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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Die Gegner des deutschen Sprachvereins.

das "Ziel" der Nationen, die Gesetze ihrer großen Schriftstell" zu verstehen,
sondern man müsse sagen, es solle dies das Bestreben der Nationen sein. Nach
dem weitern Ausspruche aber, daß die Sprachen um dieser Größen willen da sind,
bin ich zu der Überzeugung gelangt, daß wir es bei der Wahl jener Ausdrücke
mit "Nüancen" zu thun haben, die einstweilen nur dem Verfasser einleuchten.

Manche, die den Aufsatz Gildemeisters gelesen haben, werden vielleicht fragen,
ob es richtig sei, diesen Schriftsteller zu den Gegnern des Sprachvereins zu
rechnen. In der That könnte man zweifeln, wenn man Aussprüche von ihm
liest wie folgende (S. 103): "Es scheint mir, daß der Deutsche neben der vor¬
urteilsloser Empfänglichkeit für den ausländischen Vildungsstoff eine üble Ge¬
schmacksrichtung hat, nämlich die für den Schall und Klang fremder, vorab
romanischer Zungen. Nicht allein der Not gehorchend, sondern auch dem eignen
Triebe, hat er die ihm angestammte Rede mit lateinischen und französische!?
Brocken verbrämt, weil er eine kindliche Freude an den klangvollen und zier¬
lichen, den feierlichen und einschmeichelnden Tönen als solchen hatte. Wie er
bescheiden zu dem geistigen Gehalt und dem sachlichen Ncichtume der fremden
Kultur emporschaute, so blickte er bewundernd auf ihr glänzendes Kleid. Es
erschien ihm stattlicher, vornehmer und geschmackvoller als das Gewand der
Muttersprache. Eine Zeit lang galt es fast für unschicklich, in gelehrtem und
feinem Verkehr sich dieser letzteren zu bedienen, und wenn es geschah, suchte
man sie wenigstens mit fremdem Flitterstaat so herauszuputzen, daß sie schon
von weitem sich von der gemeinen Rede des Dorfes und Marktes unterscheide.
Man gebrauchte das fremde Wort uicht bloß da, wo das heimische fehlte,
sondern man drängte das eigne in die Ecke, um das fremde vorführen zu
können." Aber ähnliche Aussprüche finden wir auch bei Rümelin und Grimm.
Rümelin sagt (S. 2): "Es kann nichts Thörichteres und Widersinnigeres geben,
als zu seineu Landsleuten in fremder Zunge zu reden, wenn die Muttersprache
die dem Sinn vollkommen entsprechenden Worte darbietet. Man wird auch
einzuräumen haben, daß hiergegen gleichwohl garnicht selten gesündigt wird.
Es ist ferner nicht zu bestreiten, daß man jede Häufung von Fremdwörtern,
selbst dann, wenn jedes einzelne für sich ganz berechtigt wäre, auch schon aus
stilistischen Gründen vermeiden muß, weil die Rede dadurch einen buntscheckigen
und mißfälligen Eindruck macht, ungefähr wie wenn in einer Gesellschaft die
einen in bürgerlichem Anzuge, die andern in Masken erscheinen. Außerdem
ist es eine Regel zwar nicht der Sprache, aber umsomehr des gesunden Menschen¬
verstandes und der guten Sitte, daß man in Schrift und Rede überhaupt keine
Ausdrücke gebraucht, die dem Zuhörer oder Leser nicht verständlich sind." Und
Grimm (S. 304): "Deutsche Worte lieber zu gebrauchen, liegt schon in unsrer
physischen Beschaffenheit. Unsre Sprache ist ein Produkt unsers Körperbaues.
Deutsche Worte fließen uns am bequemsten von der Zunge und den Lippen,
sie dringen uns erfreulicher ins Ohr als fremde Laute."


Die Gegner des deutschen Sprachvereins.

das „Ziel" der Nationen, die Gesetze ihrer großen Schriftstell« zu verstehen,
sondern man müsse sagen, es solle dies das Bestreben der Nationen sein. Nach
dem weitern Ausspruche aber, daß die Sprachen um dieser Größen willen da sind,
bin ich zu der Überzeugung gelangt, daß wir es bei der Wahl jener Ausdrücke
mit „Nüancen" zu thun haben, die einstweilen nur dem Verfasser einleuchten.

Manche, die den Aufsatz Gildemeisters gelesen haben, werden vielleicht fragen,
ob es richtig sei, diesen Schriftsteller zu den Gegnern des Sprachvereins zu
rechnen. In der That könnte man zweifeln, wenn man Aussprüche von ihm
liest wie folgende (S. 103): „Es scheint mir, daß der Deutsche neben der vor¬
urteilsloser Empfänglichkeit für den ausländischen Vildungsstoff eine üble Ge¬
schmacksrichtung hat, nämlich die für den Schall und Klang fremder, vorab
romanischer Zungen. Nicht allein der Not gehorchend, sondern auch dem eignen
Triebe, hat er die ihm angestammte Rede mit lateinischen und französische!?
Brocken verbrämt, weil er eine kindliche Freude an den klangvollen und zier¬
lichen, den feierlichen und einschmeichelnden Tönen als solchen hatte. Wie er
bescheiden zu dem geistigen Gehalt und dem sachlichen Ncichtume der fremden
Kultur emporschaute, so blickte er bewundernd auf ihr glänzendes Kleid. Es
erschien ihm stattlicher, vornehmer und geschmackvoller als das Gewand der
Muttersprache. Eine Zeit lang galt es fast für unschicklich, in gelehrtem und
feinem Verkehr sich dieser letzteren zu bedienen, und wenn es geschah, suchte
man sie wenigstens mit fremdem Flitterstaat so herauszuputzen, daß sie schon
von weitem sich von der gemeinen Rede des Dorfes und Marktes unterscheide.
Man gebrauchte das fremde Wort uicht bloß da, wo das heimische fehlte,
sondern man drängte das eigne in die Ecke, um das fremde vorführen zu
können." Aber ähnliche Aussprüche finden wir auch bei Rümelin und Grimm.
Rümelin sagt (S. 2): „Es kann nichts Thörichteres und Widersinnigeres geben,
als zu seineu Landsleuten in fremder Zunge zu reden, wenn die Muttersprache
die dem Sinn vollkommen entsprechenden Worte darbietet. Man wird auch
einzuräumen haben, daß hiergegen gleichwohl garnicht selten gesündigt wird.
Es ist ferner nicht zu bestreiten, daß man jede Häufung von Fremdwörtern,
selbst dann, wenn jedes einzelne für sich ganz berechtigt wäre, auch schon aus
stilistischen Gründen vermeiden muß, weil die Rede dadurch einen buntscheckigen
und mißfälligen Eindruck macht, ungefähr wie wenn in einer Gesellschaft die
einen in bürgerlichem Anzuge, die andern in Masken erscheinen. Außerdem
ist es eine Regel zwar nicht der Sprache, aber umsomehr des gesunden Menschen¬
verstandes und der guten Sitte, daß man in Schrift und Rede überhaupt keine
Ausdrücke gebraucht, die dem Zuhörer oder Leser nicht verständlich sind." Und
Grimm (S. 304): „Deutsche Worte lieber zu gebrauchen, liegt schon in unsrer
physischen Beschaffenheit. Unsre Sprache ist ein Produkt unsers Körperbaues.
Deutsche Worte fließen uns am bequemsten von der Zunge und den Lippen,
sie dringen uns erfreulicher ins Ohr als fremde Laute."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/80>, abgerufen am 17.09.2024.