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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Die Freiheit und Selbständigkeit der evangelisch-protestantischen Rirche.

weitere wird, als auch darum, weil es ein steter Kampf zwischen dem Staate und
der katholischen Kirche bleiben wird, wer die Grenzen ziehen soll -- gegenüber der
evangelischen Kirche ist die Bestimmung der Grenze der Lehrfreiheit nicht schwer,
da sie nach ihrer Entstehung keinen Rechtstitel ausweisen kann, ein eignes, vom
Staate getrenntes, sittliches Gebiet zu haben, ebensowenig, als sie für die Be¬
stimmung dieses sittlichen Gebietes die Entscheidung des Staates zu verwerfen
vermag. Wenn auch die Staatsbehörde bei der Zartheit dieser Dinge in Streit¬
fällen immerhin vorsichtig sein wird mit Geltendmachung ihrer Anschauung, die
Entscheidung gehört ihr, und zumal die Landeskirche wird nur so lauge auf
den Genuß ihrer Vorrechte, z. B, auf die staatliche Unterstützung, durch welche
sie für jede Pfarrstelle jetzt eine Miuimaleiunahme bezieht, zu rechnen haben,
als der Staat urteilt, daß ihre Lehre sich auf demselben sittlichen Grunde be¬
wegt, den er für sich beansprucht. Denn der Staat ist -- darin hat Kant
wie Hegel Recht, deren Zusammengehörigkeit mit Luther und den Reformatoren
an diesem wichtigsten Punkte des protestantischen Denkens sich kundgiebt --
die höchste Form der Sittlichkeit; ihm anzugehören ist Notwendigkeit und
Pflicht, da er die Wirklichkeit der sittlichen Freiheit ist, die sich objektiv als
System von Einrichtungen, subjektiv als Glaube an sie, als patriotische Gesinnung
offenbart. Zu diesen Einrichtungen ist anch die Kirche zu zählen, und die Diener
derselben sollten stolz darauf sein, daß der Staat auch sie zu seinen Beauftragten
bestellt. Unsern lutherischen Pastoren ist diese Hegelsche Auffassung der Kirche
jetzt ein Greuel (immer war sie es nicht), weil sie entdeckt zu haben glauben,
daß die Kirche im Humanitätsstaat aufgehe. Sie müssen dann ihre Anklagen gegen
Luther selbst richten, der die ersten Bausteine zu diesem modernen Staate be¬
schafft und so festgelegt hat, daß sie sich uicht wieder entfernen lassen. Alles
Reden von einer Kirchengewalt und einer Staatsgewalt, von den "zwei Gro߬
mächten Kirche und Staat" als zwei gleichberechtigten Gewalten, wie das der
Hofprediger Stöcker und seine Freunde hinstellen, ist katholische Anschauung und
paßt am wenigsten zum Preußischen Geiste. Die evangelisch-protestantische Kirche
ist überhaupt keine Gewalt; im Evangelium heißt es: "Des Menschen Sohn
ist nicht gekommen, daß er sich dienen lasse, sondern daß er diene."

Daß, um Maurcnbrechers Worte zu gebrauchen "die Verbindung des Ge-
meindcprinzips, wie Luther es vorahnend aufstellt, mit der Organisation der
Landeskirche unter Leitung und Führung des Staatsoberhauptes" das Prinzip
des protestantischen Kirchenlebens ist und daß die protestantische Kirche darum
ein Recht hat, sich auf dieser Verbindung aufzubauen, das wird von den ver¬
schiedensten Parteien heutzutage anerkannt und als ihre Meinung behauptet. Es
kommt da aber alles auf das Wie an. Welcher Protestant -- und das ist
es, was wir in dieser Betrachtung nachweisen wollten -- zwei oberste Gewalten
bekennt, eine geistliche und eine weltliche, für den wird "das Reich Christi und
das deutsche Reich immer im Kriege liegen." Dabei ebnet er, wenn auch un-


Die Freiheit und Selbständigkeit der evangelisch-protestantischen Rirche.

weitere wird, als auch darum, weil es ein steter Kampf zwischen dem Staate und
der katholischen Kirche bleiben wird, wer die Grenzen ziehen soll — gegenüber der
evangelischen Kirche ist die Bestimmung der Grenze der Lehrfreiheit nicht schwer,
da sie nach ihrer Entstehung keinen Rechtstitel ausweisen kann, ein eignes, vom
Staate getrenntes, sittliches Gebiet zu haben, ebensowenig, als sie für die Be¬
stimmung dieses sittlichen Gebietes die Entscheidung des Staates zu verwerfen
vermag. Wenn auch die Staatsbehörde bei der Zartheit dieser Dinge in Streit¬
fällen immerhin vorsichtig sein wird mit Geltendmachung ihrer Anschauung, die
Entscheidung gehört ihr, und zumal die Landeskirche wird nur so lauge auf
den Genuß ihrer Vorrechte, z. B, auf die staatliche Unterstützung, durch welche
sie für jede Pfarrstelle jetzt eine Miuimaleiunahme bezieht, zu rechnen haben,
als der Staat urteilt, daß ihre Lehre sich auf demselben sittlichen Grunde be¬
wegt, den er für sich beansprucht. Denn der Staat ist — darin hat Kant
wie Hegel Recht, deren Zusammengehörigkeit mit Luther und den Reformatoren
an diesem wichtigsten Punkte des protestantischen Denkens sich kundgiebt —
die höchste Form der Sittlichkeit; ihm anzugehören ist Notwendigkeit und
Pflicht, da er die Wirklichkeit der sittlichen Freiheit ist, die sich objektiv als
System von Einrichtungen, subjektiv als Glaube an sie, als patriotische Gesinnung
offenbart. Zu diesen Einrichtungen ist anch die Kirche zu zählen, und die Diener
derselben sollten stolz darauf sein, daß der Staat auch sie zu seinen Beauftragten
bestellt. Unsern lutherischen Pastoren ist diese Hegelsche Auffassung der Kirche
jetzt ein Greuel (immer war sie es nicht), weil sie entdeckt zu haben glauben,
daß die Kirche im Humanitätsstaat aufgehe. Sie müssen dann ihre Anklagen gegen
Luther selbst richten, der die ersten Bausteine zu diesem modernen Staate be¬
schafft und so festgelegt hat, daß sie sich uicht wieder entfernen lassen. Alles
Reden von einer Kirchengewalt und einer Staatsgewalt, von den „zwei Gro߬
mächten Kirche und Staat" als zwei gleichberechtigten Gewalten, wie das der
Hofprediger Stöcker und seine Freunde hinstellen, ist katholische Anschauung und
paßt am wenigsten zum Preußischen Geiste. Die evangelisch-protestantische Kirche
ist überhaupt keine Gewalt; im Evangelium heißt es: „Des Menschen Sohn
ist nicht gekommen, daß er sich dienen lasse, sondern daß er diene."

Daß, um Maurcnbrechers Worte zu gebrauchen „die Verbindung des Ge-
meindcprinzips, wie Luther es vorahnend aufstellt, mit der Organisation der
Landeskirche unter Leitung und Führung des Staatsoberhauptes" das Prinzip
des protestantischen Kirchenlebens ist und daß die protestantische Kirche darum
ein Recht hat, sich auf dieser Verbindung aufzubauen, das wird von den ver¬
schiedensten Parteien heutzutage anerkannt und als ihre Meinung behauptet. Es
kommt da aber alles auf das Wie an. Welcher Protestant — und das ist
es, was wir in dieser Betrachtung nachweisen wollten — zwei oberste Gewalten
bekennt, eine geistliche und eine weltliche, für den wird „das Reich Christi und
das deutsche Reich immer im Kriege liegen." Dabei ebnet er, wenn auch un-


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[0139] Die Freiheit und Selbständigkeit der evangelisch-protestantischen Rirche. weitere wird, als auch darum, weil es ein steter Kampf zwischen dem Staate und der katholischen Kirche bleiben wird, wer die Grenzen ziehen soll — gegenüber der evangelischen Kirche ist die Bestimmung der Grenze der Lehrfreiheit nicht schwer, da sie nach ihrer Entstehung keinen Rechtstitel ausweisen kann, ein eignes, vom Staate getrenntes, sittliches Gebiet zu haben, ebensowenig, als sie für die Be¬ stimmung dieses sittlichen Gebietes die Entscheidung des Staates zu verwerfen vermag. Wenn auch die Staatsbehörde bei der Zartheit dieser Dinge in Streit¬ fällen immerhin vorsichtig sein wird mit Geltendmachung ihrer Anschauung, die Entscheidung gehört ihr, und zumal die Landeskirche wird nur so lauge auf den Genuß ihrer Vorrechte, z. B, auf die staatliche Unterstützung, durch welche sie für jede Pfarrstelle jetzt eine Miuimaleiunahme bezieht, zu rechnen haben, als der Staat urteilt, daß ihre Lehre sich auf demselben sittlichen Grunde be¬ wegt, den er für sich beansprucht. Denn der Staat ist — darin hat Kant wie Hegel Recht, deren Zusammengehörigkeit mit Luther und den Reformatoren an diesem wichtigsten Punkte des protestantischen Denkens sich kundgiebt — die höchste Form der Sittlichkeit; ihm anzugehören ist Notwendigkeit und Pflicht, da er die Wirklichkeit der sittlichen Freiheit ist, die sich objektiv als System von Einrichtungen, subjektiv als Glaube an sie, als patriotische Gesinnung offenbart. Zu diesen Einrichtungen ist anch die Kirche zu zählen, und die Diener derselben sollten stolz darauf sein, daß der Staat auch sie zu seinen Beauftragten bestellt. Unsern lutherischen Pastoren ist diese Hegelsche Auffassung der Kirche jetzt ein Greuel (immer war sie es nicht), weil sie entdeckt zu haben glauben, daß die Kirche im Humanitätsstaat aufgehe. Sie müssen dann ihre Anklagen gegen Luther selbst richten, der die ersten Bausteine zu diesem modernen Staate be¬ schafft und so festgelegt hat, daß sie sich uicht wieder entfernen lassen. Alles Reden von einer Kirchengewalt und einer Staatsgewalt, von den „zwei Gro߬ mächten Kirche und Staat" als zwei gleichberechtigten Gewalten, wie das der Hofprediger Stöcker und seine Freunde hinstellen, ist katholische Anschauung und paßt am wenigsten zum Preußischen Geiste. Die evangelisch-protestantische Kirche ist überhaupt keine Gewalt; im Evangelium heißt es: „Des Menschen Sohn ist nicht gekommen, daß er sich dienen lasse, sondern daß er diene." Daß, um Maurcnbrechers Worte zu gebrauchen „die Verbindung des Ge- meindcprinzips, wie Luther es vorahnend aufstellt, mit der Organisation der Landeskirche unter Leitung und Führung des Staatsoberhauptes" das Prinzip des protestantischen Kirchenlebens ist und daß die protestantische Kirche darum ein Recht hat, sich auf dieser Verbindung aufzubauen, das wird von den ver¬ schiedensten Parteien heutzutage anerkannt und als ihre Meinung behauptet. Es kommt da aber alles auf das Wie an. Welcher Protestant — und das ist es, was wir in dieser Betrachtung nachweisen wollten — zwei oberste Gewalten bekennt, eine geistliche und eine weltliche, für den wird „das Reich Christi und das deutsche Reich immer im Kriege liegen." Dabei ebnet er, wenn auch un-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/139>, abgerufen am 28.09.2024.