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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Der Briefwechsel zwischen Goethe und Larlyle.

Segen half, sondern ihn auch bis an sein Lebensende (1881) erfüllte und treu
geleitete. Unter seinen letzten Worten, wird uns berichtet, wiederholte Carlyle aus
"seinem Psalm," dem Goethischen "Symbolum": "Wir heißen euch hoffen." Hoffnung
und Mut und Lehre hatte ihm Goethe auf die Dauer erst wieder gegeben, und so
sah er in Goethe mit Recht seinen Leitstern, seinen "einzigen wahren Wohlthäter."

Der eigentliche Briefwechsel mit Goethe setzt erst Jahre nach Abschluß
dieses Kampfes ein; wenn das Ende dieses Ringens (wie uns seine Tagebücher
berichten) in den Juni 1821 zu setzen ist, so fällt der erste kurze Brief an
Goethe in den Juni 1824. Er ist nur ein Begleitschreiben zu seiner englischen
Übersetzung von Wilhelm Meisters Lehrjahren und enthält die Worte: "Sieben
Jahre sind nun vergangen, daß ich Ihren Faust las auf den Bergen meiner
schottischen Heimat; da konnte ich denn nur träumen, daß ich Sie doch noch
eines Tages von Angesicht zu Angesicht sehen könnte und vor Ihnen wie vor
einem Vater beichten könnte die Leiden und Jrrgänge eines Herzens, dessen
ganze Geheimnisse Sie so ganz und gar verstanden und so herrlich dargestellt
hatten.. . Möge Ihr Leben noch lange, lange erhalten bleiben, zum Trost und
zur Belehrung dieses und kommender Geschlechter."

Mit diesem edeln und offnen Geständnis hatte sich der junge Fremdling
bei Goethe eingeführt und entschieden die Achtung des Greises errungen. Am
30. Oktober 1824, also jedenfalls zwei volle Monate,*) nachdem er Carlyles
Sendung erhalten hatte, antwortete Goethe: seine hohen Jahre "mit so vielen
unabwendbaren Obliegenheiten" hätten es verhindert, einen Vergleich der über¬
sandten Übersetzung mit dem Original eher vorzunehmen; er dankt für "so innige
Teilnahme" und bittet um Fortsetzung derselben sür die Zukunft: "Vielleicht
erfahre ich in der Folge noch manches von Ihnen und übersende zugleich mit
diesen eine Reihe von Gedichten, welche schwerlich zu Ihnen gekommen sind, von
denen ich aber hoffen darf, daß sie Ihnen einiges Interesse abgewinnen werden."

So schließt der erste Brief Goethes, der wie "eine Botschaft aus dem
Märchenlande" in Carlyles einsames Edinburghcr Stübchen kam. Carlyle schreibt
am 20. Dezember 1824 an seine Braut: "Ich konnte kaum glauben, daß dies
die wirkliche Hand- und Unterschrift jenes geheimnisvollen Wesens (inMsrlous
xsrsvQÄAs) war, dessen Name durch meine Träume geschwebt war seit meinen
ersten Jugendjahren; dessen Gedanken in reiferen Jahren zu mir gedrungen
waren mit der Gewalt einer Offenbarung! Und was sagt nun der Brief?
Liebenswürdige Kleinigkeiten ohne weiter große Bedeutung, aber in einem so
einfachen, patriarchalischen Stile, so ganz und gar in meinem Geschmack. . . .
Nur die letzte Zeile und der Name sind in Goethes eigner Hand, denn, wie ich
höre, benutzt er stets einen Schreiber."

Zwei Jahre kamen und gingen -- 182S und 1826 -- und Carlyle ließ



*) Goethes Brief vom 80. Oktober kam am 19. Dezember nach Edinburgh. Es ist
rsihrcnd, was Goethe dennoch von den "Schnellposten und Dampschiffm" rühmt!
Der Briefwechsel zwischen Goethe und Larlyle.

Segen half, sondern ihn auch bis an sein Lebensende (1881) erfüllte und treu
geleitete. Unter seinen letzten Worten, wird uns berichtet, wiederholte Carlyle aus
„seinem Psalm," dem Goethischen „Symbolum": „Wir heißen euch hoffen." Hoffnung
und Mut und Lehre hatte ihm Goethe auf die Dauer erst wieder gegeben, und so
sah er in Goethe mit Recht seinen Leitstern, seinen „einzigen wahren Wohlthäter."

Der eigentliche Briefwechsel mit Goethe setzt erst Jahre nach Abschluß
dieses Kampfes ein; wenn das Ende dieses Ringens (wie uns seine Tagebücher
berichten) in den Juni 1821 zu setzen ist, so fällt der erste kurze Brief an
Goethe in den Juni 1824. Er ist nur ein Begleitschreiben zu seiner englischen
Übersetzung von Wilhelm Meisters Lehrjahren und enthält die Worte: „Sieben
Jahre sind nun vergangen, daß ich Ihren Faust las auf den Bergen meiner
schottischen Heimat; da konnte ich denn nur träumen, daß ich Sie doch noch
eines Tages von Angesicht zu Angesicht sehen könnte und vor Ihnen wie vor
einem Vater beichten könnte die Leiden und Jrrgänge eines Herzens, dessen
ganze Geheimnisse Sie so ganz und gar verstanden und so herrlich dargestellt
hatten.. . Möge Ihr Leben noch lange, lange erhalten bleiben, zum Trost und
zur Belehrung dieses und kommender Geschlechter."

Mit diesem edeln und offnen Geständnis hatte sich der junge Fremdling
bei Goethe eingeführt und entschieden die Achtung des Greises errungen. Am
30. Oktober 1824, also jedenfalls zwei volle Monate,*) nachdem er Carlyles
Sendung erhalten hatte, antwortete Goethe: seine hohen Jahre „mit so vielen
unabwendbaren Obliegenheiten" hätten es verhindert, einen Vergleich der über¬
sandten Übersetzung mit dem Original eher vorzunehmen; er dankt für „so innige
Teilnahme" und bittet um Fortsetzung derselben sür die Zukunft: „Vielleicht
erfahre ich in der Folge noch manches von Ihnen und übersende zugleich mit
diesen eine Reihe von Gedichten, welche schwerlich zu Ihnen gekommen sind, von
denen ich aber hoffen darf, daß sie Ihnen einiges Interesse abgewinnen werden."

So schließt der erste Brief Goethes, der wie „eine Botschaft aus dem
Märchenlande" in Carlyles einsames Edinburghcr Stübchen kam. Carlyle schreibt
am 20. Dezember 1824 an seine Braut: „Ich konnte kaum glauben, daß dies
die wirkliche Hand- und Unterschrift jenes geheimnisvollen Wesens (inMsrlous
xsrsvQÄAs) war, dessen Name durch meine Träume geschwebt war seit meinen
ersten Jugendjahren; dessen Gedanken in reiferen Jahren zu mir gedrungen
waren mit der Gewalt einer Offenbarung! Und was sagt nun der Brief?
Liebenswürdige Kleinigkeiten ohne weiter große Bedeutung, aber in einem so
einfachen, patriarchalischen Stile, so ganz und gar in meinem Geschmack. . . .
Nur die letzte Zeile und der Name sind in Goethes eigner Hand, denn, wie ich
höre, benutzt er stets einen Schreiber."

Zwei Jahre kamen und gingen — 182S und 1826 — und Carlyle ließ



*) Goethes Brief vom 80. Oktober kam am 19. Dezember nach Edinburgh. Es ist
rsihrcnd, was Goethe dennoch von den „Schnellposten und Dampschiffm" rühmt!
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[0092] Der Briefwechsel zwischen Goethe und Larlyle. Segen half, sondern ihn auch bis an sein Lebensende (1881) erfüllte und treu geleitete. Unter seinen letzten Worten, wird uns berichtet, wiederholte Carlyle aus „seinem Psalm," dem Goethischen „Symbolum": „Wir heißen euch hoffen." Hoffnung und Mut und Lehre hatte ihm Goethe auf die Dauer erst wieder gegeben, und so sah er in Goethe mit Recht seinen Leitstern, seinen „einzigen wahren Wohlthäter." Der eigentliche Briefwechsel mit Goethe setzt erst Jahre nach Abschluß dieses Kampfes ein; wenn das Ende dieses Ringens (wie uns seine Tagebücher berichten) in den Juni 1821 zu setzen ist, so fällt der erste kurze Brief an Goethe in den Juni 1824. Er ist nur ein Begleitschreiben zu seiner englischen Übersetzung von Wilhelm Meisters Lehrjahren und enthält die Worte: „Sieben Jahre sind nun vergangen, daß ich Ihren Faust las auf den Bergen meiner schottischen Heimat; da konnte ich denn nur träumen, daß ich Sie doch noch eines Tages von Angesicht zu Angesicht sehen könnte und vor Ihnen wie vor einem Vater beichten könnte die Leiden und Jrrgänge eines Herzens, dessen ganze Geheimnisse Sie so ganz und gar verstanden und so herrlich dargestellt hatten.. . Möge Ihr Leben noch lange, lange erhalten bleiben, zum Trost und zur Belehrung dieses und kommender Geschlechter." Mit diesem edeln und offnen Geständnis hatte sich der junge Fremdling bei Goethe eingeführt und entschieden die Achtung des Greises errungen. Am 30. Oktober 1824, also jedenfalls zwei volle Monate,*) nachdem er Carlyles Sendung erhalten hatte, antwortete Goethe: seine hohen Jahre „mit so vielen unabwendbaren Obliegenheiten" hätten es verhindert, einen Vergleich der über¬ sandten Übersetzung mit dem Original eher vorzunehmen; er dankt für „so innige Teilnahme" und bittet um Fortsetzung derselben sür die Zukunft: „Vielleicht erfahre ich in der Folge noch manches von Ihnen und übersende zugleich mit diesen eine Reihe von Gedichten, welche schwerlich zu Ihnen gekommen sind, von denen ich aber hoffen darf, daß sie Ihnen einiges Interesse abgewinnen werden." So schließt der erste Brief Goethes, der wie „eine Botschaft aus dem Märchenlande" in Carlyles einsames Edinburghcr Stübchen kam. Carlyle schreibt am 20. Dezember 1824 an seine Braut: „Ich konnte kaum glauben, daß dies die wirkliche Hand- und Unterschrift jenes geheimnisvollen Wesens (inMsrlous xsrsvQÄAs) war, dessen Name durch meine Träume geschwebt war seit meinen ersten Jugendjahren; dessen Gedanken in reiferen Jahren zu mir gedrungen waren mit der Gewalt einer Offenbarung! Und was sagt nun der Brief? Liebenswürdige Kleinigkeiten ohne weiter große Bedeutung, aber in einem so einfachen, patriarchalischen Stile, so ganz und gar in meinem Geschmack. . . . Nur die letzte Zeile und der Name sind in Goethes eigner Hand, denn, wie ich höre, benutzt er stets einen Schreiber." Zwei Jahre kamen und gingen — 182S und 1826 — und Carlyle ließ *) Goethes Brief vom 80. Oktober kam am 19. Dezember nach Edinburgh. Es ist rsihrcnd, was Goethe dennoch von den „Schnellposten und Dampschiffm" rühmt!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/92>, abgerufen am 17.09.2024.