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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Die Freiheit und Selbständigkeit der evangelisch-protestantischen Kirche.

Thätigkeit nach seiner Bestimmung zu beschaffen; er errichtet Kirchen und
Schulen, giebt den Amtsträgern ihren Unterhalt und ihren Rang, entfernt
sittlich Unwürdige, regelt die Vornahme des äußern Gottesdienstes, vermattet
das Kirchengut, bestimmt Visitationen und Zusammenkünfte der Geistlichen,
reinigt die Religion von falscher Lehre, Aberglaube und Götzendienst.

Besonders die letzte Bestimmung zeigt nun freilich, wie bei dieser Ver¬
fassung die Kirche an den Staat soweit hingegeben war, daß selbst die innere
Kirchenleitung, Predigt und Lehre, die Luther und die Reformatoren schlechter¬
dings von der xotesws Zlg-cM frei und unabhängig erhalten wollten, hier dem
Staate zufällt, und über solchen Rechtszustand haben in späterer Zeit noch
mehr als zur Zeit seiner Geltung Eiferer für die Selbständigkeit der Kirche
als über eine unerträgliche Juristenherrschaft geklagt, als über ein Erliegen
der Kirche unter fremder Willkür. Mehr denn je wurde von 1840 an auf
diese Abhängigkeit der Kirche als auf einen Zustand der Knechtschaft hinge¬
wiesen, und gerade heutzutage fühlt sich eine Partei in der Kirche berufen,
überlaut von büreaukratischen Einfluß zu reden, die ganz das Zeug hat zum
schlimmsten geistlichen und geistigen Druck. Zuzugestehen ist, daß die weltliche
Behörde manchen Eingriff in Lehre und Kultus sich erlaubt hat, der von Un¬
kenntnis und Überhebung zeigte. Aber welche Macht ist in der Welt nicht
mißbraucht worden? Wohin dagegen ein unbeschränktes, vom Staate soviel als
möglich unabhängiges geistliches Regiment mit seinen Lehrbestimmnngcn und
Anordnungen führt, das hat die Entwicklung der mittelalterlichen Kirche bis
auf diesen Tag sattsam gezeigt. Diese unbedingte Freiheit der Kirche, anch nur
ihre Lehre zu bestimmen, ist zum Pandämonium geworden, aus welchem religiöse
Verfolgungswnt, Vernichtung aller Rechte, Zerstörung der Wohlfahrt einzelner
und ganzer Familien, Gemeinden und Völker hervorgegangen sind. Wenn die
Lehrfreiheit, die der Staat gewährt, mehr Gutes als Schlimmes in ihrem Ge¬
folge hat, weil sie die Fähigkeit in sich trägt, das Falsche, das sie vorbringt,
zu verbessern oder zu vernichten, so hat die Lehre der Kirche, wie die Geschichte
zeigt, immer den Charakter der Unfehlbarkeit beansprucht, der von vornherein
jede Berichtigung ausschließt. Alle Gräuel des finstersten Aberglaubens sind
noch immer wie Furien der Hölle aus der Freiheit der Kirchenlehre auf das
Menschengeschlecht losgestürzt. Mag darum auch bei der Beeinflussung der
Kirchenlehre durch den Staat manches geschehen sein, was ungehörige Bevor¬
mundung zu nennen ist, die Sache ist nie so schlimm gewesen, als die Ver¬
fechter einer gänzlichen Unabhängigkeit hinstellen, und lange nicht so schlimm,
als die Freiheit gewesen ist und wieder werden würde, die sie verfechten. Wenn,
um ein Beispiel aus einer nicht zu veralteten Vergangenheit zu nennen, eine
staatlich-kirchliche Behörde einen Geistlichen mit Belassung der Hälfte seines
Gehalts absetzte, weil er den Teufel auf der Kanzel zu lehren nicht aufhörte,
wie das zu Rohrs Zeit in Weimar geschehen ist, so hat kein Mensch davon


Grenzboten I. 1338. 17
Die Freiheit und Selbständigkeit der evangelisch-protestantischen Kirche.

Thätigkeit nach seiner Bestimmung zu beschaffen; er errichtet Kirchen und
Schulen, giebt den Amtsträgern ihren Unterhalt und ihren Rang, entfernt
sittlich Unwürdige, regelt die Vornahme des äußern Gottesdienstes, vermattet
das Kirchengut, bestimmt Visitationen und Zusammenkünfte der Geistlichen,
reinigt die Religion von falscher Lehre, Aberglaube und Götzendienst.

Besonders die letzte Bestimmung zeigt nun freilich, wie bei dieser Ver¬
fassung die Kirche an den Staat soweit hingegeben war, daß selbst die innere
Kirchenleitung, Predigt und Lehre, die Luther und die Reformatoren schlechter¬
dings von der xotesws Zlg-cM frei und unabhängig erhalten wollten, hier dem
Staate zufällt, und über solchen Rechtszustand haben in späterer Zeit noch
mehr als zur Zeit seiner Geltung Eiferer für die Selbständigkeit der Kirche
als über eine unerträgliche Juristenherrschaft geklagt, als über ein Erliegen
der Kirche unter fremder Willkür. Mehr denn je wurde von 1840 an auf
diese Abhängigkeit der Kirche als auf einen Zustand der Knechtschaft hinge¬
wiesen, und gerade heutzutage fühlt sich eine Partei in der Kirche berufen,
überlaut von büreaukratischen Einfluß zu reden, die ganz das Zeug hat zum
schlimmsten geistlichen und geistigen Druck. Zuzugestehen ist, daß die weltliche
Behörde manchen Eingriff in Lehre und Kultus sich erlaubt hat, der von Un¬
kenntnis und Überhebung zeigte. Aber welche Macht ist in der Welt nicht
mißbraucht worden? Wohin dagegen ein unbeschränktes, vom Staate soviel als
möglich unabhängiges geistliches Regiment mit seinen Lehrbestimmnngcn und
Anordnungen führt, das hat die Entwicklung der mittelalterlichen Kirche bis
auf diesen Tag sattsam gezeigt. Diese unbedingte Freiheit der Kirche, anch nur
ihre Lehre zu bestimmen, ist zum Pandämonium geworden, aus welchem religiöse
Verfolgungswnt, Vernichtung aller Rechte, Zerstörung der Wohlfahrt einzelner
und ganzer Familien, Gemeinden und Völker hervorgegangen sind. Wenn die
Lehrfreiheit, die der Staat gewährt, mehr Gutes als Schlimmes in ihrem Ge¬
folge hat, weil sie die Fähigkeit in sich trägt, das Falsche, das sie vorbringt,
zu verbessern oder zu vernichten, so hat die Lehre der Kirche, wie die Geschichte
zeigt, immer den Charakter der Unfehlbarkeit beansprucht, der von vornherein
jede Berichtigung ausschließt. Alle Gräuel des finstersten Aberglaubens sind
noch immer wie Furien der Hölle aus der Freiheit der Kirchenlehre auf das
Menschengeschlecht losgestürzt. Mag darum auch bei der Beeinflussung der
Kirchenlehre durch den Staat manches geschehen sein, was ungehörige Bevor¬
mundung zu nennen ist, die Sache ist nie so schlimm gewesen, als die Ver¬
fechter einer gänzlichen Unabhängigkeit hinstellen, und lange nicht so schlimm,
als die Freiheit gewesen ist und wieder werden würde, die sie verfechten. Wenn,
um ein Beispiel aus einer nicht zu veralteten Vergangenheit zu nennen, eine
staatlich-kirchliche Behörde einen Geistlichen mit Belassung der Hälfte seines
Gehalts absetzte, weil er den Teufel auf der Kanzel zu lehren nicht aufhörte,
wie das zu Rohrs Zeit in Weimar geschehen ist, so hat kein Mensch davon


Grenzboten I. 1338. 17
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[0137] Die Freiheit und Selbständigkeit der evangelisch-protestantischen Kirche. Thätigkeit nach seiner Bestimmung zu beschaffen; er errichtet Kirchen und Schulen, giebt den Amtsträgern ihren Unterhalt und ihren Rang, entfernt sittlich Unwürdige, regelt die Vornahme des äußern Gottesdienstes, vermattet das Kirchengut, bestimmt Visitationen und Zusammenkünfte der Geistlichen, reinigt die Religion von falscher Lehre, Aberglaube und Götzendienst. Besonders die letzte Bestimmung zeigt nun freilich, wie bei dieser Ver¬ fassung die Kirche an den Staat soweit hingegeben war, daß selbst die innere Kirchenleitung, Predigt und Lehre, die Luther und die Reformatoren schlechter¬ dings von der xotesws Zlg-cM frei und unabhängig erhalten wollten, hier dem Staate zufällt, und über solchen Rechtszustand haben in späterer Zeit noch mehr als zur Zeit seiner Geltung Eiferer für die Selbständigkeit der Kirche als über eine unerträgliche Juristenherrschaft geklagt, als über ein Erliegen der Kirche unter fremder Willkür. Mehr denn je wurde von 1840 an auf diese Abhängigkeit der Kirche als auf einen Zustand der Knechtschaft hinge¬ wiesen, und gerade heutzutage fühlt sich eine Partei in der Kirche berufen, überlaut von büreaukratischen Einfluß zu reden, die ganz das Zeug hat zum schlimmsten geistlichen und geistigen Druck. Zuzugestehen ist, daß die weltliche Behörde manchen Eingriff in Lehre und Kultus sich erlaubt hat, der von Un¬ kenntnis und Überhebung zeigte. Aber welche Macht ist in der Welt nicht mißbraucht worden? Wohin dagegen ein unbeschränktes, vom Staate soviel als möglich unabhängiges geistliches Regiment mit seinen Lehrbestimmnngcn und Anordnungen führt, das hat die Entwicklung der mittelalterlichen Kirche bis auf diesen Tag sattsam gezeigt. Diese unbedingte Freiheit der Kirche, anch nur ihre Lehre zu bestimmen, ist zum Pandämonium geworden, aus welchem religiöse Verfolgungswnt, Vernichtung aller Rechte, Zerstörung der Wohlfahrt einzelner und ganzer Familien, Gemeinden und Völker hervorgegangen sind. Wenn die Lehrfreiheit, die der Staat gewährt, mehr Gutes als Schlimmes in ihrem Ge¬ folge hat, weil sie die Fähigkeit in sich trägt, das Falsche, das sie vorbringt, zu verbessern oder zu vernichten, so hat die Lehre der Kirche, wie die Geschichte zeigt, immer den Charakter der Unfehlbarkeit beansprucht, der von vornherein jede Berichtigung ausschließt. Alle Gräuel des finstersten Aberglaubens sind noch immer wie Furien der Hölle aus der Freiheit der Kirchenlehre auf das Menschengeschlecht losgestürzt. Mag darum auch bei der Beeinflussung der Kirchenlehre durch den Staat manches geschehen sein, was ungehörige Bevor¬ mundung zu nennen ist, die Sache ist nie so schlimm gewesen, als die Ver¬ fechter einer gänzlichen Unabhängigkeit hinstellen, und lange nicht so schlimm, als die Freiheit gewesen ist und wieder werden würde, die sie verfechten. Wenn, um ein Beispiel aus einer nicht zu veralteten Vergangenheit zu nennen, eine staatlich-kirchliche Behörde einen Geistlichen mit Belassung der Hälfte seines Gehalts absetzte, weil er den Teufel auf der Kanzel zu lehren nicht aufhörte, wie das zu Rohrs Zeit in Weimar geschehen ist, so hat kein Mensch davon Grenzboten I. 1338. 17

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/137>, abgerufen am 28.09.2024.