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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Friedrich von Gentz.

1808 entstanden. Endlich gehört hierher sein Briefwechsel mit Johannes von
Müller, besonders der von Prag datirte feierliche Absagebrief an den Freund,
der an der großen Sache zum Verräter geworden war.

Von einer neuen Seite zeigte er sich während dieser Zeit in der "Geheimen
Geschichte des Jahres 1806." die erst in den dreißiger Jahren in einer englischen
Übersetzung bekannt wurde. Es ist das ein Geschichtswerk im Sinne der Alten,
von unübertrefflicher Klarheit und vom reinsten Maß in der Darstellung.*)
Von Dresden aus, wo er damals weilte, hatte er sich in den ersten Oktober¬
tagen -- wahrscheinlich auf Veranlassung seiner Regierung --, doch ohne amt¬
lichen Auftrag, in das preußische Hauptquartier begeben. Wir verweilen hier
nur bei einer Stelle dieser heute wenig gekannten Schrift: da, wo Gentz die
Audienz schildert, die ihm die Königin Luise gewährte. In trüber Stimmung
-- schreibt er -- sei er ihr entgegengegangen, er erwartete von dieser Unter¬
redung keine Befriedigung. Aber, fährt er fort, "meine Ahnung trügte."
denn anstatt mich bekümmerter zu machen, tröstete und erleichterte mich diese
Audienz, und wäre das Vertrauen nicht schon in weite Ferne entschwunden ge¬
wesen, es hätte bei dieser Veranlassung zurückkehren müssen." Die Königin
fragte ihn, was er von diesem Kriege denke und welche Ansichten er hege. "Ich
frage nicht, um Mut zu schöpfen -- sagte sie --, das habe ich, Gott sei Dank,
nicht nötig. Zudem weiß ich ja, daß, wenn Sie auch eine ungünstige Meinung
von der Sache hegten, Sie mir dieselbe sicher nicht kund thun würden. Allein
wissen möchte ich doch gern, worauf die Männer, die in der Lage sind, den
Stand der Dinge zu beurteilen, ihre Hoffnungen gründen, um dann zu sehen,
ob deren Beweggründe mit den meinigen übereinstimmen." Gentz suchte alles
hervor, was sich ihm bei dieser Frage von der schönen Seite bot. Das Ge¬
spräch lenkte sich dann auf den österreichischen Krieg von 1805. "Tiefen, un-
erlöschlichen Eindruck -- schreibt er -- machten auf mich die liebenswürdigen
Gefühle, die sie offenbarte, als sie auf das Mißgeschick des Hauses Osterreich
anspielte. Mehr als einmal sah ich dabei ihre Augen voll Thränen. Unter
anderm erzählte sie mit rührender Einfachheit, daß an dem Tage, wo sie die
Nachricht von den ersten Unglücksfällen der österreichischen Armee erfahren hatte,
der Kronprinz, ihr Sohn, sich ihr zum erstenmale in Uniform gezeigt habe;
als sie ihn so gesehen, habe sie gesagt: "Ich hoffe, daß du an dem Tage, wo
du Gebrauch machst von diesem Rock, dein einziger Gedanke der sein wird, deine
unglücklichen Brüder zu rächen."

Gentz hatte den preußischen Staatsdienst verlassen, nicht bloß weil ihm



*) Gentz war allerdings schon 1797 und 1800 im Berliner Historischen Taschenbuche
mit geschichtlichen Aufsätzen aufgetreten. Den ersten, über "Maria Stuart," hat Schiller als
Quelle für sein Drama benutzt. Der zweite handelt über die Gefangenschaft des Johann
von Valois. Uns sind beide unzugänglich geblieben. In den "Werken" sind sie nicht mit
abgedruckt.
Friedrich von Gentz.

1808 entstanden. Endlich gehört hierher sein Briefwechsel mit Johannes von
Müller, besonders der von Prag datirte feierliche Absagebrief an den Freund,
der an der großen Sache zum Verräter geworden war.

Von einer neuen Seite zeigte er sich während dieser Zeit in der „Geheimen
Geschichte des Jahres 1806." die erst in den dreißiger Jahren in einer englischen
Übersetzung bekannt wurde. Es ist das ein Geschichtswerk im Sinne der Alten,
von unübertrefflicher Klarheit und vom reinsten Maß in der Darstellung.*)
Von Dresden aus, wo er damals weilte, hatte er sich in den ersten Oktober¬
tagen — wahrscheinlich auf Veranlassung seiner Regierung —, doch ohne amt¬
lichen Auftrag, in das preußische Hauptquartier begeben. Wir verweilen hier
nur bei einer Stelle dieser heute wenig gekannten Schrift: da, wo Gentz die
Audienz schildert, die ihm die Königin Luise gewährte. In trüber Stimmung
— schreibt er — sei er ihr entgegengegangen, er erwartete von dieser Unter¬
redung keine Befriedigung. Aber, fährt er fort, „meine Ahnung trügte."
denn anstatt mich bekümmerter zu machen, tröstete und erleichterte mich diese
Audienz, und wäre das Vertrauen nicht schon in weite Ferne entschwunden ge¬
wesen, es hätte bei dieser Veranlassung zurückkehren müssen." Die Königin
fragte ihn, was er von diesem Kriege denke und welche Ansichten er hege. „Ich
frage nicht, um Mut zu schöpfen — sagte sie —, das habe ich, Gott sei Dank,
nicht nötig. Zudem weiß ich ja, daß, wenn Sie auch eine ungünstige Meinung
von der Sache hegten, Sie mir dieselbe sicher nicht kund thun würden. Allein
wissen möchte ich doch gern, worauf die Männer, die in der Lage sind, den
Stand der Dinge zu beurteilen, ihre Hoffnungen gründen, um dann zu sehen,
ob deren Beweggründe mit den meinigen übereinstimmen." Gentz suchte alles
hervor, was sich ihm bei dieser Frage von der schönen Seite bot. Das Ge¬
spräch lenkte sich dann auf den österreichischen Krieg von 1805. „Tiefen, un-
erlöschlichen Eindruck — schreibt er — machten auf mich die liebenswürdigen
Gefühle, die sie offenbarte, als sie auf das Mißgeschick des Hauses Osterreich
anspielte. Mehr als einmal sah ich dabei ihre Augen voll Thränen. Unter
anderm erzählte sie mit rührender Einfachheit, daß an dem Tage, wo sie die
Nachricht von den ersten Unglücksfällen der österreichischen Armee erfahren hatte,
der Kronprinz, ihr Sohn, sich ihr zum erstenmale in Uniform gezeigt habe;
als sie ihn so gesehen, habe sie gesagt: „Ich hoffe, daß du an dem Tage, wo
du Gebrauch machst von diesem Rock, dein einziger Gedanke der sein wird, deine
unglücklichen Brüder zu rächen."

Gentz hatte den preußischen Staatsdienst verlassen, nicht bloß weil ihm



*) Gentz war allerdings schon 1797 und 1800 im Berliner Historischen Taschenbuche
mit geschichtlichen Aufsätzen aufgetreten. Den ersten, über „Maria Stuart," hat Schiller als
Quelle für sein Drama benutzt. Der zweite handelt über die Gefangenschaft des Johann
von Valois. Uns sind beide unzugänglich geblieben. In den „Werken" sind sie nicht mit
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/75>, abgerufen am 17.09.2024.