Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.Rcmrad Ferdinand Meyers versnchnng des pescara. klugen und Erfolg zu verbürgen. Die Versuchung, welche an Pescara heran¬ Rcmrad Ferdinand Meyers versnchnng des pescara. klugen und Erfolg zu verbürgen. Die Versuchung, welche an Pescara heran¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0147" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/202246"/> <fw type="header" place="top"> Rcmrad Ferdinand Meyers versnchnng des pescara.</fw><lb/> <p xml:id="ID_500" prev="#ID_499" next="#ID_501"> klugen und Erfolg zu verbürgen. Die Versuchung, welche an Pescara heran¬<lb/> tritt, ist vielleicht die stärkste, vor welche seit Jahrhunderten ein Mensch gestellt<lb/> worden ist. Wenn seine Vasallen- und Soldatcntreue den Einflüsterungen der<lb/> politischen Ränkeschmiede stand halten könnte, so verkörpert sich das leidende, nach<lb/> Befreiung von fremdem Druck, nach eignem Leben schmachtende Italien in der<lb/> Gestalt der schönen und edeln Dichterin Vittoria Colonna, welche Pescarcis<lb/> geliebtes Weib ist. Mitten in der Verderbnis einer lastervollcn Zeit hat sich<lb/> dies Paar nicht nur eheliche Treue, sondern die reinste und wärmste Liebe be¬<lb/> wahrt; Pescara würde vor jedem Schritt zurückschrecken, der ihn einen der<lb/> zärtlich bewundernden Blicke seiner Gemahlin kosten könnte, und nun naht sich<lb/> Vittoria dem geliebten Helden als edle Versucherin. Italien selbst scheint es zu<lb/> sein, das aus ihrem Munde fleht, und Pescara bekennt sich selbst, daß er einen<lb/> schweren innern Kampf zu bestehen haben würde, wäre er nicht von vornherein<lb/> gegen alle Versuchung gefeit, und sahe er noch ein andres irdisches Ziel als<lb/> die Bewahrung seines- fleckenlosen Namens vor sich. Als Morone ihm mit<lb/> flammender Beredsamkeit den Plan vorträgt und neben der Krone von<lb/> Neapel die Krone des geeinten Italiens in der Ferne schimmern läßt,<lb/> da thut der Feldherr die Frage: „Wie viele meiner Jahre verlangst du von<lb/> mir, Morone?" — „Viele ohne Zweifel!" versetzte der Kanzler. „Je mehr,<lb/> desto besser! Nur mit jenen langen und fruchtbaren Pausen, welche die<lb/> Dinge still und unaufhaltsam wachsen lassen, unzerstörlich scheinende Hinder¬<lb/> nisse zernagen, die Gewissen abstumpfen und beruhigen und selbst das ursprünglich<lb/> Frevle entsühnen und heiligen, nur ans solchen breiten und notwendigen Stufen<lb/> ist Bleibendes im Staate erreichbar. Dein bester Verbündeter, Pescara, ist das<lb/> Leben. Zehn, zwanzig, warum nicht dreißig Jahre, Pescara? Du stehst ja<lb/> in der Fülle der Kraft und schöpfst nur so mit der Hemd aus der über¬<lb/> strömenden Quelle!" Pescara aber sagt deu lauschenden Freunden tiefernst,<lb/> das Stück, das eben aufgeführt werde, heiße „Tod und Narr." Und als er<lb/> die Bitten und Bestürmungen seines holden Weibes abweist, das ihn zuletzt<lb/> verzweifelnd fragt, ob er ihr Italien verachte, erwiedert er ihr: „Wie dürfte<lb/> ich ein Volk verachten, das mir dich gegeben hat? Aber ich will dir nicht<lb/> verhehlen: Italien redet umsonst, es verliert seine Mühe. Ich kannte die Ver¬<lb/> suchung lange, ich sah sie kommen und sich gipfeln, wie eine hercmrolleude<lb/> Woge, und ich habe nicht geschwankt, nicht einen Augenblick, mit dem leisesten<lb/> Gedanken nicht. Denn keine Wahl ist an mich herangetreten, ich gehörte nicht<lb/> mir, ich stand außerhalb der Dinge." Der Unerschütterliche gehört — dem<lb/> Tode. Er trägt seit der Paviaschlacht die Todeswunde mit sich herum, sein<lb/> Arzt hat ihm nur künstlich auf Monate das Leben gefristet, er ist im Begriff,<lb/> von der Erde und all ihren Herrlichkeiten zu scheiden, und er sieht im Lichte<lb/> des Todes, mit der Unbestechlichkeit des Richters, dem kein persönlicher Vorteil<lb/> schmeichelt, den keine Drohung schreckt, die Dinge, wie sie sind. Er weiß es, daß</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0147]
Rcmrad Ferdinand Meyers versnchnng des pescara.
klugen und Erfolg zu verbürgen. Die Versuchung, welche an Pescara heran¬
tritt, ist vielleicht die stärkste, vor welche seit Jahrhunderten ein Mensch gestellt
worden ist. Wenn seine Vasallen- und Soldatcntreue den Einflüsterungen der
politischen Ränkeschmiede stand halten könnte, so verkörpert sich das leidende, nach
Befreiung von fremdem Druck, nach eignem Leben schmachtende Italien in der
Gestalt der schönen und edeln Dichterin Vittoria Colonna, welche Pescarcis
geliebtes Weib ist. Mitten in der Verderbnis einer lastervollcn Zeit hat sich
dies Paar nicht nur eheliche Treue, sondern die reinste und wärmste Liebe be¬
wahrt; Pescara würde vor jedem Schritt zurückschrecken, der ihn einen der
zärtlich bewundernden Blicke seiner Gemahlin kosten könnte, und nun naht sich
Vittoria dem geliebten Helden als edle Versucherin. Italien selbst scheint es zu
sein, das aus ihrem Munde fleht, und Pescara bekennt sich selbst, daß er einen
schweren innern Kampf zu bestehen haben würde, wäre er nicht von vornherein
gegen alle Versuchung gefeit, und sahe er noch ein andres irdisches Ziel als
die Bewahrung seines- fleckenlosen Namens vor sich. Als Morone ihm mit
flammender Beredsamkeit den Plan vorträgt und neben der Krone von
Neapel die Krone des geeinten Italiens in der Ferne schimmern läßt,
da thut der Feldherr die Frage: „Wie viele meiner Jahre verlangst du von
mir, Morone?" — „Viele ohne Zweifel!" versetzte der Kanzler. „Je mehr,
desto besser! Nur mit jenen langen und fruchtbaren Pausen, welche die
Dinge still und unaufhaltsam wachsen lassen, unzerstörlich scheinende Hinder¬
nisse zernagen, die Gewissen abstumpfen und beruhigen und selbst das ursprünglich
Frevle entsühnen und heiligen, nur ans solchen breiten und notwendigen Stufen
ist Bleibendes im Staate erreichbar. Dein bester Verbündeter, Pescara, ist das
Leben. Zehn, zwanzig, warum nicht dreißig Jahre, Pescara? Du stehst ja
in der Fülle der Kraft und schöpfst nur so mit der Hemd aus der über¬
strömenden Quelle!" Pescara aber sagt deu lauschenden Freunden tiefernst,
das Stück, das eben aufgeführt werde, heiße „Tod und Narr." Und als er
die Bitten und Bestürmungen seines holden Weibes abweist, das ihn zuletzt
verzweifelnd fragt, ob er ihr Italien verachte, erwiedert er ihr: „Wie dürfte
ich ein Volk verachten, das mir dich gegeben hat? Aber ich will dir nicht
verhehlen: Italien redet umsonst, es verliert seine Mühe. Ich kannte die Ver¬
suchung lange, ich sah sie kommen und sich gipfeln, wie eine hercmrolleude
Woge, und ich habe nicht geschwankt, nicht einen Augenblick, mit dem leisesten
Gedanken nicht. Denn keine Wahl ist an mich herangetreten, ich gehörte nicht
mir, ich stand außerhalb der Dinge." Der Unerschütterliche gehört — dem
Tode. Er trägt seit der Paviaschlacht die Todeswunde mit sich herum, sein
Arzt hat ihm nur künstlich auf Monate das Leben gefristet, er ist im Begriff,
von der Erde und all ihren Herrlichkeiten zu scheiden, und er sieht im Lichte
des Todes, mit der Unbestechlichkeit des Richters, dem kein persönlicher Vorteil
schmeichelt, den keine Drohung schreckt, die Dinge, wie sie sind. Er weiß es, daß
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