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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Jugenderinnerungen.
von Lrnst Willkomm. sForts^tzung.)

u dieser Reise hatte sich der Vater einen Urlaub erwirkt, da
ihre Dauer doch nicht auf Tag und Stunde bemessen werden
konnte, wenn einiger Nutzen daraus geschöpft werden sollte.
In einer von der Nachbarschaft entliehenen Chaise -- wenn
ich nicht irre, gehörte sie einem reichen Fabrikanten -- brachen
wir früh am Tage auf und schlugen zunächst die Straße nach Böhmen ein.
Diese war nämlich, sobald man Rumburg und damit die "Kaiserstraße," wie
die große, nach Prag führende Chaussee hieß, erreicht hatte, besser als der ge¬
wöhnliche Weg, welchen alle Frachtsuhrleute mit ihren schwerbeladener acht-
und zehnspännigen Güterwagen benutzten; denn erst stellenweise hatte man
angefangen, sowohl zwischen Dresden und Bautzen wie zwischen dieser Stadt
und Zittau "makadamisirte" Straßen zu bauen. Dennoch brauchten wir einen
vollen Tag, um die reichliche Hälfte des langen Weges zurückzulegen, denn
wir gelangten erst gegen Abend nach dem Städtchen Neustadt am Hochwalde,
wo wir übernachteten. Hier nahm der Vater, weil unser bisheriger Fuhrmann
daheim nicht lauge entbehrt werden konnte und die Mitnahme des eignen Wagens
nach der Hauptstadt allzu große Kosten verursacht haben würde, Extrapost, die
uns am andern Tage gegen Mittag wohlbehalten nach Dresden brachte.

Von unserm Vetter, einem kleinen, feingekleideten Manne mit glattrasirten
Gesicht, wurden wir sehr freundlich empfangen und aufs beste untergebracht.
Wir hatten aus unserm Zimmer die schönste Aussicht auf die laubgrüner Linden,
welche dieser breiten Straße der Neustadt ihren Namen gaben, und hier stunden¬
lang am Fenster zu stehen und das bunte Treiben auf dieser großen Verkehrs¬
ader zu beobachten, das sich jeden Augenblick anders gestaltete, machte mir viel
Vergnügen. Im ganzen aber waren die übrigen Eindrücke und die Masse des


Grenzboten II. 1387. 12


Jugenderinnerungen.
von Lrnst Willkomm. sForts^tzung.)

u dieser Reise hatte sich der Vater einen Urlaub erwirkt, da
ihre Dauer doch nicht auf Tag und Stunde bemessen werden
konnte, wenn einiger Nutzen daraus geschöpft werden sollte.
In einer von der Nachbarschaft entliehenen Chaise — wenn
ich nicht irre, gehörte sie einem reichen Fabrikanten — brachen
wir früh am Tage auf und schlugen zunächst die Straße nach Böhmen ein.
Diese war nämlich, sobald man Rumburg und damit die „Kaiserstraße," wie
die große, nach Prag führende Chaussee hieß, erreicht hatte, besser als der ge¬
wöhnliche Weg, welchen alle Frachtsuhrleute mit ihren schwerbeladener acht-
und zehnspännigen Güterwagen benutzten; denn erst stellenweise hatte man
angefangen, sowohl zwischen Dresden und Bautzen wie zwischen dieser Stadt
und Zittau „makadamisirte" Straßen zu bauen. Dennoch brauchten wir einen
vollen Tag, um die reichliche Hälfte des langen Weges zurückzulegen, denn
wir gelangten erst gegen Abend nach dem Städtchen Neustadt am Hochwalde,
wo wir übernachteten. Hier nahm der Vater, weil unser bisheriger Fuhrmann
daheim nicht lauge entbehrt werden konnte und die Mitnahme des eignen Wagens
nach der Hauptstadt allzu große Kosten verursacht haben würde, Extrapost, die
uns am andern Tage gegen Mittag wohlbehalten nach Dresden brachte.

Von unserm Vetter, einem kleinen, feingekleideten Manne mit glattrasirten
Gesicht, wurden wir sehr freundlich empfangen und aufs beste untergebracht.
Wir hatten aus unserm Zimmer die schönste Aussicht auf die laubgrüner Linden,
welche dieser breiten Straße der Neustadt ihren Namen gaben, und hier stunden¬
lang am Fenster zu stehen und das bunte Treiben auf dieser großen Verkehrs¬
ader zu beobachten, das sich jeden Augenblick anders gestaltete, machte mir viel
Vergnügen. Im ganzen aber waren die übrigen Eindrücke und die Masse des


Grenzboten II. 1387. 12
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[0097] [Abbildung] Jugenderinnerungen. von Lrnst Willkomm. sForts^tzung.) u dieser Reise hatte sich der Vater einen Urlaub erwirkt, da ihre Dauer doch nicht auf Tag und Stunde bemessen werden konnte, wenn einiger Nutzen daraus geschöpft werden sollte. In einer von der Nachbarschaft entliehenen Chaise — wenn ich nicht irre, gehörte sie einem reichen Fabrikanten — brachen wir früh am Tage auf und schlugen zunächst die Straße nach Böhmen ein. Diese war nämlich, sobald man Rumburg und damit die „Kaiserstraße," wie die große, nach Prag führende Chaussee hieß, erreicht hatte, besser als der ge¬ wöhnliche Weg, welchen alle Frachtsuhrleute mit ihren schwerbeladener acht- und zehnspännigen Güterwagen benutzten; denn erst stellenweise hatte man angefangen, sowohl zwischen Dresden und Bautzen wie zwischen dieser Stadt und Zittau „makadamisirte" Straßen zu bauen. Dennoch brauchten wir einen vollen Tag, um die reichliche Hälfte des langen Weges zurückzulegen, denn wir gelangten erst gegen Abend nach dem Städtchen Neustadt am Hochwalde, wo wir übernachteten. Hier nahm der Vater, weil unser bisheriger Fuhrmann daheim nicht lauge entbehrt werden konnte und die Mitnahme des eignen Wagens nach der Hauptstadt allzu große Kosten verursacht haben würde, Extrapost, die uns am andern Tage gegen Mittag wohlbehalten nach Dresden brachte. Von unserm Vetter, einem kleinen, feingekleideten Manne mit glattrasirten Gesicht, wurden wir sehr freundlich empfangen und aufs beste untergebracht. Wir hatten aus unserm Zimmer die schönste Aussicht auf die laubgrüner Linden, welche dieser breiten Straße der Neustadt ihren Namen gaben, und hier stunden¬ lang am Fenster zu stehen und das bunte Treiben auf dieser großen Verkehrs¬ ader zu beobachten, das sich jeden Augenblick anders gestaltete, machte mir viel Vergnügen. Im ganzen aber waren die übrigen Eindrücke und die Masse des Grenzboten II. 1387. 12

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/97>, abgerufen am 17.09.2024.