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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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hat, war es selbstverständlich, daß er die Abfassung eines neuen Katalogs nur
unternehmen konnte, wenn ihm bei der Benennung der Bilder völlig freie Hand
gelassen wurde. Dies ist geschehen, und nur in wenigen Fällen, wo es not¬
wendig war, "allgemein bekannte und beliebte Bilder ihres bisherigen Meister¬
namens zu beraube" oder doch nur für Kopien oder Schülerarbeiten zu er¬
klären," hat Woermann den Schwächen des großen Publikums und namentlich
derjenigen Partei von Alt-Dresdnern, die sich um keinen Preis eine Perle aus
der Krone ihrer Galerie herausnehmen lassen wollen, auch wenn sie dafür eine
edlere eingetauscht erhalten, insofern einige Zugeständnisse gemacht, als er sich
begnügt hat, "der gegenwärtigen Überzeugung der Kunstwissenschaft im Texte
unter den Beschreibungen ^der Bildes Ausdruck zu leihen, diese selbst aber einst¬
weilen in einer Reihe mit denjenigen der echten Bilder der Meister, denen sie
bisher zugeschrieben waren, stehen zu lassen." So wird z. B. die Kopie der
Hvlbeinschen Madonna noch unter Holbein, die kleine büßende Magdalena unter
Correggio, die Danae mit dem Goldregen noch bei van Dyck aufgeführt, wenn
auch letztere schon in der Überschrift mit dem Zusätze "angeblich." In Bezug
auf das letztere Bild ist jedenfalls so viel sicher, daß es nichts mit van Dyck
zu thun hat. Es scheint vielmehr italienischen Ursprungs zu sein, während man
umgekehrt die kleine Magdalena für eine niederländische Kopie erklärt hat.
Woermann glaubt auch hier an eine italienische Kopie nach einem verloren ge¬
gangenen Original Correggios, was im übrigen für die Hauptfrage ohne Be¬
lang ist.

Einer sehr gründlichen kritischen Prüfung sind die Rubens zugeschriebenen
Werke unterzogen worden. Während der Hübnersche Katalog noch fünfund¬
dreißig Gemälde unter Rubens' Namen aufführt, beschränkt Woermann diese
Zahl schon in der äußerlichen Anordnung auf einunddreißig, und durch die
Erörterungen in den Anmerkungen werden noch weitere dreizehn als Werkstatts¬
bilder, Kopieen u. s. w. ausgeschieden, sodaß der eigentliche Besitzstand auf acht¬
zehn eigenhändige Bilder von Rubens zurückgeführt wird, die freilich fast durch¬
weg ersten Ranges sind.

Die Kritik würde nur ein halbes Werk thun, wenn sie nicht solchen und
andern Verlusten entsprechende Gewinne gegenüberzustellen wüßte. Wie im
vorigen Jahrhundert und früher, als die großen Bilderwandernngen von Italien
nach Deutschland und den Niederlanden und umgekehrt begannen, von Zwischen¬
händlern, Korrespondenten, Agenten und Leuten, die schlimmere Namen ver¬
dienen, Nachahmungen, Kopieen und schwache Bilder auf berühmte Namen
getauft wurden, so gerieten auch auf der andern Seite berühmte Namen in
Vergessenheit, welche die Kritik jetzt wieder ans Licht zu ziehen und damit
in die ihnen gebührenden Ehren wieder einzusetzen imstande ist. Hat die
Dresdner Galerie einen Correggio verloren, so hat sie dafür einen echten
Giorgione und damit einen beneidenswerten Vorzug vor allen übrigen Galerien


Grenzboten I. 1838. 13
ver neue Katalog der Dresdner Gemäldegalerie.

hat, war es selbstverständlich, daß er die Abfassung eines neuen Katalogs nur
unternehmen konnte, wenn ihm bei der Benennung der Bilder völlig freie Hand
gelassen wurde. Dies ist geschehen, und nur in wenigen Fällen, wo es not¬
wendig war, „allgemein bekannte und beliebte Bilder ihres bisherigen Meister¬
namens zu beraube» oder doch nur für Kopien oder Schülerarbeiten zu er¬
klären," hat Woermann den Schwächen des großen Publikums und namentlich
derjenigen Partei von Alt-Dresdnern, die sich um keinen Preis eine Perle aus
der Krone ihrer Galerie herausnehmen lassen wollen, auch wenn sie dafür eine
edlere eingetauscht erhalten, insofern einige Zugeständnisse gemacht, als er sich
begnügt hat, „der gegenwärtigen Überzeugung der Kunstwissenschaft im Texte
unter den Beschreibungen ^der Bildes Ausdruck zu leihen, diese selbst aber einst¬
weilen in einer Reihe mit denjenigen der echten Bilder der Meister, denen sie
bisher zugeschrieben waren, stehen zu lassen." So wird z. B. die Kopie der
Hvlbeinschen Madonna noch unter Holbein, die kleine büßende Magdalena unter
Correggio, die Danae mit dem Goldregen noch bei van Dyck aufgeführt, wenn
auch letztere schon in der Überschrift mit dem Zusätze „angeblich." In Bezug
auf das letztere Bild ist jedenfalls so viel sicher, daß es nichts mit van Dyck
zu thun hat. Es scheint vielmehr italienischen Ursprungs zu sein, während man
umgekehrt die kleine Magdalena für eine niederländische Kopie erklärt hat.
Woermann glaubt auch hier an eine italienische Kopie nach einem verloren ge¬
gangenen Original Correggios, was im übrigen für die Hauptfrage ohne Be¬
lang ist.

Einer sehr gründlichen kritischen Prüfung sind die Rubens zugeschriebenen
Werke unterzogen worden. Während der Hübnersche Katalog noch fünfund¬
dreißig Gemälde unter Rubens' Namen aufführt, beschränkt Woermann diese
Zahl schon in der äußerlichen Anordnung auf einunddreißig, und durch die
Erörterungen in den Anmerkungen werden noch weitere dreizehn als Werkstatts¬
bilder, Kopieen u. s. w. ausgeschieden, sodaß der eigentliche Besitzstand auf acht¬
zehn eigenhändige Bilder von Rubens zurückgeführt wird, die freilich fast durch¬
weg ersten Ranges sind.

Die Kritik würde nur ein halbes Werk thun, wenn sie nicht solchen und
andern Verlusten entsprechende Gewinne gegenüberzustellen wüßte. Wie im
vorigen Jahrhundert und früher, als die großen Bilderwandernngen von Italien
nach Deutschland und den Niederlanden und umgekehrt begannen, von Zwischen¬
händlern, Korrespondenten, Agenten und Leuten, die schlimmere Namen ver¬
dienen, Nachahmungen, Kopieen und schwache Bilder auf berühmte Namen
getauft wurden, so gerieten auch auf der andern Seite berühmte Namen in
Vergessenheit, welche die Kritik jetzt wieder ans Licht zu ziehen und damit
in die ihnen gebührenden Ehren wieder einzusetzen imstande ist. Hat die
Dresdner Galerie einen Correggio verloren, so hat sie dafür einen echten
Giorgione und damit einen beneidenswerten Vorzug vor allen übrigen Galerien


Grenzboten I. 1838. 13
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/105>, abgerufen am 28.09.2024.