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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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landwirtschaftliche Nöte.

Über "Notstand" stets eine zweischneidige Waffe, weil sie den Kredit und die
Verkäuflichkeit ländlicher Besitzungen herabdrückt. Da nun diese Wirkung den
Landwirten selbst schon in höchst empfindlicher Weise zum Bewußtsein gebracht
worden ist, so ist kaum anzunehmen, daß sie sich wiederholt ohne dringende
Veranlassung ins eigne Fleisch schneiden werden; und am wenigsten ist anzu¬
nehmen, daß dies in einer so allgemeinen, so unsere gesamten öffentlichen Ver¬
hältnisse beherrschenden Weise ohne Not geschehen würde, weil diese ganz
allgemein ertönende Versicherung von der Unrentabilitüt des Landwirtschafts¬
betriebes nicht etwa nur den Kredit erschweren und verteuern, sondern das
anlagesuchende Kapital überhaupt von dem ländlichen Besitze abwenden und
dadurch die schwersten Mißstände über ihn heraufbeschwören müßte, eine Folge,
der einsichtige Männer sich gewiß nicht anders als unter dem Antriebe einer
Art von Verzweiflung aussetzen werden. Fürs zweite sprechen die Thatsachen
doch zu laut. Wir meinen nicht etwa nur die erschreckend große Zahl der
Versteigerungen, die zwar im Vergleiche zum Ausgange des vorigen Jahr¬
zehnts etwas geringer geworden, immer aber noch groß, in manchen Landes¬
teilen wahrhaft beängstigend ist; sondern wir haben auch die Entwicklung der
Preisverhältnisse im Auge, die von jedem, auch von Nichtlandwirten, beobachtet
und auf die allgemeine Lage der Landwirtschaft angewendet werden kann.
Jedermann kann mit Händen greifen, daß der Preis aller landwirtschaftlichen
Produkte in fortwährendem Sinken ist, daß aber die Arbeitslöhne für ländliche
Arbeiter steigen und die Brauchbarkeit, vor allem auch die Zuverlässigkeit der
Leute trotzdem immer geringer wird, dabei die auf der Landwirtschaft ruhenden
Lasten mit einer Ausnahme (des Kapitalzinses) stetig zunehmen. Gewiß kommt
der mit diesen Belastungen verfolgte Zweck zum großen Teil, so bei Wege- und
Eisenbahnbauten, den Landwirten selbst wieder zu Gute, und auch wo sich
dies nicht so geradezu nachweisen läßt (wie bei den Ausgaben sür Schul- und
Armenwesen und bei den tausenderlei Ehrenämtern, die den Landwirten zuge¬
mutet werden), soll die Notwendigkeit aller dieser Aufwendungen an sich nicht
bestritten werden; aber wenn lauter Ausgabeerhöhungen in eine Zeit fallen,
welche anderseits lauter Einnahmeverminderungen sieht, so ändert alle Be¬
rechtigung der neu aufgelegten Lasten nichts daran, daß unzählige schwächere
Schultern sie nicht zu tragen vermögen und am Ende bei einer kleinen weiteren
Erhöhung zusammenbrechen. Daß dies^ thatsächlich in einer traurig großen
Menge von Fällen vorkommt, beweisen die Versteigeruugsverzeichnisse. Es
mag übertrieben sein, wenn ein nltramontcmes bairisches Blatt den Hinweis
darauf, daß die Zahl der Versteigerungen doch immerhin seit einigen Jahren
abgenommen habe, dahin beantwortet: El natürlich, zuletzt, wenn nämlich alle
ländlichen Besitzungen glücklich versteigert seien, werde diese Zahl für einige
Zeit auf Null gesunken sein, und schon vorher könne, wenn einmal Massen
der schwächsten Besitzer ausgekauft seien, eine Verminderung eintreten, aber von


landwirtschaftliche Nöte.

Über „Notstand" stets eine zweischneidige Waffe, weil sie den Kredit und die
Verkäuflichkeit ländlicher Besitzungen herabdrückt. Da nun diese Wirkung den
Landwirten selbst schon in höchst empfindlicher Weise zum Bewußtsein gebracht
worden ist, so ist kaum anzunehmen, daß sie sich wiederholt ohne dringende
Veranlassung ins eigne Fleisch schneiden werden; und am wenigsten ist anzu¬
nehmen, daß dies in einer so allgemeinen, so unsere gesamten öffentlichen Ver¬
hältnisse beherrschenden Weise ohne Not geschehen würde, weil diese ganz
allgemein ertönende Versicherung von der Unrentabilitüt des Landwirtschafts¬
betriebes nicht etwa nur den Kredit erschweren und verteuern, sondern das
anlagesuchende Kapital überhaupt von dem ländlichen Besitze abwenden und
dadurch die schwersten Mißstände über ihn heraufbeschwören müßte, eine Folge,
der einsichtige Männer sich gewiß nicht anders als unter dem Antriebe einer
Art von Verzweiflung aussetzen werden. Fürs zweite sprechen die Thatsachen
doch zu laut. Wir meinen nicht etwa nur die erschreckend große Zahl der
Versteigerungen, die zwar im Vergleiche zum Ausgange des vorigen Jahr¬
zehnts etwas geringer geworden, immer aber noch groß, in manchen Landes¬
teilen wahrhaft beängstigend ist; sondern wir haben auch die Entwicklung der
Preisverhältnisse im Auge, die von jedem, auch von Nichtlandwirten, beobachtet
und auf die allgemeine Lage der Landwirtschaft angewendet werden kann.
Jedermann kann mit Händen greifen, daß der Preis aller landwirtschaftlichen
Produkte in fortwährendem Sinken ist, daß aber die Arbeitslöhne für ländliche
Arbeiter steigen und die Brauchbarkeit, vor allem auch die Zuverlässigkeit der
Leute trotzdem immer geringer wird, dabei die auf der Landwirtschaft ruhenden
Lasten mit einer Ausnahme (des Kapitalzinses) stetig zunehmen. Gewiß kommt
der mit diesen Belastungen verfolgte Zweck zum großen Teil, so bei Wege- und
Eisenbahnbauten, den Landwirten selbst wieder zu Gute, und auch wo sich
dies nicht so geradezu nachweisen läßt (wie bei den Ausgaben sür Schul- und
Armenwesen und bei den tausenderlei Ehrenämtern, die den Landwirten zuge¬
mutet werden), soll die Notwendigkeit aller dieser Aufwendungen an sich nicht
bestritten werden; aber wenn lauter Ausgabeerhöhungen in eine Zeit fallen,
welche anderseits lauter Einnahmeverminderungen sieht, so ändert alle Be¬
rechtigung der neu aufgelegten Lasten nichts daran, daß unzählige schwächere
Schultern sie nicht zu tragen vermögen und am Ende bei einer kleinen weiteren
Erhöhung zusammenbrechen. Daß dies^ thatsächlich in einer traurig großen
Menge von Fällen vorkommt, beweisen die Versteigeruugsverzeichnisse. Es
mag übertrieben sein, wenn ein nltramontcmes bairisches Blatt den Hinweis
darauf, daß die Zahl der Versteigerungen doch immerhin seit einigen Jahren
abgenommen habe, dahin beantwortet: El natürlich, zuletzt, wenn nämlich alle
ländlichen Besitzungen glücklich versteigert seien, werde diese Zahl für einige
Zeit auf Null gesunken sein, und schon vorher könne, wenn einmal Massen
der schwächsten Besitzer ausgekauft seien, eine Verminderung eintreten, aber von


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[0122] landwirtschaftliche Nöte. Über „Notstand" stets eine zweischneidige Waffe, weil sie den Kredit und die Verkäuflichkeit ländlicher Besitzungen herabdrückt. Da nun diese Wirkung den Landwirten selbst schon in höchst empfindlicher Weise zum Bewußtsein gebracht worden ist, so ist kaum anzunehmen, daß sie sich wiederholt ohne dringende Veranlassung ins eigne Fleisch schneiden werden; und am wenigsten ist anzu¬ nehmen, daß dies in einer so allgemeinen, so unsere gesamten öffentlichen Ver¬ hältnisse beherrschenden Weise ohne Not geschehen würde, weil diese ganz allgemein ertönende Versicherung von der Unrentabilitüt des Landwirtschafts¬ betriebes nicht etwa nur den Kredit erschweren und verteuern, sondern das anlagesuchende Kapital überhaupt von dem ländlichen Besitze abwenden und dadurch die schwersten Mißstände über ihn heraufbeschwören müßte, eine Folge, der einsichtige Männer sich gewiß nicht anders als unter dem Antriebe einer Art von Verzweiflung aussetzen werden. Fürs zweite sprechen die Thatsachen doch zu laut. Wir meinen nicht etwa nur die erschreckend große Zahl der Versteigerungen, die zwar im Vergleiche zum Ausgange des vorigen Jahr¬ zehnts etwas geringer geworden, immer aber noch groß, in manchen Landes¬ teilen wahrhaft beängstigend ist; sondern wir haben auch die Entwicklung der Preisverhältnisse im Auge, die von jedem, auch von Nichtlandwirten, beobachtet und auf die allgemeine Lage der Landwirtschaft angewendet werden kann. Jedermann kann mit Händen greifen, daß der Preis aller landwirtschaftlichen Produkte in fortwährendem Sinken ist, daß aber die Arbeitslöhne für ländliche Arbeiter steigen und die Brauchbarkeit, vor allem auch die Zuverlässigkeit der Leute trotzdem immer geringer wird, dabei die auf der Landwirtschaft ruhenden Lasten mit einer Ausnahme (des Kapitalzinses) stetig zunehmen. Gewiß kommt der mit diesen Belastungen verfolgte Zweck zum großen Teil, so bei Wege- und Eisenbahnbauten, den Landwirten selbst wieder zu Gute, und auch wo sich dies nicht so geradezu nachweisen läßt (wie bei den Ausgaben sür Schul- und Armenwesen und bei den tausenderlei Ehrenämtern, die den Landwirten zuge¬ mutet werden), soll die Notwendigkeit aller dieser Aufwendungen an sich nicht bestritten werden; aber wenn lauter Ausgabeerhöhungen in eine Zeit fallen, welche anderseits lauter Einnahmeverminderungen sieht, so ändert alle Be¬ rechtigung der neu aufgelegten Lasten nichts daran, daß unzählige schwächere Schultern sie nicht zu tragen vermögen und am Ende bei einer kleinen weiteren Erhöhung zusammenbrechen. Daß dies^ thatsächlich in einer traurig großen Menge von Fällen vorkommt, beweisen die Versteigeruugsverzeichnisse. Es mag übertrieben sein, wenn ein nltramontcmes bairisches Blatt den Hinweis darauf, daß die Zahl der Versteigerungen doch immerhin seit einigen Jahren abgenommen habe, dahin beantwortet: El natürlich, zuletzt, wenn nämlich alle ländlichen Besitzungen glücklich versteigert seien, werde diese Zahl für einige Zeit auf Null gesunken sein, und schon vorher könne, wenn einmal Massen der schwächsten Besitzer ausgekauft seien, eine Verminderung eintreten, aber von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/122>, abgerufen am 28.09.2024.