung unsrer Singvögel
zu unternehmen.

Die schlimmsten Ursachen dieser Verminderung können freilich durch ein
Vogelschutzgesetz nicht beseitigt werden. Sie bestehen in der fortschreitenden
Kultur der Feld- und Waldwirtschaft und in dem Masscnfange der Vögel in
Italien. Man sucht seinen Stolz darin, Feld und Wald reinlich aufzuräumen,
beseitigt jeden Dornbusch, jeden hohlen Baum, jedes Wasserloch und nimmt
dadurch dem Vogel Nistgelcgenheit und Lebensbedingung. Dem gegenüber kann
ein Reichsgesetz nicht wohl gebieten: Ihr dürft die Äcker nicht freimachen
oder den Wald forstmünnisch korrekt bewirtschaften. Wohl aber kann auf dem
Wege der Verordnung das nötige geschehen, wenn erst einmal eingesehen ist,
daß Vogelschutz in erster Linie darin besteht, dein Vogel seine Lebensbe¬
dingungen zu erhalten. Die Eisenbahnen thun durch die Telegraphendrähte,
an welchen sich die durchziehenden Vögel stoßen, viel Schaden, sie können
durch Anpflanzung von Buschwerk an den Böschungen viel mehr Gutes stiften.
Verordnungen, wie die eines königlichen Wasserbaumcisters: daß die Räuder
der Flüsse abrasirt und nach dem Lineal znrechtgeschnitten werden sollten, müßten
zu den Unmöglichkeiten gehören, schon darum, weil sie an sich unverständig sind.
Der Staat, welcher mit dem Erlaß von Schutzgesetzen vorgeht, hat auch ohne
das Gesetz die moralische Verpflichtung, auf seinem Gebiete anzuordnen, was
er durch ein Gesetz nicht erzwingen kann, nämlich Maßregeln zur Pflege des
Vogelbestandes.


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[0149] Zum Vogelschutzgesetze. Und so ergiebt sich nach alledem doch die Frage, wie weit der Dichter der Gegenwart in diesem Betracht gehen darf, und ob es wohlgethan ist, die Bildungs¬ voraussetzungen eines gelehrten und vielwissendcn Geschlechts auch zu den Voraus¬ setzungen poetischer Gestaltung und poetischer Wirkung zu machen, eine Frage, die sicher nicht ohne weiteres und ohne Einschränkungen bejaht werden kann. Zum Vogelschutzgesetze. or einigen Wochen ging die Nachricht durch die Zeitungen, daß dem Bundesrate ein neuer Entwurf eines Reichsvogelschutzgesctzcs vorgelegt worden sei. Seitdem ist von der Sache nichts mehr gehört worden. Es wäre schade, wenn das Gesetz zurückgestellt worden sein sollte, denn nachgerade wird es dringend nötig, etwas nachdrückliches gegen die fortgesetzte Verminderung unsrer Singvögel zu unternehmen. Die schlimmsten Ursachen dieser Verminderung können freilich durch ein Vogelschutzgesetz nicht beseitigt werden. Sie bestehen in der fortschreitenden Kultur der Feld- und Waldwirtschaft und in dem Masscnfange der Vögel in Italien. Man sucht seinen Stolz darin, Feld und Wald reinlich aufzuräumen, beseitigt jeden Dornbusch, jeden hohlen Baum, jedes Wasserloch und nimmt dadurch dem Vogel Nistgelcgenheit und Lebensbedingung. Dem gegenüber kann ein Reichsgesetz nicht wohl gebieten: Ihr dürft die Äcker nicht freimachen oder den Wald forstmünnisch korrekt bewirtschaften. Wohl aber kann auf dem Wege der Verordnung das nötige geschehen, wenn erst einmal eingesehen ist, daß Vogelschutz in erster Linie darin besteht, dein Vogel seine Lebensbe¬ dingungen zu erhalten. Die Eisenbahnen thun durch die Telegraphendrähte, an welchen sich die durchziehenden Vögel stoßen, viel Schaden, sie können durch Anpflanzung von Buschwerk an den Böschungen viel mehr Gutes stiften. Verordnungen, wie die eines königlichen Wasserbaumcisters: daß die Räuder der Flüsse abrasirt und nach dem Lineal znrechtgeschnitten werden sollten, müßten zu den Unmöglichkeiten gehören, schon darum, weil sie an sich unverständig sind. Der Staat, welcher mit dem Erlaß von Schutzgesetzen vorgeht, hat auch ohne das Gesetz die moralische Verpflichtung, auf seinem Gebiete anzuordnen, was er durch ein Gesetz nicht erzwingen kann, nämlich Maßregeln zur Pflege des Vogelbestandes.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/149>, abgerufen am 28.09.2024.