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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Jugenderinnerungen.

Zur festgesetzten Stunde fanden wir uns pünktlich auf der Galerie des
sehr geräumigen Speisesaales ein, wo uns denn das Glück zu Teil wurde, die
Majestät inmitten der königlichen Familie das Mittagsmahl einnehmen zu sehen.
Daß ich sehr gerührt oder befriedigt worden sei von diesem Anblicke, kann ich
mich nicht erinnern, das brachten viel besser die Läufer zu stände, welche
abends in seltsamer Tracht dem königlichen Wagen mit Fackeln vorauslrefeu.
Diese sonderbare Sitte, die entschieden etwas den Menschen entwürdigendes
hatte, pflanzte sich auch noch auf Friedrich Augusts Nachfolger. König Anton,
fort. Später -- ich vermute mit Einführung der Konstitution - wurde ste
abgeschafft. Wie kindlich naiv vom Volke die barbarische Gewohnheit des
Königshauses, sich Läufer zu halten, aufgefaßt wurde, dürfte am besten durch
die Bemerkungen illustrirt werden, die im Volke über die Läufer von Mund
zu Mund gingen und allgemein geglaubt wurden. Man erzählte sich nämlich,
die zu königlichen Läufern bestimmten Leute würden eigens für dies Geschäft
zubereitet, indem man ihnen die Milz aus dem Leibe nähme, weil sie sonst an
Milzstechen sterben müßten. Kein Mensch bestritt, daß sich die genannten armen
Teufel einer so unnatürlichen Operation unterwerfen müßten, ich glaube viel¬
mehr, daß es im allgemeinen für eine Ehre gehalten wurde, so besondrer Aus¬
zeichnung würdig erachtet zu werden.




Kaum eine Viertelstunde von unserm Pfarrhofe entfernt lag der Schülcr-
busch, dessen ich schon gedacht habe. Es war dies ein hügliges, mit niedrigem
Buschwerk bewachsenes Terrain, das im Osten an Ackergclände grenzte, im Westen
aber ziemlich steil in ein fruchtbares Wiesenthal abfiel, welches die rauschende
Mauban in weitem Bogen durchfloß. Der höchste Punkt des Schülerbusches
gipfelte in einem steilen Hügel von geringem Umfange, der fast die Gestalt
eines Riescngrabes hatte. Dieser Hügel, das große Horn genannt, erhob steh
über einer steil zu Thal stürzenden Schieferwand, die an heißen Sommertagen
ein wahres Brutnest von grünlich schillernden Eidechsen und züngelnden Blind¬
schleichen war. Just am Rande dieser Felswand hielt der sagenhafte Doktor Horn
ab und zu seinen mittäglichen Spaziergang oder ließ sich, auf der schmalen
Kuppe des großen Hornes stehend, in der Sonne braten.

Im Schülerbusche gab es saftige Walderdbeeren die Menge und Haselnüsse
im Überflusse, und da die Besitzer desselben -- es waren zwei Bauern, von
denen der eine in dem nahen Pethau wohnte -- nur Wert auf Erhaltung des
Buschwerkes legten, so durften sich die Kinder des Dorfes Beeren und Nüsse
nach Belieben aneignen.

Bei schönem Wetter wurde der Schülerbusch von den Eltern, die wir stets
begleiteten, sehr oft besucht, und zwar vorzugsweise, um die unvergleichlich


Jugenderinnerungen.

Zur festgesetzten Stunde fanden wir uns pünktlich auf der Galerie des
sehr geräumigen Speisesaales ein, wo uns denn das Glück zu Teil wurde, die
Majestät inmitten der königlichen Familie das Mittagsmahl einnehmen zu sehen.
Daß ich sehr gerührt oder befriedigt worden sei von diesem Anblicke, kann ich
mich nicht erinnern, das brachten viel besser die Läufer zu stände, welche
abends in seltsamer Tracht dem königlichen Wagen mit Fackeln vorauslrefeu.
Diese sonderbare Sitte, die entschieden etwas den Menschen entwürdigendes
hatte, pflanzte sich auch noch auf Friedrich Augusts Nachfolger. König Anton,
fort. Später — ich vermute mit Einführung der Konstitution - wurde ste
abgeschafft. Wie kindlich naiv vom Volke die barbarische Gewohnheit des
Königshauses, sich Läufer zu halten, aufgefaßt wurde, dürfte am besten durch
die Bemerkungen illustrirt werden, die im Volke über die Läufer von Mund
zu Mund gingen und allgemein geglaubt wurden. Man erzählte sich nämlich,
die zu königlichen Läufern bestimmten Leute würden eigens für dies Geschäft
zubereitet, indem man ihnen die Milz aus dem Leibe nähme, weil sie sonst an
Milzstechen sterben müßten. Kein Mensch bestritt, daß sich die genannten armen
Teufel einer so unnatürlichen Operation unterwerfen müßten, ich glaube viel¬
mehr, daß es im allgemeinen für eine Ehre gehalten wurde, so besondrer Aus¬
zeichnung würdig erachtet zu werden.




Kaum eine Viertelstunde von unserm Pfarrhofe entfernt lag der Schülcr-
busch, dessen ich schon gedacht habe. Es war dies ein hügliges, mit niedrigem
Buschwerk bewachsenes Terrain, das im Osten an Ackergclände grenzte, im Westen
aber ziemlich steil in ein fruchtbares Wiesenthal abfiel, welches die rauschende
Mauban in weitem Bogen durchfloß. Der höchste Punkt des Schülerbusches
gipfelte in einem steilen Hügel von geringem Umfange, der fast die Gestalt
eines Riescngrabes hatte. Dieser Hügel, das große Horn genannt, erhob steh
über einer steil zu Thal stürzenden Schieferwand, die an heißen Sommertagen
ein wahres Brutnest von grünlich schillernden Eidechsen und züngelnden Blind¬
schleichen war. Just am Rande dieser Felswand hielt der sagenhafte Doktor Horn
ab und zu seinen mittäglichen Spaziergang oder ließ sich, auf der schmalen
Kuppe des großen Hornes stehend, in der Sonne braten.

Im Schülerbusche gab es saftige Walderdbeeren die Menge und Haselnüsse
im Überflusse, und da die Besitzer desselben — es waren zwei Bauern, von
denen der eine in dem nahen Pethau wohnte — nur Wert auf Erhaltung des
Buschwerkes legten, so durften sich die Kinder des Dorfes Beeren und Nüsse
nach Belieben aneignen.

Bei schönem Wetter wurde der Schülerbusch von den Eltern, die wir stets
begleiteten, sehr oft besucht, und zwar vorzugsweise, um die unvergleichlich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/99>, abgerufen am 17.09.2024.