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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Landwirtschaftliche Nöte.

einer Besserung der ländlichen Verhältnisse könne man doch deshalb noch nicht
reden. Wo jedoch die Zahl der Versteigerungen thatsächlich auf viele Prozente
jährlich gestiegen war, da hat auch diese furchtbar pessimistische Anschauung
ihr Teil Berechtigung.

An und für sich ist es ja schwer oder unmöglich, die Grenze zwischen dem
"Notstände vieler Landwirte" und dem "Notstände der gesamten Landwirtschaft"
zu ziehen. Die Anschauung des Freihandels, daß, wer unter den einmal ob¬
waltenden Verhältnissen des Weltverkehrs nicht mehr bestehen könne, eben zu
Grunde gehen müsse, läßt sich ja niemals als gänzlich haltlos, sondern immer
nur als eine solche bezeichnen, die man praktisch nicht zu weit treiben dürfe, und ein
Beweis, daß dieser und jener Fall des Zngrundegehens nicht mehr ein Fall per¬
sönlicher, sondern ein Fall allgemeiner Not sei, läßt sich also niemals führen. Den¬
noch wird man sagen dürfen, daß das Gefühl aller wohlmeinenden, nicht allzu stark
voreingenommenen Leute sich unter den obwaltenden Umständen der Annahme
zuneigen wird, es bestehe wirklich ein allgemeiner, nicht auf Personen oder auch
auf Klassen von Personen sich beschränkender, sondern den ganzen Stand in sein
Bereich ziehender Notstand. Noch eine Wahrnehmung, die, so viel wir urteilen
können, heute allenthalben gemacht wird, spricht zu Gunsten dieser Annahme.
Man hat früher viel von "reichen Bauern" gesprochen, und der "reiche Pächter"
spielt in unsrer Dichtung und Romanlitteratur eine Rolle. Man zeige uns
aber einen Landwirt, der im letzten halben Menschenalter reich geworden ist!
Es wird wohl kühn gesagt werden können: Es giebt keinen. Damit vergleiche
man die in andern Bcrnfskreisen noch entschieden als Regel herrschenden Ver¬
hältnisse. Läßt ein Advokat, ein Arzt, auch ein Kaufmann sich in einem Orte
nieder, so sieht man es doch als selbstverständlich, mindestens als höchst wahr¬
scheinlich an, daß er nach einem halben Menschenalter ein wohlhabender Mann
geworden sei, und hat der Mann ein ansehnliches Vermögen oder Betriebs¬
kapital besessen, so kaun dies schon gar keinem Zweifel unterliegen. Die natürlich
nicht fehlenden Ausnahmen werden allermeist auf Rechnung eignen, gröblicher
Verschuldens zu setzen sein. Auch vergegenwärtige man sich, welches Geschrei
entstehen würde, wenn dies einmal über ganz Deutschland hinweg längere Zeit
nicht mehr der Fall wäre. Bei den Landwirten nun ist dies letztere, wie man
wohl sagen darf, eingetreten. Es giebt noch reiche Leute unter ihnen, gewiß,
auch solche, die ohne erhebliches eignes Vermögen durch Arbeit und Tüchtigkeit
reich geworden sind (wir kennen einen würdigen alten Herrn, der, allerdings
zugleich in einer amtlichen Stellung, mit sehr bescheidnen Vermögen in das
Land kam und infolge seiner Tüchtigkeit als Landwirt jedem seiner Söhne ein
stattliches Rittergut, jeder seiner Töchter aber ein großes Kapital geben konnte,
und doch noch ein schönes Vermögen hinterlassen wird), aber im allgemeinen
sind das tsmxi xassiM. Man mag nun wohl sagen, wenn die Landwirtschaft
früher glänzende Aussichten gehabt habe, so müsse sie sich auch die jetzigen


Landwirtschaftliche Nöte.

einer Besserung der ländlichen Verhältnisse könne man doch deshalb noch nicht
reden. Wo jedoch die Zahl der Versteigerungen thatsächlich auf viele Prozente
jährlich gestiegen war, da hat auch diese furchtbar pessimistische Anschauung
ihr Teil Berechtigung.

An und für sich ist es ja schwer oder unmöglich, die Grenze zwischen dem
„Notstände vieler Landwirte" und dem „Notstände der gesamten Landwirtschaft"
zu ziehen. Die Anschauung des Freihandels, daß, wer unter den einmal ob¬
waltenden Verhältnissen des Weltverkehrs nicht mehr bestehen könne, eben zu
Grunde gehen müsse, läßt sich ja niemals als gänzlich haltlos, sondern immer
nur als eine solche bezeichnen, die man praktisch nicht zu weit treiben dürfe, und ein
Beweis, daß dieser und jener Fall des Zngrundegehens nicht mehr ein Fall per¬
sönlicher, sondern ein Fall allgemeiner Not sei, läßt sich also niemals führen. Den¬
noch wird man sagen dürfen, daß das Gefühl aller wohlmeinenden, nicht allzu stark
voreingenommenen Leute sich unter den obwaltenden Umständen der Annahme
zuneigen wird, es bestehe wirklich ein allgemeiner, nicht auf Personen oder auch
auf Klassen von Personen sich beschränkender, sondern den ganzen Stand in sein
Bereich ziehender Notstand. Noch eine Wahrnehmung, die, so viel wir urteilen
können, heute allenthalben gemacht wird, spricht zu Gunsten dieser Annahme.
Man hat früher viel von „reichen Bauern" gesprochen, und der „reiche Pächter"
spielt in unsrer Dichtung und Romanlitteratur eine Rolle. Man zeige uns
aber einen Landwirt, der im letzten halben Menschenalter reich geworden ist!
Es wird wohl kühn gesagt werden können: Es giebt keinen. Damit vergleiche
man die in andern Bcrnfskreisen noch entschieden als Regel herrschenden Ver¬
hältnisse. Läßt ein Advokat, ein Arzt, auch ein Kaufmann sich in einem Orte
nieder, so sieht man es doch als selbstverständlich, mindestens als höchst wahr¬
scheinlich an, daß er nach einem halben Menschenalter ein wohlhabender Mann
geworden sei, und hat der Mann ein ansehnliches Vermögen oder Betriebs¬
kapital besessen, so kaun dies schon gar keinem Zweifel unterliegen. Die natürlich
nicht fehlenden Ausnahmen werden allermeist auf Rechnung eignen, gröblicher
Verschuldens zu setzen sein. Auch vergegenwärtige man sich, welches Geschrei
entstehen würde, wenn dies einmal über ganz Deutschland hinweg längere Zeit
nicht mehr der Fall wäre. Bei den Landwirten nun ist dies letztere, wie man
wohl sagen darf, eingetreten. Es giebt noch reiche Leute unter ihnen, gewiß,
auch solche, die ohne erhebliches eignes Vermögen durch Arbeit und Tüchtigkeit
reich geworden sind (wir kennen einen würdigen alten Herrn, der, allerdings
zugleich in einer amtlichen Stellung, mit sehr bescheidnen Vermögen in das
Land kam und infolge seiner Tüchtigkeit als Landwirt jedem seiner Söhne ein
stattliches Rittergut, jeder seiner Töchter aber ein großes Kapital geben konnte,
und doch noch ein schönes Vermögen hinterlassen wird), aber im allgemeinen
sind das tsmxi xassiM. Man mag nun wohl sagen, wenn die Landwirtschaft
früher glänzende Aussichten gehabt habe, so müsse sie sich auch die jetzigen


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[0123] Landwirtschaftliche Nöte. einer Besserung der ländlichen Verhältnisse könne man doch deshalb noch nicht reden. Wo jedoch die Zahl der Versteigerungen thatsächlich auf viele Prozente jährlich gestiegen war, da hat auch diese furchtbar pessimistische Anschauung ihr Teil Berechtigung. An und für sich ist es ja schwer oder unmöglich, die Grenze zwischen dem „Notstände vieler Landwirte" und dem „Notstände der gesamten Landwirtschaft" zu ziehen. Die Anschauung des Freihandels, daß, wer unter den einmal ob¬ waltenden Verhältnissen des Weltverkehrs nicht mehr bestehen könne, eben zu Grunde gehen müsse, läßt sich ja niemals als gänzlich haltlos, sondern immer nur als eine solche bezeichnen, die man praktisch nicht zu weit treiben dürfe, und ein Beweis, daß dieser und jener Fall des Zngrundegehens nicht mehr ein Fall per¬ sönlicher, sondern ein Fall allgemeiner Not sei, läßt sich also niemals führen. Den¬ noch wird man sagen dürfen, daß das Gefühl aller wohlmeinenden, nicht allzu stark voreingenommenen Leute sich unter den obwaltenden Umständen der Annahme zuneigen wird, es bestehe wirklich ein allgemeiner, nicht auf Personen oder auch auf Klassen von Personen sich beschränkender, sondern den ganzen Stand in sein Bereich ziehender Notstand. Noch eine Wahrnehmung, die, so viel wir urteilen können, heute allenthalben gemacht wird, spricht zu Gunsten dieser Annahme. Man hat früher viel von „reichen Bauern" gesprochen, und der „reiche Pächter" spielt in unsrer Dichtung und Romanlitteratur eine Rolle. Man zeige uns aber einen Landwirt, der im letzten halben Menschenalter reich geworden ist! Es wird wohl kühn gesagt werden können: Es giebt keinen. Damit vergleiche man die in andern Bcrnfskreisen noch entschieden als Regel herrschenden Ver¬ hältnisse. Läßt ein Advokat, ein Arzt, auch ein Kaufmann sich in einem Orte nieder, so sieht man es doch als selbstverständlich, mindestens als höchst wahr¬ scheinlich an, daß er nach einem halben Menschenalter ein wohlhabender Mann geworden sei, und hat der Mann ein ansehnliches Vermögen oder Betriebs¬ kapital besessen, so kaun dies schon gar keinem Zweifel unterliegen. Die natürlich nicht fehlenden Ausnahmen werden allermeist auf Rechnung eignen, gröblicher Verschuldens zu setzen sein. Auch vergegenwärtige man sich, welches Geschrei entstehen würde, wenn dies einmal über ganz Deutschland hinweg längere Zeit nicht mehr der Fall wäre. Bei den Landwirten nun ist dies letztere, wie man wohl sagen darf, eingetreten. Es giebt noch reiche Leute unter ihnen, gewiß, auch solche, die ohne erhebliches eignes Vermögen durch Arbeit und Tüchtigkeit reich geworden sind (wir kennen einen würdigen alten Herrn, der, allerdings zugleich in einer amtlichen Stellung, mit sehr bescheidnen Vermögen in das Land kam und infolge seiner Tüchtigkeit als Landwirt jedem seiner Söhne ein stattliches Rittergut, jeder seiner Töchter aber ein großes Kapital geben konnte, und doch noch ein schönes Vermögen hinterlassen wird), aber im allgemeinen sind das tsmxi xassiM. Man mag nun wohl sagen, wenn die Landwirtschaft früher glänzende Aussichten gehabt habe, so müsse sie sich auch die jetzigen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/123>, abgerufen am 28.09.2024.