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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Der Briefwechsel zwischen Goethe und Larlyle.

In Deutschland hatten wir schon vor sechzig Jahren das Beyspiel eines
glücklichen Gelingens der Art. Unser Gellert, welcher keine Ansprüche machte
ein Philosoph von Fach zu seyn, aber als ein grundgutcr, sittlicher und ver¬
ständiger Mann durchaus anerkannt werden mußte, las in Leipzig unter dem
größten Zulauf eine höchst reine, ruhige, verständige und verständliche Sitten¬
lehre mit großem Beyfall und mit dem besten Erfolg; sie war den Bedürf¬
nissen seiner Zeit gemäß und wurde erst spät durch den Druck bekannt.

Die Meynungen eines Philosophen greifen sehr oft nicht in die Zeit ein,
aber ein verständiger wohlwollender Mann, frey von vorgefaßten Begriffen,
umsichtig auf das was eben seiner Zeit Noth thut, wird von seinen Gefühlen,
Erfahrungen und Kenntnissen gerade dasjenige mittheilen was in der Epoche,
wo er auftritt, die Jugend sicher und folgerecht in das geschäftige und that¬
fordernde Leben hineinführt.

Weimar, den 14. März 1828.


I. W. v. Goethe."

Von hohem Werte ist auch manches Wort Goethes, welches die an Carlyle
regelmäßig nach Erscheinen übersandten Bände seines Briefwechsels mit Schiller
begleitete, z. V.: "Mögen sie I^diese Bärbel Ihnen als Zauberwagen zu Diensten
stehen, um sich in die damalige Zeit in unsre Mitte zu versetzen, wo es eine
unbedingte Strebsamkeit galt, wo niemand zu fordern dachte und nur zu ver¬
dienen bemüht war. Ich habe mir die vielen Jahre her den Sinn, das Gefühl
jener Tage zu erhalte" gesucht und hoffe, es soll mir fernerhin gelingen."
(13. April 1830.) Aus der ganzen Fülle von fesselnden Stellen verweisen wir
(denn diese Zeilen sollen ja doch nur einladen, das Buch selbst zur Hand zu
nehmen) auf die kurze Schilderung des Weimarer Lebens um 1830 aus Goethes
eigner Feder, welche den bekannten Brief Thackerays über das Leben und
Treiben in der Stadt des "guten Schiller und des großen Goethe" trefflich
erläutert, ferner auf die wertvollen Ansichten Goethes über die Perioden der
deutschen Literaturgeschichte, auf Goethes Worte über seinen "guten" Eckermann,
der von all seinen "Gesinnungen" und seiner "Denkweise" genau unterrichtet
sei, sodaß er, falls Goethen die "weitaussichtige" Arbeit der Gesamtausgabe seiner
Werke "zu vollenden nicht erlaubt seyn sollte," "kräftig eintreten" werde u. a. in.

Oft rührt uns das Bild Goethes, wie es aus diesen Zeilen fast leibhaftig
vor uns tritt. Man sieht mit Verehrung den Greis, wie er "an einem stillen
Abend" einen Brief diktirt, wie er verlegen, von Carlyles liebenswürdiger Fran
(die ihm von ihren rabenschwarzen Locken eine Gabe geschickt hat, wie sie diese
nur ihrem "geliebten" Goethe schicken könne!) um ein Gleiches gebeten, sich ver¬
geblich auf dem greisen Haupte uach "dieser Zier" umsieht und mit Humor
seine Unfähigkeit zu einer "genügenden Gegengift" entschuldigt. Man fühlt mit
den wenigen Worten Goethes nach seinem Blntsturze (25./26. November 1830)
beinahe selbst, wie sich frisches und frohes Leben wieder zu regen beginnt, und
ist aufs neue denkbar, daß dem Greise noch zwei für die ganze Weltgeschichte


Der Briefwechsel zwischen Goethe und Larlyle.

In Deutschland hatten wir schon vor sechzig Jahren das Beyspiel eines
glücklichen Gelingens der Art. Unser Gellert, welcher keine Ansprüche machte
ein Philosoph von Fach zu seyn, aber als ein grundgutcr, sittlicher und ver¬
ständiger Mann durchaus anerkannt werden mußte, las in Leipzig unter dem
größten Zulauf eine höchst reine, ruhige, verständige und verständliche Sitten¬
lehre mit großem Beyfall und mit dem besten Erfolg; sie war den Bedürf¬
nissen seiner Zeit gemäß und wurde erst spät durch den Druck bekannt.

Die Meynungen eines Philosophen greifen sehr oft nicht in die Zeit ein,
aber ein verständiger wohlwollender Mann, frey von vorgefaßten Begriffen,
umsichtig auf das was eben seiner Zeit Noth thut, wird von seinen Gefühlen,
Erfahrungen und Kenntnissen gerade dasjenige mittheilen was in der Epoche,
wo er auftritt, die Jugend sicher und folgerecht in das geschäftige und that¬
fordernde Leben hineinführt.

Weimar, den 14. März 1828.


I. W. v. Goethe."

Von hohem Werte ist auch manches Wort Goethes, welches die an Carlyle
regelmäßig nach Erscheinen übersandten Bände seines Briefwechsels mit Schiller
begleitete, z. V.: „Mögen sie I^diese Bärbel Ihnen als Zauberwagen zu Diensten
stehen, um sich in die damalige Zeit in unsre Mitte zu versetzen, wo es eine
unbedingte Strebsamkeit galt, wo niemand zu fordern dachte und nur zu ver¬
dienen bemüht war. Ich habe mir die vielen Jahre her den Sinn, das Gefühl
jener Tage zu erhalte» gesucht und hoffe, es soll mir fernerhin gelingen."
(13. April 1830.) Aus der ganzen Fülle von fesselnden Stellen verweisen wir
(denn diese Zeilen sollen ja doch nur einladen, das Buch selbst zur Hand zu
nehmen) auf die kurze Schilderung des Weimarer Lebens um 1830 aus Goethes
eigner Feder, welche den bekannten Brief Thackerays über das Leben und
Treiben in der Stadt des „guten Schiller und des großen Goethe" trefflich
erläutert, ferner auf die wertvollen Ansichten Goethes über die Perioden der
deutschen Literaturgeschichte, auf Goethes Worte über seinen „guten" Eckermann,
der von all seinen „Gesinnungen" und seiner „Denkweise" genau unterrichtet
sei, sodaß er, falls Goethen die „weitaussichtige" Arbeit der Gesamtausgabe seiner
Werke „zu vollenden nicht erlaubt seyn sollte," „kräftig eintreten" werde u. a. in.

Oft rührt uns das Bild Goethes, wie es aus diesen Zeilen fast leibhaftig
vor uns tritt. Man sieht mit Verehrung den Greis, wie er „an einem stillen
Abend" einen Brief diktirt, wie er verlegen, von Carlyles liebenswürdiger Fran
(die ihm von ihren rabenschwarzen Locken eine Gabe geschickt hat, wie sie diese
nur ihrem „geliebten" Goethe schicken könne!) um ein Gleiches gebeten, sich ver¬
geblich auf dem greisen Haupte uach „dieser Zier" umsieht und mit Humor
seine Unfähigkeit zu einer „genügenden Gegengift" entschuldigt. Man fühlt mit
den wenigen Worten Goethes nach seinem Blntsturze (25./26. November 1830)
beinahe selbst, wie sich frisches und frohes Leben wieder zu regen beginnt, und
ist aufs neue denkbar, daß dem Greise noch zwei für die ganze Weltgeschichte


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[0095] Der Briefwechsel zwischen Goethe und Larlyle. In Deutschland hatten wir schon vor sechzig Jahren das Beyspiel eines glücklichen Gelingens der Art. Unser Gellert, welcher keine Ansprüche machte ein Philosoph von Fach zu seyn, aber als ein grundgutcr, sittlicher und ver¬ ständiger Mann durchaus anerkannt werden mußte, las in Leipzig unter dem größten Zulauf eine höchst reine, ruhige, verständige und verständliche Sitten¬ lehre mit großem Beyfall und mit dem besten Erfolg; sie war den Bedürf¬ nissen seiner Zeit gemäß und wurde erst spät durch den Druck bekannt. Die Meynungen eines Philosophen greifen sehr oft nicht in die Zeit ein, aber ein verständiger wohlwollender Mann, frey von vorgefaßten Begriffen, umsichtig auf das was eben seiner Zeit Noth thut, wird von seinen Gefühlen, Erfahrungen und Kenntnissen gerade dasjenige mittheilen was in der Epoche, wo er auftritt, die Jugend sicher und folgerecht in das geschäftige und that¬ fordernde Leben hineinführt. Weimar, den 14. März 1828. I. W. v. Goethe." Von hohem Werte ist auch manches Wort Goethes, welches die an Carlyle regelmäßig nach Erscheinen übersandten Bände seines Briefwechsels mit Schiller begleitete, z. V.: „Mögen sie I^diese Bärbel Ihnen als Zauberwagen zu Diensten stehen, um sich in die damalige Zeit in unsre Mitte zu versetzen, wo es eine unbedingte Strebsamkeit galt, wo niemand zu fordern dachte und nur zu ver¬ dienen bemüht war. Ich habe mir die vielen Jahre her den Sinn, das Gefühl jener Tage zu erhalte» gesucht und hoffe, es soll mir fernerhin gelingen." (13. April 1830.) Aus der ganzen Fülle von fesselnden Stellen verweisen wir (denn diese Zeilen sollen ja doch nur einladen, das Buch selbst zur Hand zu nehmen) auf die kurze Schilderung des Weimarer Lebens um 1830 aus Goethes eigner Feder, welche den bekannten Brief Thackerays über das Leben und Treiben in der Stadt des „guten Schiller und des großen Goethe" trefflich erläutert, ferner auf die wertvollen Ansichten Goethes über die Perioden der deutschen Literaturgeschichte, auf Goethes Worte über seinen „guten" Eckermann, der von all seinen „Gesinnungen" und seiner „Denkweise" genau unterrichtet sei, sodaß er, falls Goethen die „weitaussichtige" Arbeit der Gesamtausgabe seiner Werke „zu vollenden nicht erlaubt seyn sollte," „kräftig eintreten" werde u. a. in. Oft rührt uns das Bild Goethes, wie es aus diesen Zeilen fast leibhaftig vor uns tritt. Man sieht mit Verehrung den Greis, wie er „an einem stillen Abend" einen Brief diktirt, wie er verlegen, von Carlyles liebenswürdiger Fran (die ihm von ihren rabenschwarzen Locken eine Gabe geschickt hat, wie sie diese nur ihrem „geliebten" Goethe schicken könne!) um ein Gleiches gebeten, sich ver¬ geblich auf dem greisen Haupte uach „dieser Zier" umsieht und mit Humor seine Unfähigkeit zu einer „genügenden Gegengift" entschuldigt. Man fühlt mit den wenigen Worten Goethes nach seinem Blntsturze (25./26. November 1830) beinahe selbst, wie sich frisches und frohes Leben wieder zu regen beginnt, und ist aufs neue denkbar, daß dem Greise noch zwei für die ganze Weltgeschichte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/95>, abgerufen am 17.09.2024.