Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Gegner des deutschen Sprachvereins.

fest, um gerechtfertigt zu sein, wen" ich untersuche, ob und wieweit jene Vor¬
würfe gegen uns begründet sind.

Ich möchte zuerst im allgemeinen die Stellung zeichnen, welche die drei
Gegner zur Fremdwörterfrage einnehmen. Gildemeister sagt (S. 96) von sich
selbst: "Was ich an den Puristen auszusetzen habe, ist zweierlei: erstlich, daß sie
das Vermögen der deutschen Sprache überschätzen und im Grunde ihres Herzens
meinen, wir könnten ohne alles Borgen auskommen; zweitens, daß sie lehren,
das Borgen, wenn auch zur Zeit durch Not entschuldigt, sei doch an sich ver¬
werflich, eine Versündigung an der nationalen Ehre." Rümelin spricht sein
Bekenntnis (S. 32) in folgenden (hier abgekürzten) Sätzen aus: "Die wahre
Poesie verschmäht grundsätzlich jedes Fremdwort. Weitere Grenzen sind na¬
türlich der Lehr- und Gedankendichtung gezogen, dem Epigramm, der Epistel,
der Xenie, sodann dem Lustspiele, dem Roman, der Novelle. Der hohen Poesie
steht die geistliche Rede gleich. Ähnlich wird jede öffentliche Rede und An¬
sprache gestellt sein, welche von allen verstanden werden will. Freier müssen
sich alle reflektirenden, kritischen, darstellenden Reden und Schriften bewegen
dürfen. Das politische Leben führt einen ansehnlichen Apparat von fremd¬
sprachlichen Schlagwörtern mit sich. Für den brieflichen und mündlichen Ver¬
kehr lassen sich keine besondern Regeln aufstellen. Völlig unumschränkt aber
muß die Sprache der Wissenschaft und Technik bleiben, welche nach Umständen
ganze Seiten mit Fremdwörtern und gelehrten Formeln füllen mag und für
welche nur die allgemeinsten Vorschriften der Logik und Verständlichkeit, des
gesunden Menschenverstandes und guten Geschmacks eine Schranke bilden können."
Grimm sagt (S. 305): "Ein Schriftsteller, der Gedanken hat, bei deren Mit¬
teilung es sich um die geringsten Nuancen des Ausdrucks handelt, um leise
Töne, die zu erkennen unter seinen Zeitgenossen vielleicht niemand fähig sein
könnte, deren Wichtigkeit einstweilen nur ihm einleuchtet, wird sich doch nicht an
die Sprache als an etwas Verbindliches kehren, die zum Gebrauch zufällig
vorliegt? Er wird, wo sie nicht ausreicht, unbeirrt von jeder andern Rücksicht
als der, den genauesten Ausdruck seiner Gedanken zu finden, die Worte und
Wendungen wählen, wie er sie Wichtiger ihrer^ bedarf, jedes Wort, jede Form
wird ihm genehm sein, die seinen Gedanken enthält. Schriftsteller dieser Art
aber sind es, um deretwillen die Sprachen bei allen Nationen im höchsten Sinne
da sind. Diese Autoren sind es, die den Fortschritt der Sprachen bewirken, ihre
Ausdrucksfähigkeit erhöhen, ihre Wirksamkeit vergrößern und verbreitern; und
nicht diese Männer zu meistern und Regeln für sie aufzustellen, sondern ihre
Schriften zu durchdringen und die Gesetze zu verstehen, die sie enthalten, muß
das Ziel der Völker sein."

Ich hatte geglaubt, es sei ein Versehen, daß Grimm von der Sprache, die
einem Menschen durch Geburt und Heimat gegeben ist, als von etwas "zufällig"
Vorliegenden spricht; und ich war der Meinung, man dürfe nicht sagen, es sei


Die Gegner des deutschen Sprachvereins.

fest, um gerechtfertigt zu sein, wen» ich untersuche, ob und wieweit jene Vor¬
würfe gegen uns begründet sind.

Ich möchte zuerst im allgemeinen die Stellung zeichnen, welche die drei
Gegner zur Fremdwörterfrage einnehmen. Gildemeister sagt (S. 96) von sich
selbst: „Was ich an den Puristen auszusetzen habe, ist zweierlei: erstlich, daß sie
das Vermögen der deutschen Sprache überschätzen und im Grunde ihres Herzens
meinen, wir könnten ohne alles Borgen auskommen; zweitens, daß sie lehren,
das Borgen, wenn auch zur Zeit durch Not entschuldigt, sei doch an sich ver¬
werflich, eine Versündigung an der nationalen Ehre." Rümelin spricht sein
Bekenntnis (S. 32) in folgenden (hier abgekürzten) Sätzen aus: „Die wahre
Poesie verschmäht grundsätzlich jedes Fremdwort. Weitere Grenzen sind na¬
türlich der Lehr- und Gedankendichtung gezogen, dem Epigramm, der Epistel,
der Xenie, sodann dem Lustspiele, dem Roman, der Novelle. Der hohen Poesie
steht die geistliche Rede gleich. Ähnlich wird jede öffentliche Rede und An¬
sprache gestellt sein, welche von allen verstanden werden will. Freier müssen
sich alle reflektirenden, kritischen, darstellenden Reden und Schriften bewegen
dürfen. Das politische Leben führt einen ansehnlichen Apparat von fremd¬
sprachlichen Schlagwörtern mit sich. Für den brieflichen und mündlichen Ver¬
kehr lassen sich keine besondern Regeln aufstellen. Völlig unumschränkt aber
muß die Sprache der Wissenschaft und Technik bleiben, welche nach Umständen
ganze Seiten mit Fremdwörtern und gelehrten Formeln füllen mag und für
welche nur die allgemeinsten Vorschriften der Logik und Verständlichkeit, des
gesunden Menschenverstandes und guten Geschmacks eine Schranke bilden können."
Grimm sagt (S. 305): „Ein Schriftsteller, der Gedanken hat, bei deren Mit¬
teilung es sich um die geringsten Nuancen des Ausdrucks handelt, um leise
Töne, die zu erkennen unter seinen Zeitgenossen vielleicht niemand fähig sein
könnte, deren Wichtigkeit einstweilen nur ihm einleuchtet, wird sich doch nicht an
die Sprache als an etwas Verbindliches kehren, die zum Gebrauch zufällig
vorliegt? Er wird, wo sie nicht ausreicht, unbeirrt von jeder andern Rücksicht
als der, den genauesten Ausdruck seiner Gedanken zu finden, die Worte und
Wendungen wählen, wie er sie Wichtiger ihrer^ bedarf, jedes Wort, jede Form
wird ihm genehm sein, die seinen Gedanken enthält. Schriftsteller dieser Art
aber sind es, um deretwillen die Sprachen bei allen Nationen im höchsten Sinne
da sind. Diese Autoren sind es, die den Fortschritt der Sprachen bewirken, ihre
Ausdrucksfähigkeit erhöhen, ihre Wirksamkeit vergrößern und verbreitern; und
nicht diese Männer zu meistern und Regeln für sie aufzustellen, sondern ihre
Schriften zu durchdringen und die Gesetze zu verstehen, die sie enthalten, muß
das Ziel der Völker sein."

Ich hatte geglaubt, es sei ein Versehen, daß Grimm von der Sprache, die
einem Menschen durch Geburt und Heimat gegeben ist, als von etwas „zufällig"
Vorliegenden spricht; und ich war der Meinung, man dürfe nicht sagen, es sei


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0079" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/288532"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Gegner des deutschen Sprachvereins.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_206" prev="#ID_205"> fest, um gerechtfertigt zu sein, wen» ich untersuche, ob und wieweit jene Vor¬<lb/>
würfe gegen uns begründet sind.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_207"> Ich möchte zuerst im allgemeinen die Stellung zeichnen, welche die drei<lb/>
Gegner zur Fremdwörterfrage einnehmen. Gildemeister sagt (S. 96) von sich<lb/>
selbst: &#x201E;Was ich an den Puristen auszusetzen habe, ist zweierlei: erstlich, daß sie<lb/>
das Vermögen der deutschen Sprache überschätzen und im Grunde ihres Herzens<lb/>
meinen, wir könnten ohne alles Borgen auskommen; zweitens, daß sie lehren,<lb/>
das Borgen, wenn auch zur Zeit durch Not entschuldigt, sei doch an sich ver¬<lb/>
werflich, eine Versündigung an der nationalen Ehre." Rümelin spricht sein<lb/>
Bekenntnis (S. 32) in folgenden (hier abgekürzten) Sätzen aus: &#x201E;Die wahre<lb/>
Poesie verschmäht grundsätzlich jedes Fremdwort. Weitere Grenzen sind na¬<lb/>
türlich der Lehr- und Gedankendichtung gezogen, dem Epigramm, der Epistel,<lb/>
der Xenie, sodann dem Lustspiele, dem Roman, der Novelle. Der hohen Poesie<lb/>
steht die geistliche Rede gleich. Ähnlich wird jede öffentliche Rede und An¬<lb/>
sprache gestellt sein, welche von allen verstanden werden will. Freier müssen<lb/>
sich alle reflektirenden, kritischen, darstellenden Reden und Schriften bewegen<lb/>
dürfen. Das politische Leben führt einen ansehnlichen Apparat von fremd¬<lb/>
sprachlichen Schlagwörtern mit sich. Für den brieflichen und mündlichen Ver¬<lb/>
kehr lassen sich keine besondern Regeln aufstellen. Völlig unumschränkt aber<lb/>
muß die Sprache der Wissenschaft und Technik bleiben, welche nach Umständen<lb/>
ganze Seiten mit Fremdwörtern und gelehrten Formeln füllen mag und für<lb/>
welche nur die allgemeinsten Vorschriften der Logik und Verständlichkeit, des<lb/>
gesunden Menschenverstandes und guten Geschmacks eine Schranke bilden können."<lb/>
Grimm sagt (S. 305): &#x201E;Ein Schriftsteller, der Gedanken hat, bei deren Mit¬<lb/>
teilung es sich um die geringsten Nuancen des Ausdrucks handelt, um leise<lb/>
Töne, die zu erkennen unter seinen Zeitgenossen vielleicht niemand fähig sein<lb/>
könnte, deren Wichtigkeit einstweilen nur ihm einleuchtet, wird sich doch nicht an<lb/>
die Sprache als an etwas Verbindliches kehren, die zum Gebrauch zufällig<lb/>
vorliegt? Er wird, wo sie nicht ausreicht, unbeirrt von jeder andern Rücksicht<lb/>
als der, den genauesten Ausdruck seiner Gedanken zu finden, die Worte und<lb/>
Wendungen wählen, wie er sie Wichtiger ihrer^ bedarf, jedes Wort, jede Form<lb/>
wird ihm genehm sein, die seinen Gedanken enthält. Schriftsteller dieser Art<lb/>
aber sind es, um deretwillen die Sprachen bei allen Nationen im höchsten Sinne<lb/>
da sind. Diese Autoren sind es, die den Fortschritt der Sprachen bewirken, ihre<lb/>
Ausdrucksfähigkeit erhöhen, ihre Wirksamkeit vergrößern und verbreitern; und<lb/>
nicht diese Männer zu meistern und Regeln für sie aufzustellen, sondern ihre<lb/>
Schriften zu durchdringen und die Gesetze zu verstehen, die sie enthalten, muß<lb/>
das Ziel der Völker sein."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_208" next="#ID_209"> Ich hatte geglaubt, es sei ein Versehen, daß Grimm von der Sprache, die<lb/>
einem Menschen durch Geburt und Heimat gegeben ist, als von etwas &#x201E;zufällig"<lb/>
Vorliegenden spricht; und ich war der Meinung, man dürfe nicht sagen, es sei</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0079] Die Gegner des deutschen Sprachvereins. fest, um gerechtfertigt zu sein, wen» ich untersuche, ob und wieweit jene Vor¬ würfe gegen uns begründet sind. Ich möchte zuerst im allgemeinen die Stellung zeichnen, welche die drei Gegner zur Fremdwörterfrage einnehmen. Gildemeister sagt (S. 96) von sich selbst: „Was ich an den Puristen auszusetzen habe, ist zweierlei: erstlich, daß sie das Vermögen der deutschen Sprache überschätzen und im Grunde ihres Herzens meinen, wir könnten ohne alles Borgen auskommen; zweitens, daß sie lehren, das Borgen, wenn auch zur Zeit durch Not entschuldigt, sei doch an sich ver¬ werflich, eine Versündigung an der nationalen Ehre." Rümelin spricht sein Bekenntnis (S. 32) in folgenden (hier abgekürzten) Sätzen aus: „Die wahre Poesie verschmäht grundsätzlich jedes Fremdwort. Weitere Grenzen sind na¬ türlich der Lehr- und Gedankendichtung gezogen, dem Epigramm, der Epistel, der Xenie, sodann dem Lustspiele, dem Roman, der Novelle. Der hohen Poesie steht die geistliche Rede gleich. Ähnlich wird jede öffentliche Rede und An¬ sprache gestellt sein, welche von allen verstanden werden will. Freier müssen sich alle reflektirenden, kritischen, darstellenden Reden und Schriften bewegen dürfen. Das politische Leben führt einen ansehnlichen Apparat von fremd¬ sprachlichen Schlagwörtern mit sich. Für den brieflichen und mündlichen Ver¬ kehr lassen sich keine besondern Regeln aufstellen. Völlig unumschränkt aber muß die Sprache der Wissenschaft und Technik bleiben, welche nach Umständen ganze Seiten mit Fremdwörtern und gelehrten Formeln füllen mag und für welche nur die allgemeinsten Vorschriften der Logik und Verständlichkeit, des gesunden Menschenverstandes und guten Geschmacks eine Schranke bilden können." Grimm sagt (S. 305): „Ein Schriftsteller, der Gedanken hat, bei deren Mit¬ teilung es sich um die geringsten Nuancen des Ausdrucks handelt, um leise Töne, die zu erkennen unter seinen Zeitgenossen vielleicht niemand fähig sein könnte, deren Wichtigkeit einstweilen nur ihm einleuchtet, wird sich doch nicht an die Sprache als an etwas Verbindliches kehren, die zum Gebrauch zufällig vorliegt? Er wird, wo sie nicht ausreicht, unbeirrt von jeder andern Rücksicht als der, den genauesten Ausdruck seiner Gedanken zu finden, die Worte und Wendungen wählen, wie er sie Wichtiger ihrer^ bedarf, jedes Wort, jede Form wird ihm genehm sein, die seinen Gedanken enthält. Schriftsteller dieser Art aber sind es, um deretwillen die Sprachen bei allen Nationen im höchsten Sinne da sind. Diese Autoren sind es, die den Fortschritt der Sprachen bewirken, ihre Ausdrucksfähigkeit erhöhen, ihre Wirksamkeit vergrößern und verbreitern; und nicht diese Männer zu meistern und Regeln für sie aufzustellen, sondern ihre Schriften zu durchdringen und die Gesetze zu verstehen, die sie enthalten, muß das Ziel der Völker sein." Ich hatte geglaubt, es sei ein Versehen, daß Grimm von der Sprache, die einem Menschen durch Geburt und Heimat gegeben ist, als von etwas „zufällig" Vorliegenden spricht; und ich war der Meinung, man dürfe nicht sagen, es sei

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/79
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/79>, abgerufen am 17.09.2024.