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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Das klingt nicht wie Gegnerschaft. Gleichwohl kann der Sprachverein
mit Rümelin und Grimm nicht ein einen? Tische sitzen. Ich brauche, um dies
zu beweisen, nur je einen Ausspruch beider heranzuziehen. "Ich fühle - sagt
Rümelin -- mein deutsches Gewissen um kein Haar mehr belastet, wenn ich
nach Bedarf ein fremdsprachliches Wort gebrauche, als wenn ich mich in austra¬
lische Wolle kleide, chinesische" Thee oder französischen Wein trinke." Und
Grimm -- um eine Bombe zum Platzen zu bringen, die alle seine Gegner
niederschmettert -- läßt einen Deutscheiferer die Worte "logischer Gedanken-
Prozeß" übersetzen mit "gedanklicher Gerichtshandel." Billig und schlecht.

Ganz anders Gildemeister. In seinem Aufsätze haben wir eine tiefdurch¬
dachte, hie und da mit einem Scherz ausgestattete, doch durchaus edle und
ernste Arbeit vor uns; eine Arbeit, die uach Inhalt und Form Wohl das Beste
ist, was auf diesem Gebiete geschrieben worden ist. Sie erschöpft die Frage
-- natürlich vom gegnerischen Standpunkte aus betrachtet -- in jeder Richtung.
Sie zeichnet sich aus durch Vollendung im Satzbau, durch unbedingte Ver¬
ständlichkeit. Ihr hätte ich im allgemeine" nur vorzuwerfen, daß sie um
reichlich zehn Jahre hinter den Thatsachen zurück ist, und daß sie ungezählte
Fremdwörter enthält, die nicht nur ohne Schaden hätten wegbleiben, sondern
durch treffeuderc deutsche hätten ersetzt werden können. Natürlich habe ich
dafür Beweise zu bringe".

Der Vortrag Rümelins dient einem besondern Zwecke. Er ist das Vor¬
wort zu einem von ihm -- wie niemand bezweifeln wird, mit großem Geschick
und mit Einhaltung möglichst scharfgezvgener Grenzen -- zusammengestellten
Verzeichnisse") derjenigen Fremdwörter, die er als unentbehrlich bezeichnet und
die sich auf rund 5000 belaufen. Sein Vortrag selbst ist die Arbeit eines
gewiß bedeutenden Gelehrten, der aber seine Vielseitigkeit und feine Sprach-
kcnntnis selbst mehr in den Vordergrund stellt, als der Leser sie bestätigt findet.
(Es widerfahren ihm auch kleine Verstöße; er wendet z. B. "als" für "wie"
an, er benutzt "indem" als ursächliches Bindewort.) Sein Verzeichnis krankt
an zwei Übelständen: daß es Fremdwörter, die nur in einzelnen Landesteilen
vorkommen, wie z. B. asot, Fashion, als sprachsässige aufführt und daß es zahl¬
lose Fremdwörter als heute noch sprachgebräuchlich bezeichnet, die es schon vor
fünfundzwanzig Jahren nicht mehr waren. Hierher sind zu rechnen: Aquädukt,
blcssiren, Chamade, Chiliasmus, Chrisma, Collapsns, eoncis, confluiren, decrepid,
debonchiren, desultorisch, divertiren, Douane, Facette, Frondeur, Galeot, Gratial,
impersonal, incameriren, interealar, musivisch, ranzioniren, Neversalien, Som-
mation, Störe, desperat, emigriren, Historie, Kalesche, Kalfakter, Supplik, Re-
nonce und viele andre.



Rmnelin nennt seine Arbeit eine statistische. Als c>b die Ansicht eines Mannes des-
halb, weil sie in Zahlen ausgedrückt ist, mit einer Statistik etwas gemein hätte.
Grenzboten II. 1887. 10

Das klingt nicht wie Gegnerschaft. Gleichwohl kann der Sprachverein
mit Rümelin und Grimm nicht ein einen? Tische sitzen. Ich brauche, um dies
zu beweisen, nur je einen Ausspruch beider heranzuziehen. „Ich fühle - sagt
Rümelin — mein deutsches Gewissen um kein Haar mehr belastet, wenn ich
nach Bedarf ein fremdsprachliches Wort gebrauche, als wenn ich mich in austra¬
lische Wolle kleide, chinesische» Thee oder französischen Wein trinke." Und
Grimm — um eine Bombe zum Platzen zu bringen, die alle seine Gegner
niederschmettert — läßt einen Deutscheiferer die Worte „logischer Gedanken-
Prozeß" übersetzen mit „gedanklicher Gerichtshandel." Billig und schlecht.

Ganz anders Gildemeister. In seinem Aufsätze haben wir eine tiefdurch¬
dachte, hie und da mit einem Scherz ausgestattete, doch durchaus edle und
ernste Arbeit vor uns; eine Arbeit, die uach Inhalt und Form Wohl das Beste
ist, was auf diesem Gebiete geschrieben worden ist. Sie erschöpft die Frage
— natürlich vom gegnerischen Standpunkte aus betrachtet — in jeder Richtung.
Sie zeichnet sich aus durch Vollendung im Satzbau, durch unbedingte Ver¬
ständlichkeit. Ihr hätte ich im allgemeine» nur vorzuwerfen, daß sie um
reichlich zehn Jahre hinter den Thatsachen zurück ist, und daß sie ungezählte
Fremdwörter enthält, die nicht nur ohne Schaden hätten wegbleiben, sondern
durch treffeuderc deutsche hätten ersetzt werden können. Natürlich habe ich
dafür Beweise zu bringe».

Der Vortrag Rümelins dient einem besondern Zwecke. Er ist das Vor¬
wort zu einem von ihm — wie niemand bezweifeln wird, mit großem Geschick
und mit Einhaltung möglichst scharfgezvgener Grenzen — zusammengestellten
Verzeichnisse") derjenigen Fremdwörter, die er als unentbehrlich bezeichnet und
die sich auf rund 5000 belaufen. Sein Vortrag selbst ist die Arbeit eines
gewiß bedeutenden Gelehrten, der aber seine Vielseitigkeit und feine Sprach-
kcnntnis selbst mehr in den Vordergrund stellt, als der Leser sie bestätigt findet.
(Es widerfahren ihm auch kleine Verstöße; er wendet z. B. „als" für „wie"
an, er benutzt „indem" als ursächliches Bindewort.) Sein Verzeichnis krankt
an zwei Übelständen: daß es Fremdwörter, die nur in einzelnen Landesteilen
vorkommen, wie z. B. asot, Fashion, als sprachsässige aufführt und daß es zahl¬
lose Fremdwörter als heute noch sprachgebräuchlich bezeichnet, die es schon vor
fünfundzwanzig Jahren nicht mehr waren. Hierher sind zu rechnen: Aquädukt,
blcssiren, Chamade, Chiliasmus, Chrisma, Collapsns, eoncis, confluiren, decrepid,
debonchiren, desultorisch, divertiren, Douane, Facette, Frondeur, Galeot, Gratial,
impersonal, incameriren, interealar, musivisch, ranzioniren, Neversalien, Som-
mation, Störe, desperat, emigriren, Historie, Kalesche, Kalfakter, Supplik, Re-
nonce und viele andre.



Rmnelin nennt seine Arbeit eine statistische. Als c>b die Ansicht eines Mannes des-
halb, weil sie in Zahlen ausgedrückt ist, mit einer Statistik etwas gemein hätte.
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[0081] Das klingt nicht wie Gegnerschaft. Gleichwohl kann der Sprachverein mit Rümelin und Grimm nicht ein einen? Tische sitzen. Ich brauche, um dies zu beweisen, nur je einen Ausspruch beider heranzuziehen. „Ich fühle - sagt Rümelin — mein deutsches Gewissen um kein Haar mehr belastet, wenn ich nach Bedarf ein fremdsprachliches Wort gebrauche, als wenn ich mich in austra¬ lische Wolle kleide, chinesische» Thee oder französischen Wein trinke." Und Grimm — um eine Bombe zum Platzen zu bringen, die alle seine Gegner niederschmettert — läßt einen Deutscheiferer die Worte „logischer Gedanken- Prozeß" übersetzen mit „gedanklicher Gerichtshandel." Billig und schlecht. Ganz anders Gildemeister. In seinem Aufsätze haben wir eine tiefdurch¬ dachte, hie und da mit einem Scherz ausgestattete, doch durchaus edle und ernste Arbeit vor uns; eine Arbeit, die uach Inhalt und Form Wohl das Beste ist, was auf diesem Gebiete geschrieben worden ist. Sie erschöpft die Frage — natürlich vom gegnerischen Standpunkte aus betrachtet — in jeder Richtung. Sie zeichnet sich aus durch Vollendung im Satzbau, durch unbedingte Ver¬ ständlichkeit. Ihr hätte ich im allgemeine» nur vorzuwerfen, daß sie um reichlich zehn Jahre hinter den Thatsachen zurück ist, und daß sie ungezählte Fremdwörter enthält, die nicht nur ohne Schaden hätten wegbleiben, sondern durch treffeuderc deutsche hätten ersetzt werden können. Natürlich habe ich dafür Beweise zu bringe». Der Vortrag Rümelins dient einem besondern Zwecke. Er ist das Vor¬ wort zu einem von ihm — wie niemand bezweifeln wird, mit großem Geschick und mit Einhaltung möglichst scharfgezvgener Grenzen — zusammengestellten Verzeichnisse") derjenigen Fremdwörter, die er als unentbehrlich bezeichnet und die sich auf rund 5000 belaufen. Sein Vortrag selbst ist die Arbeit eines gewiß bedeutenden Gelehrten, der aber seine Vielseitigkeit und feine Sprach- kcnntnis selbst mehr in den Vordergrund stellt, als der Leser sie bestätigt findet. (Es widerfahren ihm auch kleine Verstöße; er wendet z. B. „als" für „wie" an, er benutzt „indem" als ursächliches Bindewort.) Sein Verzeichnis krankt an zwei Übelständen: daß es Fremdwörter, die nur in einzelnen Landesteilen vorkommen, wie z. B. asot, Fashion, als sprachsässige aufführt und daß es zahl¬ lose Fremdwörter als heute noch sprachgebräuchlich bezeichnet, die es schon vor fünfundzwanzig Jahren nicht mehr waren. Hierher sind zu rechnen: Aquädukt, blcssiren, Chamade, Chiliasmus, Chrisma, Collapsns, eoncis, confluiren, decrepid, debonchiren, desultorisch, divertiren, Douane, Facette, Frondeur, Galeot, Gratial, impersonal, incameriren, interealar, musivisch, ranzioniren, Neversalien, Som- mation, Störe, desperat, emigriren, Historie, Kalesche, Kalfakter, Supplik, Re- nonce und viele andre. Rmnelin nennt seine Arbeit eine statistische. Als c>b die Ansicht eines Mannes des- halb, weil sie in Zahlen ausgedrückt ist, mit einer Statistik etwas gemein hätte. Grenzboten II. 1887. 10

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/81>, abgerufen am 17.09.2024.