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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Die Gegner des deutschen Sprachvereins.

Kriminalrichtcr verbannt zu sehen, obgleich sie garnicht mehr darin enthalten
sind. Die Reichsjustizgesetzgcbung hat mit Geschick das entbehrliche Fremd¬
ländische ausgeschieden. In zahllosen Behörden, Gewerken, Körperschaften wird
der Zopf abgeschnitten. Der deutsche Buchhändler räumt auf, der Gastwirt
folgt, die Börse ermannt sich. Die kaufmännischen Vereine allerwärts lassen
sich Vorträge kundiger Männer halten, beseelt von dem Wunsche, Abhilfe aufihrem Gebiete zu schaffen. Was aber die Hauptsache ist: die Lehrerschaft der
Mittel- und Volksschulen ist im großen und ganzen für die Sache gewonnen.
Das heute heranreifende Geschlecht wird die Grimm und Rttmeliu nicht mehr
verstehen. Sehen denn jene Männer das Wachsen und Werden nicht?

Gildemeister glaubt ein übriges zu thun, wenn er uns (S. 106) zuruft:
..Man lasse stehen, was zu tief gewurzelt ist. aber man beseitige, was ohne
Kampf fallen würde." Was heißt das? Sollen wir den Sturmbock gegen
eine Bresche richten, eine Leiche töten? Soll ein Schaden geschont werden, weil
er tief eingewurzelt ist? Gerade Gildemeister muß bekämpft werden, weil er
scheinbar bis an die Grenzen der zulässigen Änderung geht, dadurch aber die
Lauer in ihrer Lauheit erhält, die Kämpfenden stutzig macht.

Es ist die Vaterlandsliebe, die Liebe und Treue zur Muttersprache, welche
uns reden und kämpfen heißt. Solcher Strom reißt alle künstlichen Dämme ein.

Ich wende mich zu den hauptsächlichsten Angriffspunkten oder besser: Ver-
tcidigungsmittcln unsrer Gegner.

Was ich zuletzt erwähnte -- daß der Sprachverein seine Sache als eine
nationale betrachtet --. das erregt in erster Reihe den Zorn der Anhänger des
Fremdwortes. Ist sie es denn aber nicht? Ist nicht die heimische Sprache
eines der köstlichsten nationalen Güter eines Volkes? Haben denn Mutter¬
sprache, Mutterland keine Bedeutung? Ist die Sprache, in der der Deutsche
schlafend und wachend träumt, ein Etwas, das ihm ein andrer "nach Be¬
dürfnis" verändern und verunstalten darf? Haben wir nicht Beispiele erlebt,
daß Deutsche, die dem Vaterlande grollend den Rücken gewendet hatten, dnrch
den Latte der Muttersprache in so namenloses Heimweh versetzt wurden, daß sie
alles im Stiche ließen, um nur wieder da zu leben, wo die teure Sprache ge¬
redet wird? Das ist aber nicht die Sprache, die ein Grimm oder ein Rümelin
sprechen. Wenn, wie Gildemeister zugiebt. eine Unzahl von Fremdwörtern in
unsre Sprache aufgenommen wurden, obschon wir ihrer nicht bedurften, so war
dies nicht, wie es Grimm beschönigend nennt, Ausfluß des Strebens nach
Universalität, sondern es war, wie es Arndt nennt. Ausländerei; es war un¬
patriotisch. Dann aber ist es einfach ein Gebot des Patriotismus, wieder auf¬
zuräumen. Hatten unsre Voreltern das Bedürfnis, Fremde und Fremdes bei
sich herrsche/zu lassen, so haben wir den Wunsch, selbst Herr im Hause zu
sein. Unsre Gegner fühlen sich, wie sie sagen, in ihrem Vatcrlandsgefühle nicht
verletzt, "wenn unsre Pappschachteletikettcn mit fremdländischen Bezeichnungen


Die Gegner des deutschen Sprachvereins.

Kriminalrichtcr verbannt zu sehen, obgleich sie garnicht mehr darin enthalten
sind. Die Reichsjustizgesetzgcbung hat mit Geschick das entbehrliche Fremd¬
ländische ausgeschieden. In zahllosen Behörden, Gewerken, Körperschaften wird
der Zopf abgeschnitten. Der deutsche Buchhändler räumt auf, der Gastwirt
folgt, die Börse ermannt sich. Die kaufmännischen Vereine allerwärts lassen
sich Vorträge kundiger Männer halten, beseelt von dem Wunsche, Abhilfe aufihrem Gebiete zu schaffen. Was aber die Hauptsache ist: die Lehrerschaft der
Mittel- und Volksschulen ist im großen und ganzen für die Sache gewonnen.
Das heute heranreifende Geschlecht wird die Grimm und Rttmeliu nicht mehr
verstehen. Sehen denn jene Männer das Wachsen und Werden nicht?

Gildemeister glaubt ein übriges zu thun, wenn er uns (S. 106) zuruft:
..Man lasse stehen, was zu tief gewurzelt ist. aber man beseitige, was ohne
Kampf fallen würde." Was heißt das? Sollen wir den Sturmbock gegen
eine Bresche richten, eine Leiche töten? Soll ein Schaden geschont werden, weil
er tief eingewurzelt ist? Gerade Gildemeister muß bekämpft werden, weil er
scheinbar bis an die Grenzen der zulässigen Änderung geht, dadurch aber die
Lauer in ihrer Lauheit erhält, die Kämpfenden stutzig macht.

Es ist die Vaterlandsliebe, die Liebe und Treue zur Muttersprache, welche
uns reden und kämpfen heißt. Solcher Strom reißt alle künstlichen Dämme ein.

Ich wende mich zu den hauptsächlichsten Angriffspunkten oder besser: Ver-
tcidigungsmittcln unsrer Gegner.

Was ich zuletzt erwähnte — daß der Sprachverein seine Sache als eine
nationale betrachtet —. das erregt in erster Reihe den Zorn der Anhänger des
Fremdwortes. Ist sie es denn aber nicht? Ist nicht die heimische Sprache
eines der köstlichsten nationalen Güter eines Volkes? Haben denn Mutter¬
sprache, Mutterland keine Bedeutung? Ist die Sprache, in der der Deutsche
schlafend und wachend träumt, ein Etwas, das ihm ein andrer „nach Be¬
dürfnis" verändern und verunstalten darf? Haben wir nicht Beispiele erlebt,
daß Deutsche, die dem Vaterlande grollend den Rücken gewendet hatten, dnrch
den Latte der Muttersprache in so namenloses Heimweh versetzt wurden, daß sie
alles im Stiche ließen, um nur wieder da zu leben, wo die teure Sprache ge¬
redet wird? Das ist aber nicht die Sprache, die ein Grimm oder ein Rümelin
sprechen. Wenn, wie Gildemeister zugiebt. eine Unzahl von Fremdwörtern in
unsre Sprache aufgenommen wurden, obschon wir ihrer nicht bedurften, so war
dies nicht, wie es Grimm beschönigend nennt, Ausfluß des Strebens nach
Universalität, sondern es war, wie es Arndt nennt. Ausländerei; es war un¬
patriotisch. Dann aber ist es einfach ein Gebot des Patriotismus, wieder auf¬
zuräumen. Hatten unsre Voreltern das Bedürfnis, Fremde und Fremdes bei
sich herrsche/zu lassen, so haben wir den Wunsch, selbst Herr im Hause zu
sein. Unsre Gegner fühlen sich, wie sie sagen, in ihrem Vatcrlandsgefühle nicht
verletzt, „wenn unsre Pappschachteletikettcn mit fremdländischen Bezeichnungen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/83>, abgerufen am 17.09.2024.