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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Landwirtschaftliche Nöte.

schlechten Zeiten gefallen lassen. In den letzten Jahren ist indessen so furchtbar
aufgeräumt worden, selbst unter vergleichsweise sehr wohlhabenden Land¬
wirten, daß jedenfalls die Strafe für frühere gute Zeiten schon recht hart aus¬
gefallen ist.

In Verbindung mit dem Zusammenbruche so zahlreicher großer und mitt¬
lerer Betriebe steht noch ein Umstand, der, wo er vereinzelt vorkommt, nicht
schwer ins Gewicht fällt, bei massenhaftem Auftreten aber schon an und für sich
eiuen öffentlichen Notstand der schwersten Art darstellt. Der landwirtschaftliche
Betrieb ist ein solcher, der ohne Kapital überhaupt nicht möglich ist, und der
daher beim Zugrundegehen immer erst verschiedne Stufen durchläuft, ehe der
Zusammenbruch nicht länger zu verhindern und zu verbergen ist. Verfolgen
wir einmal die Vorgänge der Reihe nach, die sich hierbei nnter sonst normalen
Umständen abspielen werden. Zuerst verbraucht der zurückgehende Landwirt
natürlich seine Ersparnisse oder sonstigen Mittel. Man glaube nur, daß er dies
so gut wie immer thun wird, ehe er mit irgend etwas beginnt, was den Wert
oder die Verkäuflichkeit seines Gutes schmälern könnte; das liegt ja wiederum
so sehr in der Natur der ländlichen Verhältnisse begründet, daß hierzu keine
sittliche Eigenschaft, sondern nur die allergewöhnlichste Einsicht gehört. Dagegen
daß der Mann seine Baarmittel und Ersparnisse aufbraucht, wäre nun weiter
nichts zu sagen, und es wäre weiter kein Unglück, wenn nicht bei dieser Ge¬
legenheit gewöhnlich auch das Betriebskapital, dessen unsre meisten Landwirte
ohnehin zu wenig haben, ganz oder teilweise mit verschwände. Tritt nun
weitere Geldnot heran, so muß zuerst das Holz herhalten. Ist noch ein Wald
da, so wird er geschlagen; ist dies nicht der Fall, so wird ans Park, Garten,
von den Wegen ze. verkauft, was uoch von einigermaßen stattlichen und ent¬
behrlich scheinenden Bäumen da ist. Damit säugt schon die Verwüstung (De-
vastation) an. Buche es dabei, so würde sich immerhin der Schaden (wenn
auch nur langsam) wieder ersetzen lassen, aber es bleibt eben nicht dabei. Zu¬
nächst wird vielleicht nicht weiter selbstthätig verwüstet, sondern es wird nur
"gespart," d. h. die notwendigen Verbesserungen am Herrenhause und dann auch
an Ställen und Scheunen unterbleiben oder werden nur noch in notdürftigster
Weise ausgeführt. Noch einen Schritt weiter, so unterbleiben auch die nötigen
Zuchtvieh-Neuanschaffungen, endlich auch überhaupt die Neuanschaffungen oder
Einstellungen von Jungvieh; man muß eben sehen, wie lange man mit den
alten Kühen, Ochsen und Stieren auskommt, und das Jungvieh wird verkauft.
Auch dabei bleibt es nicht; der Verzweifelnde Besitzer sagt sich, daß er nicht
so viel Land brach liegen zu lassen und nicht so viel Land, auf dem allenfalls
auch Getreide wachsen könnte, zum Futterbau zu verwenden brauche. Statt
des jetzt schon fehlenden und, wie er recht gut weiß, von nun an noch mehr
zurückgehenden Viehdüngers kann er ja künstlichen Dünger kaufen. So ver¬
schlechtert sich sein Viehstand immer weiter, und sein Acker geht gleichfalls


Landwirtschaftliche Nöte.

schlechten Zeiten gefallen lassen. In den letzten Jahren ist indessen so furchtbar
aufgeräumt worden, selbst unter vergleichsweise sehr wohlhabenden Land¬
wirten, daß jedenfalls die Strafe für frühere gute Zeiten schon recht hart aus¬
gefallen ist.

In Verbindung mit dem Zusammenbruche so zahlreicher großer und mitt¬
lerer Betriebe steht noch ein Umstand, der, wo er vereinzelt vorkommt, nicht
schwer ins Gewicht fällt, bei massenhaftem Auftreten aber schon an und für sich
eiuen öffentlichen Notstand der schwersten Art darstellt. Der landwirtschaftliche
Betrieb ist ein solcher, der ohne Kapital überhaupt nicht möglich ist, und der
daher beim Zugrundegehen immer erst verschiedne Stufen durchläuft, ehe der
Zusammenbruch nicht länger zu verhindern und zu verbergen ist. Verfolgen
wir einmal die Vorgänge der Reihe nach, die sich hierbei nnter sonst normalen
Umständen abspielen werden. Zuerst verbraucht der zurückgehende Landwirt
natürlich seine Ersparnisse oder sonstigen Mittel. Man glaube nur, daß er dies
so gut wie immer thun wird, ehe er mit irgend etwas beginnt, was den Wert
oder die Verkäuflichkeit seines Gutes schmälern könnte; das liegt ja wiederum
so sehr in der Natur der ländlichen Verhältnisse begründet, daß hierzu keine
sittliche Eigenschaft, sondern nur die allergewöhnlichste Einsicht gehört. Dagegen
daß der Mann seine Baarmittel und Ersparnisse aufbraucht, wäre nun weiter
nichts zu sagen, und es wäre weiter kein Unglück, wenn nicht bei dieser Ge¬
legenheit gewöhnlich auch das Betriebskapital, dessen unsre meisten Landwirte
ohnehin zu wenig haben, ganz oder teilweise mit verschwände. Tritt nun
weitere Geldnot heran, so muß zuerst das Holz herhalten. Ist noch ein Wald
da, so wird er geschlagen; ist dies nicht der Fall, so wird ans Park, Garten,
von den Wegen ze. verkauft, was uoch von einigermaßen stattlichen und ent¬
behrlich scheinenden Bäumen da ist. Damit säugt schon die Verwüstung (De-
vastation) an. Buche es dabei, so würde sich immerhin der Schaden (wenn
auch nur langsam) wieder ersetzen lassen, aber es bleibt eben nicht dabei. Zu¬
nächst wird vielleicht nicht weiter selbstthätig verwüstet, sondern es wird nur
„gespart," d. h. die notwendigen Verbesserungen am Herrenhause und dann auch
an Ställen und Scheunen unterbleiben oder werden nur noch in notdürftigster
Weise ausgeführt. Noch einen Schritt weiter, so unterbleiben auch die nötigen
Zuchtvieh-Neuanschaffungen, endlich auch überhaupt die Neuanschaffungen oder
Einstellungen von Jungvieh; man muß eben sehen, wie lange man mit den
alten Kühen, Ochsen und Stieren auskommt, und das Jungvieh wird verkauft.
Auch dabei bleibt es nicht; der Verzweifelnde Besitzer sagt sich, daß er nicht
so viel Land brach liegen zu lassen und nicht so viel Land, auf dem allenfalls
auch Getreide wachsen könnte, zum Futterbau zu verwenden brauche. Statt
des jetzt schon fehlenden und, wie er recht gut weiß, von nun an noch mehr
zurückgehenden Viehdüngers kann er ja künstlichen Dünger kaufen. So ver¬
schlechtert sich sein Viehstand immer weiter, und sein Acker geht gleichfalls


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[0124] Landwirtschaftliche Nöte. schlechten Zeiten gefallen lassen. In den letzten Jahren ist indessen so furchtbar aufgeräumt worden, selbst unter vergleichsweise sehr wohlhabenden Land¬ wirten, daß jedenfalls die Strafe für frühere gute Zeiten schon recht hart aus¬ gefallen ist. In Verbindung mit dem Zusammenbruche so zahlreicher großer und mitt¬ lerer Betriebe steht noch ein Umstand, der, wo er vereinzelt vorkommt, nicht schwer ins Gewicht fällt, bei massenhaftem Auftreten aber schon an und für sich eiuen öffentlichen Notstand der schwersten Art darstellt. Der landwirtschaftliche Betrieb ist ein solcher, der ohne Kapital überhaupt nicht möglich ist, und der daher beim Zugrundegehen immer erst verschiedne Stufen durchläuft, ehe der Zusammenbruch nicht länger zu verhindern und zu verbergen ist. Verfolgen wir einmal die Vorgänge der Reihe nach, die sich hierbei nnter sonst normalen Umständen abspielen werden. Zuerst verbraucht der zurückgehende Landwirt natürlich seine Ersparnisse oder sonstigen Mittel. Man glaube nur, daß er dies so gut wie immer thun wird, ehe er mit irgend etwas beginnt, was den Wert oder die Verkäuflichkeit seines Gutes schmälern könnte; das liegt ja wiederum so sehr in der Natur der ländlichen Verhältnisse begründet, daß hierzu keine sittliche Eigenschaft, sondern nur die allergewöhnlichste Einsicht gehört. Dagegen daß der Mann seine Baarmittel und Ersparnisse aufbraucht, wäre nun weiter nichts zu sagen, und es wäre weiter kein Unglück, wenn nicht bei dieser Ge¬ legenheit gewöhnlich auch das Betriebskapital, dessen unsre meisten Landwirte ohnehin zu wenig haben, ganz oder teilweise mit verschwände. Tritt nun weitere Geldnot heran, so muß zuerst das Holz herhalten. Ist noch ein Wald da, so wird er geschlagen; ist dies nicht der Fall, so wird ans Park, Garten, von den Wegen ze. verkauft, was uoch von einigermaßen stattlichen und ent¬ behrlich scheinenden Bäumen da ist. Damit säugt schon die Verwüstung (De- vastation) an. Buche es dabei, so würde sich immerhin der Schaden (wenn auch nur langsam) wieder ersetzen lassen, aber es bleibt eben nicht dabei. Zu¬ nächst wird vielleicht nicht weiter selbstthätig verwüstet, sondern es wird nur „gespart," d. h. die notwendigen Verbesserungen am Herrenhause und dann auch an Ställen und Scheunen unterbleiben oder werden nur noch in notdürftigster Weise ausgeführt. Noch einen Schritt weiter, so unterbleiben auch die nötigen Zuchtvieh-Neuanschaffungen, endlich auch überhaupt die Neuanschaffungen oder Einstellungen von Jungvieh; man muß eben sehen, wie lange man mit den alten Kühen, Ochsen und Stieren auskommt, und das Jungvieh wird verkauft. Auch dabei bleibt es nicht; der Verzweifelnde Besitzer sagt sich, daß er nicht so viel Land brach liegen zu lassen und nicht so viel Land, auf dem allenfalls auch Getreide wachsen könnte, zum Futterbau zu verwenden brauche. Statt des jetzt schon fehlenden und, wie er recht gut weiß, von nun an noch mehr zurückgehenden Viehdüngers kann er ja künstlichen Dünger kaufen. So ver¬ schlechtert sich sein Viehstand immer weiter, und sein Acker geht gleichfalls

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/124>, abgerufen am 28.09.2024.