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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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seine Stellung zu wenig Raum für schriftstellerische Thätigkeit gewährte, sondern
weil sie ihn geradezu in Konflikt mit seinen Vorgesetzten und mit den ma߬
gebenden Kreisen brachte. Zehn Jahre war er Kriegsrat geblieben und durfte
für die nächste Zukunft immer noch keine Beförderung hoffen. Dazu kam
freilich, daß ihm seine Gläubiger den Aufenthalt in Berlin peinlich, ja gefähr¬
lich machten. Seine Frau hatte sich von ihm scheiden lassen, mit seinen Eltern
lebte er nicht mehr in dem besten Verhältnis: selbst in der sittenlosen Haupt¬
stadt erregte in den letzten neunziger Jahren sein Lebenswandel Anstoß. Auch
dies mochte ihn bestimmt haben, durch die Vermittlung des Grafen Stadion
dem Wiener Hof seine Dienste anzubieten. Denn er trug sich selbst als Vier¬
ziger immer mit heiligen Vorsätzen von Besserung und Einkehr: von einer
Reise nach Weimar im Jahre 1801 kehrte er in einer wahren Zerknirschung
zurück -- er hatte zu der schönen Schauspielerin Amalie von Jmhof, der
Dichterin der "Schwestern von Lesbos," eine so heftige Neigung gefaßt, daß er
unter Thränen gelobte, ein andrer Mensch zu werden. Auf dem alten Boden
wollte ihm dies nicht gelingen, vielleicht auf einem neuen. Aber er täuschte
sich: mußte er sich auch in Wien mehr Zwang auferlegen, geändert hat er sich
doch erst, als er alt wurde. Und auch die Hoffnung erfüllte sich nicht, daß er
in Österreich einen größern Schauplatz literarischer Wirksamkeit finden würde.
Wie er dort erschien, hatte die Politik des Hofes eben eine Schwenkung voll¬
zogen, auch hier waren die Machthaber nur auf ein friedliches Auskommen mit
Frankreich bedacht. Und so fand Gentz bis 1805 nichts zu thun. Aber auch
dann fiel die Entscheidung so schnell, daß seine publizistischen Dienste von keiner
großen Bedeutung sein konnten. Nach dem Frieden von Preßburg mußte er
gar Wien verlassen, seine Anwesenheit hätte in Paris unangenehm berührt.
Erst mit dem Jahre 1808, als der Krieg aufs neue beschlossen und vorbereitet
wurde, trat er wieder in den Vordergrund -- diesmal freilich weniger literarisch
als vielmehr gesellschaftlich, hinter den Konlisscn gleichsam, wirkend. Denn er
besaß die Gabe der Überredung in hohem Grade, er redete "mit Männern wie
mit Frauen und mit Frauen wie mit Engeln." Den Wiener Friede", für dessen
Zustandekommen er selbst -- schon nach der Schlacht von Wagram von der
Aussichtslosigkeit eines weitern Kampfes durchdrungen -- seit dem Juli gewirkt
hatte, warf ihn wieder zu den politisch Toten. Das Jahr 1810 fand ihn in
völliger Hoffnungslosigkeit. Der Beginn einer innigern Beziehung zu Metternich,
welche in die nächsten zwei Jahre fällt, bildet dann den bedeutendsten Abschnitt
in der Geschichte seines Lebens: die Ideale seiner klassischen Periode treten
zurück, andre Ziele, andre Befürchtungen nehmen ihn ein. Nicht nur seine
politischen Ansichten, sein ganzes Wesen erfuhr eine tiefgehende Wandlung.




seine Stellung zu wenig Raum für schriftstellerische Thätigkeit gewährte, sondern
weil sie ihn geradezu in Konflikt mit seinen Vorgesetzten und mit den ma߬
gebenden Kreisen brachte. Zehn Jahre war er Kriegsrat geblieben und durfte
für die nächste Zukunft immer noch keine Beförderung hoffen. Dazu kam
freilich, daß ihm seine Gläubiger den Aufenthalt in Berlin peinlich, ja gefähr¬
lich machten. Seine Frau hatte sich von ihm scheiden lassen, mit seinen Eltern
lebte er nicht mehr in dem besten Verhältnis: selbst in der sittenlosen Haupt¬
stadt erregte in den letzten neunziger Jahren sein Lebenswandel Anstoß. Auch
dies mochte ihn bestimmt haben, durch die Vermittlung des Grafen Stadion
dem Wiener Hof seine Dienste anzubieten. Denn er trug sich selbst als Vier¬
ziger immer mit heiligen Vorsätzen von Besserung und Einkehr: von einer
Reise nach Weimar im Jahre 1801 kehrte er in einer wahren Zerknirschung
zurück — er hatte zu der schönen Schauspielerin Amalie von Jmhof, der
Dichterin der „Schwestern von Lesbos," eine so heftige Neigung gefaßt, daß er
unter Thränen gelobte, ein andrer Mensch zu werden. Auf dem alten Boden
wollte ihm dies nicht gelingen, vielleicht auf einem neuen. Aber er täuschte
sich: mußte er sich auch in Wien mehr Zwang auferlegen, geändert hat er sich
doch erst, als er alt wurde. Und auch die Hoffnung erfüllte sich nicht, daß er
in Österreich einen größern Schauplatz literarischer Wirksamkeit finden würde.
Wie er dort erschien, hatte die Politik des Hofes eben eine Schwenkung voll¬
zogen, auch hier waren die Machthaber nur auf ein friedliches Auskommen mit
Frankreich bedacht. Und so fand Gentz bis 1805 nichts zu thun. Aber auch
dann fiel die Entscheidung so schnell, daß seine publizistischen Dienste von keiner
großen Bedeutung sein konnten. Nach dem Frieden von Preßburg mußte er
gar Wien verlassen, seine Anwesenheit hätte in Paris unangenehm berührt.
Erst mit dem Jahre 1808, als der Krieg aufs neue beschlossen und vorbereitet
wurde, trat er wieder in den Vordergrund — diesmal freilich weniger literarisch
als vielmehr gesellschaftlich, hinter den Konlisscn gleichsam, wirkend. Denn er
besaß die Gabe der Überredung in hohem Grade, er redete „mit Männern wie
mit Frauen und mit Frauen wie mit Engeln." Den Wiener Friede», für dessen
Zustandekommen er selbst — schon nach der Schlacht von Wagram von der
Aussichtslosigkeit eines weitern Kampfes durchdrungen — seit dem Juli gewirkt
hatte, warf ihn wieder zu den politisch Toten. Das Jahr 1810 fand ihn in
völliger Hoffnungslosigkeit. Der Beginn einer innigern Beziehung zu Metternich,
welche in die nächsten zwei Jahre fällt, bildet dann den bedeutendsten Abschnitt
in der Geschichte seines Lebens: die Ideale seiner klassischen Periode treten
zurück, andre Ziele, andre Befürchtungen nehmen ihn ein. Nicht nur seine
politischen Ansichten, sein ganzes Wesen erfuhr eine tiefgehende Wandlung.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/76>, abgerufen am 17.09.2024.