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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Die Gegner des deutschen Sprachvereins.

dem ökonomischen." Damit meint er die Mischung, das Mischverhältnis zweier
Arten von Lohn -- beispielsweise des Gcldlohns und der Dankbarkeit der Mit¬
bürger bei einem öffentlichen Amte. Das Wort Kombination für sich allein
enthält nichts von einem wissenschaftlichen Zwecke; es wird nnr von Leuten
der Wissenschaft viel gebraucht, daher wohl die eingebildete Nebenbedeutung.
Grimm führt zwei Aussprüche Leopold von Rankes an, um die Unentbehrlich-
keit der darin enthaltenen Fremdwörter zu beweisen. "Es sei mir erlaubt
-- sagt Ranke --, dem Überblick eine kurze Notiz über Regionen und Völker
hinzuzufügen, auf welche unser Blick noch nicht gerichtet war." Und: "Nichts
ist für den Einfluß des Geistes auf das allgemeine, selbst das leibliche Alter
wichtiger, als die Gedanken in Studien, die zugleich produktiv und regenerativ
sein müssen, zu fixiren." Hierzu fragt Grimm: "Warum sagt Ranke Notiz?
Weil er das Wort nicht im Sinne des französischen notioe, sondern im Sinne
des lateinischen iiotitia anwendet." Er will dies aus dem Zusätze "kurz"
folgern; denn, sagt er, eine Notiz im Sinne von notios sei schon an sich kurz,
dann hätte es des Zusatzes nicht bedurft. Nun gäbe es ja, sage ich, allen¬
falls einen Sinn, wenn man notitig. mit "Wahrnehmung" übersetzte. Aber
dann paßt "kurz" gerade nicht dazu, denn nicht die Wahrnehmung, sondern
die Wiedergabe soll kurz sein. Ranke will eben eine kurze Bemerkung anfügen.
Beim zweiten Ausspruche dieses Schriftstellers fragt Grimm bewundernd: "Warum
sagt Ranke fixiren?" Meines Trachtens konnte unser Gegner kein besseres Bei¬
spiel wählen, wenn er hätte beweisen wollen, wie verwerflich solche viel¬
deutige Fremdwörter sind. Will Ranke sagen: die Gedanken in Studien (d. i.
in geordnete Geistesarbeit) bannen, oder: den Gedanken in (dnrch) Studien eine
feste Gestalt geben? Oder ein drittes?

Ebenso ergeht es den Gegnern Gildemeister und Rümelin. Sie schreiben
Prinzip, meinen aber bald Grundsatz, bald einfach Satz, etwa im Sinne von
Lehrsatz oder Vernunftsatz. Sie schreiben Nüance und meinen bald Schattirung,
bald Färbung, bald Abstufung, bald einfach Unterscheidung. Grimm rühmt,
daß Schiller sich des Wortes "Terrain" bedient, wenn er an Goethe schreibt:
"Das Terrain würde lichter und reiner, das Kleine verschwände, für das Große
würde Platz." Grimm meint, unter Terrain sei ein Stück Land oder Feld zu
verstehen, auf dem gebaut oder manövrirt wird. Wir nennen das zu Deutsch
Plan oder Feld. Der Plan wird lichter, das Feld wird reiner. Heute würde
Schiller nicht Terrain schreiben.

Meist ist nicht Geistesschärfe, sondern Bequemlichkeit, Gewohnheit, Mangel
an Überlegung der Grund für die Wahl eines jener Fremdwörter. Gildemeister
sagt (S. 95): "Wenn ein guter Schriftsteller ein Fremdwort vorzieht, so hat
er gewiß einen guten Grund dafür; er findet, daß es seinen Gedanken am
klarsten ausdrückt, daß es Ideenreihen mitvibrircn läßt, von denen er wünscht,
daß sie gerade mitvibrircn sollen." Eine "vibrircnde Idee" beleidigt nun nicht


Die Gegner des deutschen Sprachvereins.

dem ökonomischen." Damit meint er die Mischung, das Mischverhältnis zweier
Arten von Lohn — beispielsweise des Gcldlohns und der Dankbarkeit der Mit¬
bürger bei einem öffentlichen Amte. Das Wort Kombination für sich allein
enthält nichts von einem wissenschaftlichen Zwecke; es wird nnr von Leuten
der Wissenschaft viel gebraucht, daher wohl die eingebildete Nebenbedeutung.
Grimm führt zwei Aussprüche Leopold von Rankes an, um die Unentbehrlich-
keit der darin enthaltenen Fremdwörter zu beweisen. „Es sei mir erlaubt
— sagt Ranke —, dem Überblick eine kurze Notiz über Regionen und Völker
hinzuzufügen, auf welche unser Blick noch nicht gerichtet war." Und: „Nichts
ist für den Einfluß des Geistes auf das allgemeine, selbst das leibliche Alter
wichtiger, als die Gedanken in Studien, die zugleich produktiv und regenerativ
sein müssen, zu fixiren." Hierzu fragt Grimm: „Warum sagt Ranke Notiz?
Weil er das Wort nicht im Sinne des französischen notioe, sondern im Sinne
des lateinischen iiotitia anwendet." Er will dies aus dem Zusätze „kurz"
folgern; denn, sagt er, eine Notiz im Sinne von notios sei schon an sich kurz,
dann hätte es des Zusatzes nicht bedurft. Nun gäbe es ja, sage ich, allen¬
falls einen Sinn, wenn man notitig. mit „Wahrnehmung" übersetzte. Aber
dann paßt „kurz" gerade nicht dazu, denn nicht die Wahrnehmung, sondern
die Wiedergabe soll kurz sein. Ranke will eben eine kurze Bemerkung anfügen.
Beim zweiten Ausspruche dieses Schriftstellers fragt Grimm bewundernd: „Warum
sagt Ranke fixiren?" Meines Trachtens konnte unser Gegner kein besseres Bei¬
spiel wählen, wenn er hätte beweisen wollen, wie verwerflich solche viel¬
deutige Fremdwörter sind. Will Ranke sagen: die Gedanken in Studien (d. i.
in geordnete Geistesarbeit) bannen, oder: den Gedanken in (dnrch) Studien eine
feste Gestalt geben? Oder ein drittes?

Ebenso ergeht es den Gegnern Gildemeister und Rümelin. Sie schreiben
Prinzip, meinen aber bald Grundsatz, bald einfach Satz, etwa im Sinne von
Lehrsatz oder Vernunftsatz. Sie schreiben Nüance und meinen bald Schattirung,
bald Färbung, bald Abstufung, bald einfach Unterscheidung. Grimm rühmt,
daß Schiller sich des Wortes „Terrain" bedient, wenn er an Goethe schreibt:
„Das Terrain würde lichter und reiner, das Kleine verschwände, für das Große
würde Platz." Grimm meint, unter Terrain sei ein Stück Land oder Feld zu
verstehen, auf dem gebaut oder manövrirt wird. Wir nennen das zu Deutsch
Plan oder Feld. Der Plan wird lichter, das Feld wird reiner. Heute würde
Schiller nicht Terrain schreiben.

Meist ist nicht Geistesschärfe, sondern Bequemlichkeit, Gewohnheit, Mangel
an Überlegung der Grund für die Wahl eines jener Fremdwörter. Gildemeister
sagt (S. 95): „Wenn ein guter Schriftsteller ein Fremdwort vorzieht, so hat
er gewiß einen guten Grund dafür; er findet, daß es seinen Gedanken am
klarsten ausdrückt, daß es Ideenreihen mitvibrircn läßt, von denen er wünscht,
daß sie gerade mitvibrircn sollen." Eine „vibrircnde Idee" beleidigt nun nicht


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[0086] Die Gegner des deutschen Sprachvereins. dem ökonomischen." Damit meint er die Mischung, das Mischverhältnis zweier Arten von Lohn — beispielsweise des Gcldlohns und der Dankbarkeit der Mit¬ bürger bei einem öffentlichen Amte. Das Wort Kombination für sich allein enthält nichts von einem wissenschaftlichen Zwecke; es wird nnr von Leuten der Wissenschaft viel gebraucht, daher wohl die eingebildete Nebenbedeutung. Grimm führt zwei Aussprüche Leopold von Rankes an, um die Unentbehrlich- keit der darin enthaltenen Fremdwörter zu beweisen. „Es sei mir erlaubt — sagt Ranke —, dem Überblick eine kurze Notiz über Regionen und Völker hinzuzufügen, auf welche unser Blick noch nicht gerichtet war." Und: „Nichts ist für den Einfluß des Geistes auf das allgemeine, selbst das leibliche Alter wichtiger, als die Gedanken in Studien, die zugleich produktiv und regenerativ sein müssen, zu fixiren." Hierzu fragt Grimm: „Warum sagt Ranke Notiz? Weil er das Wort nicht im Sinne des französischen notioe, sondern im Sinne des lateinischen iiotitia anwendet." Er will dies aus dem Zusätze „kurz" folgern; denn, sagt er, eine Notiz im Sinne von notios sei schon an sich kurz, dann hätte es des Zusatzes nicht bedurft. Nun gäbe es ja, sage ich, allen¬ falls einen Sinn, wenn man notitig. mit „Wahrnehmung" übersetzte. Aber dann paßt „kurz" gerade nicht dazu, denn nicht die Wahrnehmung, sondern die Wiedergabe soll kurz sein. Ranke will eben eine kurze Bemerkung anfügen. Beim zweiten Ausspruche dieses Schriftstellers fragt Grimm bewundernd: „Warum sagt Ranke fixiren?" Meines Trachtens konnte unser Gegner kein besseres Bei¬ spiel wählen, wenn er hätte beweisen wollen, wie verwerflich solche viel¬ deutige Fremdwörter sind. Will Ranke sagen: die Gedanken in Studien (d. i. in geordnete Geistesarbeit) bannen, oder: den Gedanken in (dnrch) Studien eine feste Gestalt geben? Oder ein drittes? Ebenso ergeht es den Gegnern Gildemeister und Rümelin. Sie schreiben Prinzip, meinen aber bald Grundsatz, bald einfach Satz, etwa im Sinne von Lehrsatz oder Vernunftsatz. Sie schreiben Nüance und meinen bald Schattirung, bald Färbung, bald Abstufung, bald einfach Unterscheidung. Grimm rühmt, daß Schiller sich des Wortes „Terrain" bedient, wenn er an Goethe schreibt: „Das Terrain würde lichter und reiner, das Kleine verschwände, für das Große würde Platz." Grimm meint, unter Terrain sei ein Stück Land oder Feld zu verstehen, auf dem gebaut oder manövrirt wird. Wir nennen das zu Deutsch Plan oder Feld. Der Plan wird lichter, das Feld wird reiner. Heute würde Schiller nicht Terrain schreiben. Meist ist nicht Geistesschärfe, sondern Bequemlichkeit, Gewohnheit, Mangel an Überlegung der Grund für die Wahl eines jener Fremdwörter. Gildemeister sagt (S. 95): „Wenn ein guter Schriftsteller ein Fremdwort vorzieht, so hat er gewiß einen guten Grund dafür; er findet, daß es seinen Gedanken am klarsten ausdrückt, daß es Ideenreihen mitvibrircn läßt, von denen er wünscht, daß sie gerade mitvibrircn sollen." Eine „vibrircnde Idee" beleidigt nun nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/86>, abgerufen am 17.09.2024.